Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Kritischer Bestandskatalog


97-1/2-171
Kritischer Bestandskatalog / Anhaltische Gemäldegalerie Dessau. - Weimar : Böhlau. - 25 cm. - (Kataloge der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau ; ...)
[4033]
Bd. 1. Die deutschen Gemälde des 16. und 17. Jahrhunderts / bearb. von Stephan Klingen. Mit Beitr. von Margit Ziesché. - 1996. - 155 S. : Ill. ; 25 cm. - (... ; 2). - ISBN 3-7400-1009-6 : DM 42.00

Einen kritischen Bestandskatalog im klassischen Sinne präsentiert die Anhaltische Gemäldegalerie Dessau für die deutsche Malerei des 16. und 17. Jahrhunderts und damit zugleich den ersten zum Bestand dieses Museums überhaupt, sieht man einmal von einem älteren, mehrfach aufgelegten und erweiterten Führer durch die Sammlung ab.[1] Die Ergebnisse der Aufarbeitung der Bestandsveränderungen, die durch Kriegsverluste, aber auch durch Rückführungen von sog. Beutekunst nach Dessau erfolgten, flossen nicht nur in den vorliegenden, nun aktuellen Bestandskatalog ein, sondern ermöglichten auch die Erstellung eines gesonderten Verlustkatalogs.[2] Frühere Ansätze zur Erstellung eines veritablen Gesamtkatalogs, der insbesondere auch die Handzeichnungen mit erfassen sollte, konnten schon in den siebziger Jahren nicht zum Abschluß gebracht werden und wurden in der vorliegenden Publikation nicht weiter verfolgt. Der vorliegende Katalog verzeichnet vollständig die Bestände an deutschen Gemälden des 16. und 17. Jahrhunderts und, soweit etwa von der jeweiligen Künstlerbiographie her sinnvoll, zusätzlich auch Werke des späten 15. bzw. frühen 18. Jahrhunderts. Vier weitere Teilkataloge sind derzeit geplant, nämlich für die flämische und die holländische Malerei; ferner für die deutsche Malerei des 18. und 19. Jahrhunderts sowie die italienischen Gemälde, die zusammen mit den französischen und spanischen verzeichnet werden sollen. Die Katalogisierung und wissenschaftliche Bearbeitung der im vorliegenden ersten Band enthaltenen Gemälde konnte Stephen Klingen trotz lückenhafter Aktenlage in nur einem Jahr zum Abschluß bringen; obwohl diese Vorgabe einerseits auf ein rasches Erscheinen weiterer Bände hoffen läßt, ist sie andererseits ein Symptom für die Bedingungen, unter denen die Verzeichnung in Museen heute vielfach erfolgen muß, nämlich unter dem enormen, von Werkverträgen ausgehenden Zeitdruck, was oftmals nur dank erheblichem persönlichen Engagement der Bearbeiter zu leisten ist.[3]

Die Anlage des Katalogs entspricht dem Standard: Die Ordnung der Haupteintragungen erfolgt im Künstleralphabet. Nach kurzen biographischen Angaben folgt der Werkeintrag (Titel, Datierung, Provenienz, Material, Format) mit Literaturhinweisen und kurzer Beschreibung unter Berücksichtigung der jüngsten Forschungsergebnisse. Schwarz-Weiß-Abbildungen sind direkt dem Katalogteil zugeordnet, Farbtafeln finden sich zusammengefaßt am Schluß des Katalogs. Der Katalog, dem leider ein Inhaltsverzeichnis fehlt, enthält u.a. folgende Beigaben: Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur; Verzeichnis der Neuzuschreibungen und Neudatierungen und aus dem Bereich der deutschen Maler ausgeschiedenen Werke; das kurze ikonographische Register, in dem die religiösen Themen die ganz wenigen "Mythologischen Themen und Allegorien" (Fünf Sinne; Parisurteil; Triumpf des Sommers ist schon alles) bei weitem überwiegen, gibt einen guten Eindruck von den Schwerpunkten der Sammlung; dazu kommt ein separates Register der Bildnisse; Konkordanzen der Inventarnummern.

Mit diesem ersten Band präsentiert sich das Dessauer Verzeichnis als ein kritischer Katalog im klassischen Sinne: er bietet die für diesen Typ üblichen grundlegenden Informationen in komprimierter Form und in angemessener Aufbereitung für den Druck. Auf manches "Mehr", wie etwa Ausführungen zur Restaurierungsgeschichte, bildtechnische Analysen usw., mußte zwar zum Teil schon aufgrund der Quellenlage verzichtet werden (so fehlten beispielsweise ein Großteil der Restaurierungs-Protokolle, die Voraussetzung für entsprechende Eintragungen gewesen wären); dennoch liegt für diesen ersten Teil der Dessauer Bestände nunmehr ein angemessenes Nachschlagewerk vor.

