Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 3/4
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The Cambridge encyclopedia of language


97-3/4-313
The Cambridge encyclopedia of language / David Crystal. - 2. ed. - Cambridge [u.a.] : Cambridge University Press, 1997. - VII, 480 S. ; 29 cm. - ISBN 0-521-55050-5 (hb) : œ 45.00, $ 69.95 - ISBN 0-521-55967-7 (pb) : œ 19.95, $ 29.95
[4320]

Mit dem vorliegenden Werk verspricht uns der Autor eine - vor allem unter sozio-politischen Aspekten - überarbeitete Neuauflage der 1989 erschienenen Erstausgabe.[1] Dieser Anspruch wird bereits in der Gliederung deutlich. Die Enzyklopädie nähert sich ihrem eigentlichem Thema, der Sprache, in den ersten beiden Kapiteln (I. Popular ideas about language und II. Language and identity), indem sie zunächst die landläufigen Grundannahmen über Sprache und ihre kommunikative Grundfunktion darstellt und dann die daraus resultierenden identitätsstiftenden Momente in einen politischen und soziologischen Rahmen einbettet. Das dritte Kapitel (III. The structure of language) widmet sich den verschiedenen Teildisziplinen der Linguistik und ihrer Interaktion: Morphologie, Syntax, Semantik, Pragmatik und Diskurstheorie. Daran schließen sich zwei Kapitel zur Phonetik-Phonologie-Schnittstelle (IV. The medium of language: speaking and listening) und zur Graphologie (V. The medium of language: writing and reading) an. Die folgenden Kapitel befassen sich mit linguistischen Fragestellungen, die nur im Kontext mit anderen Wissenschaften interdisziplinär adäquat erfaßt werden können, nämlich der Gebärdensprache (VI. The medium of language: signing and seeing), dem Erstspracherwerb (VII. Child language acquisition) und der Neurolinguistik (VIII. Language, brain, and handicap). Gerade in diesem Kapitel weist der Autor deutlich auf die sozialen, ökonomischen und politischen Repressionen hin, denen z.B. Taubstumme oder Aphasiker ausgesetzt sind. Das neunte Kapitel (IX. The languages of the world) behandelt wiederum ein linguistisches Kernfach und gibt einen guten Überblick über die Sprachfamilien, Sprachwandeltheorien und Sprachkontaktforschung. Die letzten beiden Kapitel (X. Language in the world und XI. Language and communication) bilden eher Themen-Konglomerate, die sich mit so unterschiedlichen Fragestellungen wie der Übersetzungsproblematik, künstlicher Intelligenz, Mehrsprachigkeit, Zweitspracherwerb und Fachsprachen befassen.

Inhaltlich stellt das Buch einen gelungenen Überblick über die Disziplinen der Linguistik im Speziellen und die Interaktion von Sprache mit anderen politischen, soziologischen, kulturellen und nationalen Dimensionen des menschlichen Lebens dar. In bester angelsächsischer Wissenschaftsmanier erläutert der Autor sein jeweiliges Fachgebiet anschaulich und führt die entsprechende Terminologie ein. Sehr hilfreich ist dabei, daß Fachtermini durchgängig im gesamten Textverlauf in Klammern erklärt sind und der Autor auch vor sehr lebensnahen Beispielen (z.B. Verweise auf aktuelle Science-Fiction-Filme S. 96) nicht zurückschreckt.

Allerdings ist das Buch für den angelsächsischen Leser geschrieben und basiert auch auf dessen kulturellem Hintergrund. Der deutschsprachige Leser muß also nicht nur über eine gewisse Kompetenz in der englischen Sprache verfügen, sondern auch über das kulturell-literarische Hintergrundwissen von Shakespeare über die Viktorianer bis hin zu Robert Graves und Harold Pinter.

