Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 3/4
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Celan als Übersetzer


97-3/4-322
Celan als Übersetzer : "Fremde Nähe" ; eine Ausstellung des Deutschen Literaturarchivs in Verbindung mit dem Präsidialdepartement der Stadt Zürich im Schiller-Nationalmuseum Marbach am Neckar und im Stadthaus Zürich ; [10. Mai bis 26. Oktober 1997, Schiller-Nationalmuseum Marbach, Ende Januar bis Mitte März 1998, Stadthaus Zürich] / [Ausstellung und Katalog: Axel Gellhaus und Rolf Bücher ...]. - Marbach am Neckar : Deutsche Schillergesellschaft, 1997. - 623 S. : Ill. ; 21 cm. - (Marbacher Kataloge ; 50). - ISBN 3-929146-66-5 : DM 40.00
[4108]

Es ist schon bemerkenswert, wenn die literarische Kritik die Leistung eines Übersetzers einmal eingehender würdigt. Erweist man ihm jedoch die Reverenz mit einer ganzen Ausstellung, so gehört ein solches Ereignis zweifellos zu jenen, die man an der berühmten einen Hand abzählen kann. Nun hat man es im Falle Paul Celans freilich nicht mit irgendeinem, sondern mit einem außergewöhnlichen und besonders vielseitigen Vertreter seines Faches zu tun. Ein Polyglotte, dessen literarische Hinterlassenschaft die Folgen des babylonischen Sündenfalls für einen Moment vergessen macht. Denn aus nicht weniger denn sieben verschiedenen Sprachen hat er uns die Kenntnis bedeutender Werke vermittelt: aus dem Englisch-Amerikanischen, dem Französischen, Hebräischen, Italienischen, Portugiesischen, Rumänischen und Russischen. Zusammengekommen ist dabei mit den Jahren eine kleine Bibliothek der Weltliteratur, in deren Regalen die Schriften eines Jean Cocteau, Paul Eluard und Paul Valéry, Ossip Mandelstamm, Wladimir Majakowskij, Boris Pasternak und Welemir Chlebnikow, William Shakespeare und Giuseppe Ungaretti - und dies sind nur einige wenige aus der Phalanx bedeutender Namen - fast einträchtig nebeneinander stehen.

Sein Renommee hat sich Celan - selbst ein bedeutender Dichter - zweifelsohne durch seine Übertragungen poetischer Werke erworben. In ihm haben ein Alexander Block, Sergej Jessenin und Arthur Rimbaud ihren kongenialen Übersetzer gefunden. Gleichwohl erzeugt diese Anerkennung insofern ein schiefes Bild, als seine nachgelassenen Übertragungen kaum ein Genre literarischen Schaffens aussparen. Übersetzen war für Celan eben nicht nur Passion, sondern auch und vor allem (harte) Brot-Arbeit. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich neben seiner Tätigkeit als langjähriger Lektor der Pariser École Normale Supérieure mit Übersetzungen von Werken sowohl der "hohen" wie der sog. Populärliteratur, von Essays[1] wie Romanen, Filmen[2] wie dramatischen Elaboraten.[3] Und vielleicht deshalb nicht von ungefähr fand sein Name als Übersetzer die weiteste Verbreitung durch die Verdeutschung eines Werkes der Unterhaltungsliteratur, und zwar eines Kriminalromans von Georges Simenon.[4] Kurioserweise erachteten Verlag und (!) Übersetzer einmütig diese Arbeit als völlig "daneben gelungene" (S. 249), gleichwohl erlebte sie seit ihrem Ersterscheinen 1955 zahlreiche Neuauflagen und Neuausgaben.

Wie macht man das eigentlich, die Arbeit eines Übersetzers "ausstellen" und dann das Ganze noch in einem begleitenden Katalog dazu dokumentieren? Die Organisatoren dieser Veranstaltung bzw. Bearbeiter einer fast monumentalen Veröffentlichung sind dieser Frage keineswegs ausgewichen: "Was an einem vergleichsweise abstrakten Thema, wie es das 'Übersetzen' vorderhand zu sein scheint", so heißt es in Axel Gellhaus' Fergendienst, einleitende Gedanken zum Übersetzen bei Paul Celan, "ist geeignet, in einer Ausstellung gezeigt zu werden? Man kann doch nicht immer wieder ein Original, einen Entwurf und eine vollendete Übersetzung nebeneinander legen, auch wenn Celan alle diese Vorarbeiten gesammelt hat, auch wenn man in seiner Bibliothek alle Spuren eines schon übersetzenden Lesens noch findet" (S. 10).

