Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 3/4
[ Bestand in K10plus ]
[ Bestand in K10plus ]

Französische Renaissance


97-3/4-334
Französische Renaissance / Frank-Rutger Hausmann. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1997. - VI, 245 S. ; 23 cm. - (Lehrbuch Romanistik). - ISBN 3-476-01521-1 : DM 49.80
[4122]

Kurz nach dem ersten Lehrbuch Romanistik erscheint bereits der zweite Band der Reihe, der allerdings, aufgrund des allzu umfangreichen Stoffs, nicht, wie ursprünglich geplant, die französische Renaissance und Klassik zum Gegenstand hat, sondern sich auf erstere beschränkt, was der Komplexität dieser Epoche sowie ihrer Bedeutung für die weitere Entwicklung der französischen Literatur gewiß angemessen ist.

Vieles, was in der Besprechung des Mittelalter-Bandes zur Konzeption der Reihe bereits gesagt wurde,[1] gilt entsprechend für den Band zur Renaissance, der wiederum eher Grundlagen für die konkrete Auseinandersetzung mit Texten bieten als die literarischen Texte selbst vorstellen will. Der Schwerpunkt von Hausmanns Darstellung liegt demnach nicht primär auf diesen Texten, sondern vielmehr auf den vielfältigen Kontexten, in denen sie stehen. Gleich zu Beginn, im Kapitel Begriff und Wirklichkeit der Renaissance, wird diese Haltung deutlich, insofern der Autor versucht, sich seinem Gegenstand von verschiedenen Seiten her anzunähern, und so, ehe er zu Renaissance und Humanismus in Frankreich und der Selbsteinschätzung der französischen Humanisten gelangt, zunächst auf die Nähe zu anderen Epochenbegriffen wie Humanismus und Reformation, auf die Neubewertung der Renaissance im 19. Jahrhundert und auf den Renaissancehumanismus in Italien eingeht. Und auch die vier folgenden Kapitel, überschrieben mit Politische Geschichte Frankreichs im 16. Jahrhundert, Italien und Frankreich, Das neue Bildungsideal, Orthodoxie, Reformation und Unglaube, stellen die Literatur nicht in den Mittelpunkt - dies ist allein in den beiden abschließenden Kapiteln zu Themen und Gattungen der französischen Renaissance-Literatur der Fall -, sondern eher an den Horizont der Beschreibung. So sind zwar zumindest die bekannteren Autoren und unter ihnen insbesondere Rabelais, dem Hausmann ja bereits mehrere Veröffentlichungen gewidmet hat, gleichsam ständig präsent; eine zusammenhängende Darstellung etwa von Rabelais' Pentalogie jedoch wird der Leser vergeblich suchen - was freilich vor allem darauf hindeutet, daß so vielschichtige Werke in diesem Rahmen ohnehin nicht umfassend oder gar erschöpfend analysiert werden könnten und daß sie - in der Renaissance vielleicht sogar mehr als in anderen Zeiträumen - sich in die unterschiedlichsten Zusammenhänge einfügen, die in einer angemessenen Betrachtung mit berücksichtigt sein wollen.

Gelegentlich mag diese Darstellungsweise zwar verblüffen - etwa wenn im fünften Kapitel Calvin volle acht Seiten, Rabelais und Calvin zusätzlich über fünf Seiten, Clément Marot oder Marguerite de Navarre hingegen nur gut zwei bis drei Seiten gewidmet werden -, an anderer Stelle auch enttäuschen: zum Beispiel im Unterkapitel Essay und Geschichtsschreibung, das sich auf nur zweieinhalb Seiten mit Montaigne befaßt, der doch, auch wenn er in zahlreichen anderen Abschnitten wie Reisen und Entdeckungen oder Melancholie zusätzlich Erwähnung findet, mit seiner "Erfindung" der Essais für die weitere Geschichte der Literatur eine so bedeutende Rolle spielt und zudem in vielem als geradezu paradigmatisch für seine eigene Zeit gelten kann, so daß sich auch in diesem Rahmen eine ausführlichere Darstellung gerechtfertigt hätte.[2] Zugleich jedoch wird so einmal mehr der Finger darauf gelegt, daß das "Lehrbuch" nicht als Nachschlagewerk, sondern eher zur Vorbereitung auf die eigentliche Auseinandersetzung mit literarischen Texten dienen kann und will. Insbesondere in dieser Hinsicht sind viele der behandelten Aspekte, darunter die allmähliche Ausformung des Neufranzösischen, die italienischen Einflüsse auf allen Gebieten, die wichtige Stellung von Übersetzungen, die Rolle der Poetiken, die Bedeutung der Antike und insbesondere der antiken Mythologie, die knappe Vorstellung auch nicht-französischer Autoren wie Erasmus oder Lukian etc., natürlich für alle Autoren und Werke der Zeit von Belang, und von dieser Warte aus erscheint, gerade auch im Hinblick auf speziellere Sekundärliteratur, die Vernachlässigung der Texte in solch einem Rahmen plausibel.

Um so erfreulicher, wenn einzelne Werke wie etwa Maurice Scèves Délie dann doch im Zusammenhang mit Lyon (S. 64 - 65) und der Lyoneser Schule (S. 68 - 71) relativ detailliert besprochen werden. Daß gleich anschließend der auch sonst nur recht selten in diesem Band erwähnten Louise Labé nur etwa eine Seite gewidmet ist, entspricht der leider noch immer marginal bleibenden Beachtung schriftstellerisch tätiger Frauen zumindest früherer Jahrhunderte. Und daß ein Autor wie François Villon, der nicht mehr eindeutig dem Mittelalter und noch nicht eindeutig der Renaissance zuzurechnen ist, zwar in beiden bisher erschienenen "Lehrbüchern" einige Male erwähnt wird, aber in keinem wirklich gegenwärtig ist, sondern für den Mittelalter-Band nur als Zukunft existiert,[3] während er für den Renaissance-Band bereits Vergangenheit ist,[4] daß also ein Autor wie François Villon gleichsam in die Lücke zwischen den Buchdeckeln fällt, macht einmal mehr die Fragwürdigkeit von allzu starren Epochengrenzen deutlich: Grenzen, die die Kunst selbst nicht respektiert und die allenfalls einer editorischen Notwendigkeit, nicht den literarischen Texten entsprechen.

Barbara Kuhn


[1]
Vgl. IFB 97-1/2-151. (zurück)
[2]
Interessanter- und erstaunlicherweise fällt die Interpretation der Essais im ebenfalls von Hausmann verfaßten und teilweise wörtlich übernommenen Kapitel zur Literatur der Renaissance in der, ebenso wie die Lehrbücher, bei Metzler erschienenen Französischen Literaturgeschichte (vgl. die vorstehende Rezension) in manchem ausführlicher aus als die Darstellung in diesem eigens der Renaissance gewidmeten Band. (zurück)
[3]
Vgl. z.B. die Charakterisierung Rutebeufs als Vorläufer Villons (S. 167 und S. 175) oder den Hinweis auf eine Entwicklung der Lyrik, "an deren Ende im 15. Jahrhundert François Villon stehen wird" (S. 181). (zurück)
[4]
Vgl. die Erinnerungen an Villon bei Louise Labé (S. 72). (zurück)

Zurück an den Bildanfang