Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 6(1998) 1/2
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Die Bibliotheksräume der deutschen Klöster in der Zeit des


98-1/2-102
Die Bibliotheksräume der deutschen Klöster in der Zeit des Barock / Edgar Lehmann. [Konzept, Redaktion und Gestaltung: Rüdiger Becksmann]. - Berlin : Deutscher Verlag für Kunstwissenschaft. - 32 cm. - ISBN 3-87157-172-5 : DM 248.00, DM 198.00 (Subskr.-Pr. bis 31.03.1997)
[4085]
1. Text. - 1996. - 370 S. : Ill., Kt.
2. Katalog. - 1996. - S. 380 - 648 : Ill.

Das vom Deutschen Verein für Kunstwissenschaft als Jahresgabe für 1996/1997 vorgelegte Werk von Edgar Lehmann über die Bibliotheksräume des Barock in den deutschsprachigen Ländern beeindruckt in mehrfacher Hinsicht: in Umfang und Format, in der Exhaustivität der Objekterfassung und nicht zuletzt als wissenschaftliche Lebensleistung des Autors. Gerade auch aus dem Nachwort von Rainer Kahsnitz wird nochmals ersichtlich, in welch außerordentlichem Maß Thema und Werk für den 1997 verstorbenen Kunsthistoriker Edgar Lehmann lebensbegleitend waren:[1] Bereits 1947 erwarb Lehmann mit einer Arbeit zu diesem Themenbereich den Titel eines wissenschaftlichen Bibliothekars und konnte dann Teile für seine 1950 an der Universität Jena vorgelegte Habilitationsschrift verwenden. Beihilfen der Deutschen Forschungsgemeinschaft erlaubten ihm in den fünfziger Jahren, die in Betracht kommenden Bibliotheken für detailliertere Studien zu bereisen. Berufliche Verpflichtungen und politische Umstände aber ließen es nicht zu, die Ergebnisse dieser Forschungsreisen - wie damals geplant - in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verein für Kunstwissenschaft anschließend zu publizieren. Separat erschien einzig 1957 ein schmales Bändchen über die Bibliotheksräume der deutschen Klöster im Mittelalter im Berliner Akademie-Verlag, das somit der thematischen Eingrenzung der Habilitationsschrift entsprach.[2] Erst nach 1989 konnte die Publikationszusage des Vereins für Kunstwissenschaft erneuert werden; 1995 schließlich übergab der 86jährige Lehmann das 1200 Seiten starke Manuskript, 500 Photographien und knapp 250 Zeichnungen. Es ist Rüdiger Becksmann zu verdanken, in Übernahme aller redaktionellen und auch konkret buchgestalterischen Aufgaben das Werk nun in der vorliegenden Form eindrucksvoll zum Abschluß gebracht zu haben. Die Berücksichtigung und Einarbeitung des neueren Forschungsstandes (bis 1993) wurde schließlich als einjährige Projektarbeit von Thomas Ratzka realisiert.

