Dies geschieht in etwa 700 von Spezialisten verfaßten
Artikeln, die sich in vier Kategorien gliedern lassen: Werke
Rousseaus, von ihm behandelte Themen sowie Personen, mit denen, und
Orte,
an denen er verkehrte - wobei dieser Verkehr in einem sehr weiten
Sinne aufzufassen ist, denn unter den im Lexikon vertretenen
Personennamen finden sich nicht nur Personen wie Diderot oder Madame
de Warens, denen Rousseau gleichsam leibhaftig begegnete, sondern auch
Namen wie die von Homer oder Jesus, die eine andere, aber ebensowenig
vernachlässigbare Rolle für Rousseaus Leben, sein Denken und seine
Werke spielten. Die Artikel über einzelne Werke, zu denen auch
Fragmente und erst postum veröffentlichte Texte zählen, führen jeweils
zunächst die Entstehungs- und Veröffentlichungsdaten auf, beschreiben
die existierenden Handschriften, fassen den Inhalt des Textes mehr
oder weniger kurz zusammen und liefern dann eine Interpretation sowie
einen Überblick über den Forschungsstand zum jeweiligen Text.
Abschließend werden die wichtigsten, vor allem die kritischen Ausgaben
und die grundlegenden Titel aus der in aller Regel mehr als
umfangreichen Sekundärliteratur genannt. Eine solche Kurzbibliographie
findet sich auch am Ende aller übrigen Einträge; zuvor wird bei den
Personen- und Ortsartikeln außerdem - gegebenenfalls - auf die
Passagen in Rousseaus Werk oder Korrespondenz verwiesen, in denen die
betreffenden Personen oder Orte erwähnt werden. Die mehr als 200
Themenartikel[1] hingegen nehmen in den fortlaufenden Text nicht nur
zahlreiche Zitate auf, sondern darüber hinaus sehr viele konkrete
Verweisungen auf die verschiedensten Schriften Rousseaus (mit Angabe
der Band- und Seitenzahl der Oeuvres complètes bzw. der Correspondance
complète), wobei oft eine Art Rousseau-spezifischer
"Begriffsgeschichte" geschrieben wird, indem beispielsweise auf eine
handliche Definition des Begriffs Bonheur verzichtet wird, um statt
dessen die unterschiedliche Verwendung des Wortes von den frühesten
Schriften an bis zu den Rêveries nachzuzeichnen. Zudem wird der
enzyklopädische Anspruch hier wie generell auch dadurch zu
verwirklichen versucht, daß teils am Ende der Artikel, teils und vor
allem im Text auf andere Einträge verwiesen wird, so daß oft ein
punktueller Einstieg die Verbindung zu sehr vielen anderen Punkten
herzustellen erlaubt.
Die Länge der einzelnen Beiträge variiert naturgemäß sehr stark:
Umfassen manche Einträge nur wenige Zeilen, erreichen andere, wie etwa
der über die Confessions, der zu den Oratoriens oder der Artikel
Botanique, mehrere Seiten, so daß auf dem verhältnismäßig knappen Raum
eines nicht einmal 1000 Seiten starken Lexikons doch eine recht
differenzierte Darstellung möglich ist.
Nicht zuletzt darin unterscheidet sich der Band grundlegend von dem
1992 erschienenen Rousseau dictionary von N. J. H. Dent, auf das die
Herausgeber in ihrem Vorwort Bezug nehmen. Das Werk besitzt mit seinen
ca. 280 Seiten, von denen allerdings nur ca. 220 Seiten auf den
Lexikonteil entfallen, einen ungleich geringeren Umfang als das
Dictionnaire und legt den Schwerpunkt gezielt auf einen Aspekt,
nämlich auf den Philosophen Rousseau. Entsprechend wurden bedeutend
weniger Stichwörter aufgenommen - in erster Linie die Hauptwerke und
wichtigsten Gedanken Rousseaus, daneben einige wenige Artikel zum
zeitgeschichtlichen Hintergrund oder zusammenfassend zu kleineren
Werken -, die Artikel sind kürzer, summarischer als im französischen
Pendant und bieten weniger direkten Textbezug. So begnügt sich etwa
der Artikel über Julie ou La nouvelle Hélo‹se weitgehend mit der
Entstehungsgeschichte und einer Inhaltsangabe des Romans; als
Kommentar werden nur kurz drei Interpretationsthesen - leider ohne
Nennung ihrer jeweiligen Verfechter - genannt, während im Dictionnaire
der Kommentar den Umfang der Inhaltsangabe weit überschreitet und
viele für den Roman wesentliche Fragen anschneidet, beispielsweise zu
Struktur und Sprache des Romans, zur Gattung des Briefromans, zu
Bezügen zu weiteren Texten Rousseaus oder anderer Autoren etc.
Ähnliches fällt auch im Artikel über die Rêveries du promeneur
solitaire auf: Das englischsprachige Lexikon begnügt sich wiederum
nahezu mit einer knappen Zusammenfassung dessen, was die zehn
Spaziergänge "erzählen", sagt aber nichts etwa zur Problematik des
Begriffs "rêverie", sondern verwendet ihn ungefähr so wie das heutige
Wort "Träumerei". Demgegenüber widmet das französiche Lexikon allein
dem Begriff einen eigenen, über sechs Spalten umfassenden Artikel, um
anschließend in fast 18 Spalten ausführlich auf dieses letzte und
bedeutende Werk Rousseaus einzugehen. Dieselben Tendenzen gelten für
die Sammelartikel zu kleineren Werken oder auch für die Sachartikel.
So gründet etwa der Artikel Women ausschließlich auf den
diesbezüglichen Aussagen im Roman Emile ou de l'éducation, während für
den Artikel Femme zahlreiche unterschiedliche Texte Rousseaus
- autobiographische Schriften, Romane, theoretische Werke, in anderen
Fällen noch zusätzlich die Korrespondenz - berücksichtigt wurden. Eine
solch nuancierte Auseinandersetzung mit dem Thema wird hier wie
überall der Komplexität des Rousseau'schen Denkens natürlich weit eher
gerecht als die oft zu stark reduzierende Darstellung im Rousseau
dictionary.
Insgesamt läßt sich demnach festhalten, daß spätestens mit dem
Erscheinen des Dictionnaire de Jean-Jacques Rousseau der
englischsprachige Vorgänger überflüssig geworden ist, während dieses
französische Lexikon sich selbst nachdrücklich empfiehlt, da es nicht
nur sehr viele Aspekte anschneidet, sondern dank der breitgefächerten
Darstellung und des jeweils sehr großen Spektrums an Referenztexten,
verbunden mit den wichtigsten Literaturhinweisen, tatsächlich einen
ausgesprochen brauchbaren und oft sehr hilfreichen Einstieg in ein
Thema ermöglicht. Es bleibt nur zu wünschen, daß die etwa noch
folgenden Bände der neuen Reihe Dictionnaires et références sich als
ebenso erfreulich erweisen wie dieser erste Band.
Barbara Kuhn
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