Um auch den Erwartungen der bloßen "Voyeurs" - wie man sie hier der Einfachheit halber vielleicht nennen darf - unter den Literaturinteressierten gerecht zu werden, hat man das Thema in einer Weise angepackt, die den Rahmen dessen, was man sich naiv als Dokumentation einer Übersetzer-Tätigkeit (annotierte Originalausgaben, erste Aufzeichnungen, aufeinanderfolgende Fassungen etc.) vorstellen mag, völlig sprengt. Zwar bildet dieser Aspekt von Celans literarischem Schaffen sowohl Ausgangs- wie Fluchtpunkt des ganzen Unternehmens, aber im Spannungsbogen dieser beiden Pole wird der Gegenstand doch nach allen nur erdenklichen Richtungen hin ausgeleuchtet, das Thema grenzüberschreitend und gewissermaßen auch grenzenlos behandelt. Man hat versucht, um hier Gellhaus noch einmal zu zitieren, "die papierenen Spuren ins Leben zurückzuübersetzen", indem man beispielsweise danach fragte, was Celan bewogen habe, "diesen oder jenen Autor in die deutsche Sprache hineinzutragen." Man hat "also nicht nur nach Texten" gefragt, sondern ebenso "nach existentiellen Motiven". Und damit hätten "die Materialien Geschichten und - ja - Geschichte zu erzählen" begonnen. "Man mußte nur genau hinsehen, ein wenig recherchieren, dann wurden die Dokumente plastisch." In der Zusammenstellung dessen, "was Celan übertragen" habe, sei "eine biographische Spur, ein Lebenskonzept" entstanden, "zahlreiche Begegnungen in der Spannung von Fremdheit und Nähe, Wahlverwandtschaften" hätten sich dabei abgezeichnet (S. 10 - 11).

Diese Dinge breitet der Katalog in insgesamt 31 (!) Kapiteln aus, wobei neben wichtigen biographischen und werkgeschichtlichen selbst kleinste und scheinbar unbedeutendste Details Berücksichtigung finden. Auf diese Weise wird nicht nur die fast lückenlose Entstehungsgeschichte zahlloser Übersetzungen Celans entrollt, sondern es fällt Licht auch auf solche Elemente und Etappen seiner Karriere, die man prima vista nicht unbedingt in einen zwingenden Zusammenhang mit seinem intellektuellen Werdegang bringen würde.

Dazu gehört zunächst einmal die Tatsache, daß offenbar bereits Herkunft, Ambiente und Familie Celan zum Übersetzer prädestinierten. Er wuchs - nein, nicht mehr-, sondern wirklich - vielsprachig und gewissermaßen multikulturell auf. Seine Geburtsstadt Czernowitz, mehrheitlich von ehemaligen Österreichern und von einer starken rumänischen Minderheit bewohnt, war im übrigen ein Schmelztiegel aller möglichen Völker. Hier gaben sich habsburgische, rumänische, jiddische, ukrainische, polnische, madjarische, schließlich auch russische Kultur und Sprache ein Stelldichein. In Celans Familie sprach man Deutsch, der Ort vermittelte ihm von Kindesbeinen auf ebenso gute Kenntnisse im Rumänischen, und im jüdischen Kindergarten sowie durch Privatunterricht erlernte er das Hebräische. Als Schüler eines Humanistischen Gymnasiums kam er darüber hinaus nicht nur mit den klassischen Sprachen Latein und Griechisch in Berührung, sondern auch frühzeitig mit dem Französischen. Die übrigen der hier bereits erwähnten Sprachen eignete er sich dann mehr oder minder autodidaktisch an.