Angesichts dieser Entstehungsgeschichte fällt es schwer, das Werk im einzelnen aus heutiger Sicht und damit vor dem Hintergrund heutiger Forschungsansätze und Darstellungsformen einer Analyse und Bewertung zu unterziehen. Unbestreitbar ist sicher der publikatorische Stellenwert für diesen Themenkomplex. Denn umfangreichere und Überblick bietende Arbeiten insbesondere zur Geschichte der barocken Bibliotheksarchitektur des gesamten deutschen Sprachgebiets sind in den vergangenen 50 Jahren kaum erschienen; die wenigen Publikationen dieser Zeit wie etwa der Band Schöne alte Bibliotheken deuten schon über die weitere Titelfassung an, was sie sind: Bildbände ohne den Anspruch, wirklich eine Geschichte der Bibliotheksarchitektur zu schreiben.[3] Eine solche vorzulegen, ist jedoch Lehmanns erklärtes Ziel. In diesem Sinne erstellt er im ersten Band, dem eigentlichen Textteil des Werks, eine Typologie der Bibliotheksarchitektur und versucht so, ihre spezifische Stil- und Entwicklungsgeschichte zu fassen. Bibliotheken werden dabei einem typologischen Evolutionsmodell unterworfen, das von den mittelalterlichen Pultbibliotheken über die Saalbibliotheken der (frühen) Neuzeit bis zu den Anfängen der Magazinbibliotheken des 19. Jahrhunderts führt. Innerhalb dieses bekannten typologisch-periodischen Grobrasters verengt Lehmann nun die Perspektive einerseits zeitlich auf den Bibliotheksbau des Zeitraums 1550 bis 1800 - die Periode der mittelalterlichen Pultbibliotheken dient nur als Präludium und Ausgangspunkt seiner eigentlichen Ausführungen bzw. zur Erläuterung der bautypologischen Übergänge vom Mittelalter zur frühen Neuzeit - , andererseits aber auch funktional - wenn auch nicht mit letzter Konsequenz - auf den Bereich der Klosterbibliotheken und schließlich zudem geographisch auf den deutschsprachigen Raum einschließlich der Habsburger Lande. Durch diese Verengung des Beschreibungsausschnitts ergibt sich für den Autor die Notwendigkeit zur Verfeinerung des typologischen Beschreibungsrasters und zugleich der Ansatz einer Periodisierung im Mikroformat. So kommt Lehmann für den Kernbereich im Ergebnis zu einer Feinperiodisierung in Frühzeit der deutschen Saalbibliothek (um 1650 - um 1710), Blütezeit der deutschen Saalbibliothek (um 1710 - um 1760) und Spätzeit der deutschen Saalbibliothek (um 1760 - um 1800). Die bautypologische Entwicklung wird dabei im wesentlichen an folgenden Kriterien festgemacht: Lage der Bibliothek innerhalb der Gesamtklosteranlage (mit den Untertypen unregelmäßig erweiterte Anlagen und regelmäßige Anlagen), nach ihren Bezügen zu den Nachbarräumlichkeiten und zur Geschoßwahl, schließlich hinsichtlich der Wahl der Mittel zur äußeren Hervorhebung dieses Bauteils (Risalit, Sporn usw.); Gestalt der Bibliothek (Galerie, Festsaal, "Enfilade", Wandpfeilersaal, Kuppelsaal, "Einbau-Typ" usw.); Ausstattung und Schmuck der Bibliothek (Schrankwerk, Stuck, Malerei und ikonographische Programme). Dieses Beschreibungsraster wird außer durch die Feinperiodisierung dann noch in allen Punkten nach den einzelnen regionalen Ausprägungen differenziert. Für die Landschaften allerdings, die nur wenige oder gar keine Klosterbibliotheken in allen Zeitstufen aufweisen, ergänzt Lehmann die Ausführungen mit Beispielen nicht-klösterlicher Bibliotheksbauten, so daß die funktionale Eingrenzung des Themas letztlich nicht konstant ist; auf diese Weise wird die Beschreibung der mittel- und norddeutschen Regionen erweitert um Ausführungen zu Hofbibliotheken wie Wolfenbüttel und Weimar oder zu Universitätsbibliotheken wie Göttingen und Greifswald. Exkursionen zu (Kloster-)Bibliotheken des nicht-deutschsprachigen Raums (im weitesten Sinne) finden sich insbesondere dort, wo dies aus der Perspektive einer grundlegenden bautypologischen Evolution unabdingbar erscheint: so sieht Lehmann wichtige Prototypen der neuzeitlichen Saalbibliothek und damit der Klosterbibliotheken vor 1800 in der Laurenziana in Florenz, in der Bibliothek des Escorial, in der Ambrosiana in Mailand, in der Barberiniana in Rom und schließlich in der Bibliothèque Mazarine in Paris ausgebildet und nimmt sie folgerichtig in seine Darstellung auf.