Wie im Vorwort angekündigt sind drei Unterkapitel zur maschinellen Spracherkennung (S. 149 - 154), zu bedrohten Sprachen (S. 370 - 371) und zur maschinengestützten Korpusanalyse (S. 414 - 417) grundlegend überarbeitet und erweitert worden. Eine solche Erweiterung hätte man sich auch für das Ausblickskapitel zur Sprachgeschichte (S. 408 - 413) gewünscht, in dem die Neuerungen sowohl in der generativen Grammatiktheorie[2] als auch zu den semantischen Modellen[3] völlig fehlen. Überhaupt scheint dies eines der schwächsten und am ungenauesten gearbeiteten Kapitel - erstaunlich, da der Autor doch selbst Linguist ist -, weil die "Väter" der Linguistik zwar alle kurz genannt werden, so bedeutende Wissenschaftler wie Saussure, Tesnière, Fillmore und Montague im Literaturverzeichnis aber völlig fehlen.

In den übrigen Kapiteln wurden Veränderungen und vor allem Neuerungen nur innerhalb des vorhandenen Platzrahmens aufgenommen, was teilweise zu Lasten der Lesbarkeit geht, so ist z.B. der Absatz über den Einsatz neuer Medien im Druckgewerbe für Fachfremde kaum noch verständlich, da hier die hilfreichen Glossen fehlen. Teilweise ist der Autor auch der Versuchung erlegen, nur die Illustration zu erneuern, im Text aber nicht auf die abgebildeten Neuentwicklungen einzugehen (z.B. werden auf S. 282 - 283 Spezial-Computer für Behinderte vorgestellt ohne ihre Funktionsweise im einzelnen zu erklären, so daß die gesamte Darstellung den Beigeschmack von product placement erhält). Den größten Vorteil der Neuauflage bildet zweifellos der durchgängige Vierfarbdruck. Ein Großteil der Illustrationen ist ausgetauscht worden und die Glossare und Marginalien wurden farbig vom Fließtext abgesetzt. Auch sämtliche Karten sind neugestaltet und durch die Vierfarbigkeit wesentlich anschaulicher und verständlicher. Durch diesen graphischen relaunch erinnert das Werk - obwohl ein herkömmliches Printmedium - sehr stark an vergleichbare On- und Offline-Produkte und erfüllt damit in viel höherem Maße die Ansprüche der jüngeren, stark visuell geprägten Generation. Zudem sind die Bilder nicht nur eine reine Visualisierung des dargestellten Sachverhalts, sondern transportieren immer Zusatzinformation.

Fazit: Trotz aller Kritteleien handelt es sich um ein gelungenes populärwissenschaftliches Werk, das die Thematik "Sprache" ohne den didaktischen Zeigefinger in all ihren Facetten beleuchtet und spannend erklärt. Bleibt zu hoffen, daß der deutsche Verlag, der bereits die 1. Aufl. in einer Übersetzung vorgelegt hat,[4] das Risiko einer Neuausgabe wagt und diese noch stärker auf den kulturell-literarischen Hintergrund des deutschen Publikums ausrichtet.

Suzan Hahnemann


[1]
The Cambridge encyclopedia of language / David Crystal. - Cambridge [u.a.] : Cambridge University Press, 1987. - VII, 472 S. ; 29 cm. - ISBN 0-521-26438-3 : œ 25.00 [0051]. - Rez.: ABUN in ZfBB 35 (1988),5, S. 471 - 475. (zurück)
[2]
Vgl. z.B. für das "minimalistische Programm": The view from building 20 : essays in honor of Sylvain Bromberger / Kenneth Hale ; Samuel Jay (eds.). - Cambridge, Mass. : MIT Press, 1993 und The minimalist program / Noam Chomsky. - Cambridge, Mass. : MIT Press, 1995 oder für die HPSG: Head-driven phrase structure grammar / Carl Pollard ; Ivan A. Sag. - Chicago, Ill. : University of Chicago Press, 1994. (zurück)
[3]
Vgl. From discourse to logic : introduction to modeltheoretic semantics of natural language, formal logic and discourse representation theory / Hans Kamp ; Uwe Reyle. - Dordrecht [u.a.] : Kluwer, 1993. (zurück)
[4]
Die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache / David Crystal. Übers. und Bearb. der deutschen Ausg. von Stefan Röhrich ... - Frankfurt [u.a.] : Campus-Verlag, 1993. - IX, 478 S. ; 28 cm. - Einheitssacht.: The Cambridge encyclopedia of language <dt.>. - ISBN 3-593-34824-1 : DM 198.00 [1819]. - IFB 94-1-053. (zurück)

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