Weiter läßt die Ausstellung bzw. der Katalog den Blick über Aspekte schweifen, die hinsichtlich der Gesamtwürdigung Celans als Übersetzer nur scheinbar von zweitrangiger Bedeutung sind. Barbara Wiedemanns Kapitel über Die sogenannte Goll-Affäre (S. 181 - 199) führt einmal exemplarisch vor, welch' weitreichende Folgen bisweilen gänzlich "unliterarische", dafür um so menschlichere Schwächen haben können: Völlig aus der Luft gegriffene, von willfährigen Freunden der Witwe aber genüßlich ausgebreitete und ausgeschlachtete Plagiatsvorwürfe beenden ziemlich rasch Celans Übersetzung von Gedichten Yvan Golls.

Es ist an dieser Stelle schier unmöglich, alle im Katalog angeschnittenen Themen auch nur aufzuzählen. Daher mag ein letztes Beispiel diese völlig kursorische Zusammenschau bereits beenden. In einem Kapitel mit der Überschrift Die Arbeit des Interpreten: Peter Szondi (S. 448 - 449) von Peter Goßens wird das gewissermaßen immanente Terrain des Generalthemas bereits verlassen - und damit zugleich ein Bogen vom Übersetzungs- zum poetischen Werk Paul Celans geschlagen. Goßens weist nämlich am Beispiel der Interpretation einer Celanschen Shakespeare-Übersetzung durch Peter Szondi nach, wie sehr dieser "Musterfall einer Poetologie des Celanschen Übersetzens" (S. 448) vor allem auch einen direkten Zugang zum Verständnis von dessen Gedichten bietet.

Der Untertitel dieser Publikation des Deutschen Literaturarchivs in Marbach ist pures Understatement, denn hier wird fast der "ganze" Celan "ausgestellt". Das unterstreichen im übrigen die zahllosen Bilder von Paul Celan (S. 17 - 32 und S. 93 - 108), sprich: photographischen Porträts und Gruppen-Aufnahmen, sowie eine überaus detaillierte Chronik (Paul Celan, 1920 - 1970 : eine Chronik: Czernowitz - Tours - Bukarest - Wien - Paris - Der Übersetzer als Lehrer - Die Arbeit an der École Normale Supérieure, S. 33 - 91) zum Auftakt des Bandes nachhaltig. Einen einzigen Vorwurf werden sich die Verantwortlichen dieses Unternehmens freilich gefallen lassen müssen. Wenn man in so überzeugender und umfassender Weise wie hier dokumentiert, daß sich entscheidende Etappen und Elemente von Celans persönlicher wie intellektueller Biographie bereits aus seinem umfangreichen Übersetzungswerk erschließen, dann ist um so unverständlicher, warum man dasselbe nicht am Ende des Katalogs noch einmal in einer zusammenraffenden Übersicht dargeboten hat. Das sei hier nicht als Plädoyer für Lese-Faule mißverstanden. Vielmehr ergibt sich dieser kleine Vorbehalt aus der Fülle des Materials. Denn selbst diejenigen, die sich durch die gut 600, bisweilen äußerst spannend zu lesenden Seiten dieses beeindruckenden Bandes hindurchgekämpft haben, werden am Ende kaum all die Namen der Autoren und Titel im Kopf behalten haben, die Celan durch seine Übersetzungen einem deutschsprachigen Publikum teils erstmals bekannt gemacht hat.

Momme Brodersen


[1]
Lehre vom Zerfall : Essays / Émile M. Cioran. - Hamburg : Rowohlt, 1953. (zurück)
[2]
Nuit et brouillard / Nacht und Nebel von Alain Resnais, 1955/56. (zurück)
[3]
Wie man die Wünsche beim Schwanz packt : ein Drama in sechs Akten / Pablo Picasso. // In: Wort und Bekenntnis : die gesammelten Zeugnisse und Dichtungen / Pablo Picasso. Berechtigte Übertragung von Paul Celan (Drama und Gedichte) und Elisabeth Schnack (Bekenntnisse). - Zürich : Arche, 1954, S. 59 - 98. (zurück)
[4]
Maigret und die schrecklichen Kinder : Kriminalroman / Georges Simenon. Deutsch von Paul Celan. - Ungekürzte Ausg. - Köln [u.a.] : Kiepenheuer & Witsch, [1955]. - Einheitssacht.: Maigret à l'école <dt.>. (zurück)

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