In der Folge werden nun alle Ausführungen zu den einzelnen deutschen Klosterbibliotheken grundsätzlich diesem bautypologischen Beschreibungsraster mit seinen zeitlichen und regionalen Unterdifferenzierungen unterworfen, so daß das Bild der Einzelbibliothek letztlich vollständig fragmentiert wird zugunsten des Darstellungsversuchs einer stilgeschichtlichen Gesamtentwicklung dieses Bautyps, ein Versuch, der aber mit Blick auf die Gleichzeitigkeit von typologisch-stilistisch eigentlich Ungleichzeitigem aufgrund regionaler Verwerfungen (Retardierungen neben Progressionen) im Sinne einer stringenten Evolution nicht durchzuhalten ist. Zugleich wird bei diesem Ansatz die einzelne Bibliothek reduziert zum Belegexemplar eines bautypologischen Details und verschwindet so als eigenständiges Gesamtbauwerk. Im Gegenzug ergibt sich aber eben leider nicht automatisch eine wirklich überzeugende übergeordnete Entwicklungslinie des Bautyps Klosterbibliothek für den Zeitraum 1550 - 1800, der das Schwinden der Einzelformen in der Darstellung gerechtfertigt hätte. Auf der Strecke bleiben dabei auch ein wenig die Leser, denen sich so die Fülle des Materials nur in kleinteiligen Formalkategorien präsentiert.

Lehmann bzw. der Redaktor dürften dieses Problem selbst gesehen haben und haben daher der Entwicklungsgeschichte der barocken Klosterbibliothek, dem sog. Textteil, einen zweiten Band, nämlich einen Katalogteil beigegeben. Hier werden die besprochenen Bibliotheken nochmals in alphabetischer Reihenfolge aufgeführt und mit den wichtigsten Daten ihrer Baugeschichte, mit Quellen- und Literaturhinweisen usw. versehen. Dennoch bleiben diese Einträge eher Gerüst; es entsteht kein umfassendes "Bild" des jeweiligen Bauwerks. Der Katalogteil erreicht somit nicht die heute etwa bei Großinventaren übliche Darstellungstiefe: er bietet keine textuell geschlossene Beschreibung und Einordnung des Einzelobjekts. Als Nachschlagewerk für Eckdaten ist er jedoch - ganz in der Tradition von Kurzinventaren - von großem Nutzen. Dieser Wert wird entscheidend ergänzt durch eine Gesamtbibliographie, durch einen Anhang von Lageplänen zu den einzelnen Bibliotheken, durch Künstlerregister, Bildnachweise, ikonographisches und Sachverzeichnis, durch Orts- und Personenregister. In jedem Fall dürfte gerade dieser Katalogteil längerfristig den Wert des Gesamtwerks als entscheidendes Nachschlagewerk zur barocken Klosterbibliothek im deutschsprachigen Raum sichern und ist auch der Grund dafür, daß das Werk in IFB besprochen wird. Beide Werkteile sind umfangreich mit Abbildungen ausgestattet, die aber nicht in jedem Fall aktualisiert werden konnten und den heutigen (Restaurierungs-)Zustand spiegeln; der Großteil des Bildmaterials entstammt der Zeit der Bibliotheksreisen Lehmanns in den fünfziger Jahren und erhält durch diese zeitliche Geschlossenheit einen zusätzlichen dokumentarischen Wert.