Auch für einen weiteren Teilbereich erstellte die Anhaltische Gemäldesammlung Dessau einen Katalog, nämlich für die Kriegsverluste. Dieser im Vorwort des Gemäldekatalogs erwähnte Verlustkatalog der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau, dessen gedruckte Fassung für diese Rezension noch nicht vorlag, wird wenigstens auszugsweise im Internet angeboten,[4] und zwar als Teil des von der Bremer Koordinierungsstelle und dem Kultusministerium Sachsen-Anhalts erstellten Katalogs "Verluste deutscher Museen und Bibliotheken in Folge des Zweiten Weltkriegs". Dieser informiert zur Zeit über die Verluste folgender Institutionen des Landes Sachsen-Anhalt: Museum Schloß Mosigkau (Dessau), Anhaltische Gemäldegalerie (Dessau), Händel-Haus (Halle/Saale), Kaiser-Friedrich-Museum (Magdeburg), Lutherhalle (Wittenberg), Staatliche Schlösser und Gärten (Oranienbaum), Luisium (Wörlitz) und Schloßmuseum (Zerbst). Der Eintrag zur Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau[5] enthält zunächst Informationen zur Bestands-, insbesondere aber zur Verlustgeschichte, eine kleine Bibliographie und ein Verzeichnis der Auslagerungsorte; es folgen Auszugskataloge der verlorenen Gemälde, der Verluste aus den Sammlungen alter Zeichnungen und der Erdmannsdorff-Zeichnungen. Im einzelnen geben die Katalognummern (insbesondere bei den Gemälden) folgende Basisdaten: Künstlername (mit Geburts- und Sterbedatum), Titel des verschollenen Werks, Signierungs-, Material-, Formatangaben, Inventarnummer, Hinweise auf Katalogverzeichnung und Literatur, letzter Standort, Angaben zur Auslagerung und - soweit bekannt - zur weiteren Entnahme. Der Verzicht auf Abbildungen ist sicher mit fehlenden Vorlagen zu erklären. Mit den noch existierenden Informationen und Daten zu diesen Kunstwerken wurde aber ein an wissenschaftlichen Erfassungskriterien orientierter Katalog erstellt und mit Hilfe des Internet weltweit zugänglich gemacht, insbesondere auch zur Nutzung für den internationalen Kunsthandel. Eine über sachsen-anhaltische Institutionen hinausgehende Veröffentlichung von Kriegsverlusten ist vorgesehen. Schon jetzt aber ist aus den Einträgen der bisher berücksichtigten Institutionen ersichtlich, daß die Strukturierung der Informationen innerhalb des Projekts unterschiedlich gehandhabt wird: Während einige Institutionen wie die Anhaltische Gemäldegalerie, in bescheidenerem Rahmen auch das Händelhaus (insbesondere für die Musikinstrumentensammlung) und das Schloßmuseum Zerbst, katalogartige Einträge und Bestandsbeschreibungen bieten, erlauben die anderen Institutionen zur Zeit nur die aktive gezielte Anfrage (Stichworteingabe) auf ein bestimmtes Kunstwerk, vermitteln also keine direkte und zusammenhängende Information über die Verlustbestände. Daß sich unter dem Aspekt "wissenschaftliches Auskunftsmittel" in diesen Fällen der Informationswert stark reduziert, muß nicht eigens betont werden. Bei einer Gesamtbeurteilung darf freilich nicht die primäre Zielgruppe, nämlich der Kunsthandel, aus dem Auge verloren werden, und für diese Belange dürfte auch die reine Anfragemöglichkeit zu Einzelwerken ausreichende Information bieten.

Angela Karasch


[1]
Zur Geschichte der Sammlungsverzeichnung in Dessau vgl. die Ausführungen im Katalog S. 5 - 7. (zurück)
[2]
Verlustkatalog der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau. Die im Vorwort, S. 5 angekündigte gedruckte Fassung lag bis Redaktionsschluß dieses Heftes von IFB Anfang Juni 1997 noch nicht vor, da sich die Notwendigkeit ergab, in das Manuskript noch weitere Verluste einzuarbeiten (tel. Auskunft des Direktors der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau). (zurück)
[3]
Eine anschauliche Schilderung dieser Rahmenbedingungen, die inzwischen typisch zu sein scheinen, bietet auch das Vorwort zu dem nachfolgend besprochenen Nürnberger Katalog. (zurück)
[4]
http://www.dhh-3.de/looted/ (zurück)
[5]
http://www.dhh-3.de/biblio/rsk/inhalt.html (zurück)

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