Die barocken Klosterbibliotheken aber als Gesamtkunstwerk, als Phänomen des barocken Universalismus, als Manifestation einer Idee, in der der Gesamtkosmos sich auch im Microkosmos der Einzelbibliothek spiegelt und wo in diesem Sinne Gebäude, Ausstattung, Malerei und nicht zuletzt auch die Büchersammlung selbst programmatisch aufeinander bezogen sind, verlieren sich im vorliegenden Beschreibungs- und Darstellungsansatz. Auch Beschreibungsmodelle und Methoden selbst sind zeitgebunden; mit zeitlicher Distanz treten Fragen u.a. auch nach ihrer Aussagekraft deutlicher hervor. Für die Beschreibung von Klosterbibliotheken eines Sprachraums und einer Großepoche mußte ein bautypologisch-stilistisches Entwicklungsmodell, wie das vorgestellte, letztlich an die Grenzen seiner Aussagefähigkeit stoßen und sich schnell in Setzkastenklassifizierung verlieren. Gleichzeitigkeiten verschiedener "Entwicklungsstufen" und Bauformen etwa durch regionale Retardierungen usw. stehen hier letztlich einer stringenten Entwicklungsgeschichte und Feinperiodisierung entgegen. Beziehungslinien und Abhängigkeiten aber zwischen einzelnen Bauten (auch über den deutschsprachigen Bereich hinaus), ihren Auftraggebern und Künstlern, wie sie sehr wohl bestanden haben und essentiell Impuls gebend waren, werden so gerade nicht ersichtlich. Die Auflösung des Einzelobjekts in der Beschreibung zugunsten einer übergeordneten Entwicklungslinie kann daher aus heutiger Sicht nicht mehr uneingeschränkt überzeugen. In der Wahl eines dominant entwicklungstypologischen Ansatzes ist Lehmanns Werk somit am stärksten seiner Entstehungszeit verhaftet und damit selbst schon historisch geworden. In diesem Sinne steht Lehmanns Werk über die deutschen Klosterbibliotheken gleichsam auch am Ende einer methodischen Entwicklungslinie, die mit Hegels Kunstauffassung ihren Ausgang nahm und hier Endpunkt und Grenzen erreicht hat.[4]

Doch all diesen einschränkenden Bemerkungen zum Trotz: was an grundlegendem Wert dieser Darstellung der Bibliotheksräume der deutschen Klöster in der Zeit des Barock auch heute noch bleibt, ist mehr als genug. Die Fülle des Materials, seine katalogartige Bündelung und umfangreiche Erschließung vor allem im zweiten Teil machen die Publikation von Edgar Lehmann auch so zu einem erstrangigen Informationsmittel zur barocken Bibliotheksarchitektur.

Angela Karasch


[1]
Zu Leben und Werk Edgar Lehmanns vgl. auch: Bau- und Bildkunst im Spiegel internationaler Forschung : Festschrift zum 80. Geburtstag von Prof. Dr. Edgar Lehmann / hrsg. vom Institut für Denkmalpflege der Deutschen Demokratischen Republik, Zentraler Bereich Dokumentation und Publikation. Zsgst. und bearb. von Marina Flügge ... unter Leitung von Erhard Drachenberg. - Berlin : Verlag für Bauwesen, 1989. - 312 S. : Ill. (zurück)
[2] Die Bibliotheksräume der deutschen Klöster im Mittelalter / Edgar Lehmann. - Berlin : Akademie-Verlag, 1957. - 50 S., XX Bl. : Ill. - (Schriften zur Kunstgeschichte). - Die Bibliotheksräume der deutschen Klöster im Mittelalter / Edgar Lehmann. - Jena, 1950. - Jena, Univ., Habil.-Schr. 1950. (zurück)
[3]
Schöne alte Bibliotheken : ein Buch vom Zauber ihrer Räume / hrsg. von Margarete Baur-Heinhold. - München : Callwey, 1972. - 295 S. : überwiegend Ill. - (Kulturgeschichte in Einzeldarstellungen). - (2. Aufl. 1974).
Aus demselben Verlag stammt der folgende Reiseführer zu den "schönsten" Bibliotheksräumen (nicht nur aus der Zeit des Barock) und den "wertvollsten Sammlungen"; beide Kriterien zeitigen - allein oder in Kombination - partiell verwunderliche Ergebnisse:
Bibliotheken : die schönsten Räume, die wertvollsten Sammlungen ; Deutschland, Österreich, Schweiz / Stefanie Seidel. - München : Callwey, 1995. - 191 S. : Ill. ; 25 cm. - (Das Reiselexikon). - ISBN 3-7667-1156-3 : DM 49.80 [4086]. (zurück)
[4]
Vgl. hierzu Trauer der Vollendung : von der Ästhetik des deutschen Idealismus zur Kulturkritik an der Moderne / Beat Wyss. - München : Mathes & Seitz, 1985. - 336 S. : Ill. - Trauer der Vollendung : zur Geburt der Kulturkritik / Beat Wyss. - 3. durchges. Aufl. - Köln : Du-Mont, 1997. - 365 S. : Ill. (zurück)

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