Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
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Dictionnaire des lettres françaises


97-1/2-152
Dictionnaire des lettres françaises / publ. sous la direction du Cardinal Georges Grente. - [Paris] : Fayard. - 24 cm
[3099]
Le XVIIe siècle / ouvrage préparé par Albert Pauphilet ... Éd. entièrement révisée, amendée et mise à jour sous la direction de Patrick Dandrey par Emmanuel Bury ... - 1996. - LXIV, 1278 S. - ISBN 2-213-59435-X : FF 390.00
Le XVIIIe siècle. - Éd. rev. et mise à jour sous la direction de François Moureau. - 1995. - LXVI, 1371 S. - ISBN 2-213-59543-7 : FF 390.00

Mit den Bänden zum 17. und 18. Jahrhundert wird die Neuausgabe des altehrwürdigen Grente, genauer, des von Cardinal Georges Grente herausgegebenen Dictionnaire des lettres françaises, fortgesetzt, die 1992 mit dem von Geneviève Hasenohr und Michel Zink überarbeiteten, ausgezeichneten Band zum Mittelalter begann.[1] Leider können die beiden neuen Bände dem Vergleich mit dem zuerst erschienenen in keiner Weise standhalten, da beispielsweise im Falle des Bandes zum 18. Jahrhundert keine "édition entièrement revue et mise à jour" vorliegt, sondern lediglich eine "édition revue et mise à jour", die dem Vorgänger in weit stärkerem Maße treu bleibt, als Zink und Hasenohr es mit ihrem Band taten. Wie Moreau in seinem Vorwort präzisiert, bestand für ihn die Wahl zwischen zwei gleichermaßen unbefriedigenden Arbeitshypothesen: Weder ein unveränderter Wiederabdruck noch eine völlige Neubearbeitung könnten dem gewiß überholten, aber doch bewährten Grente gerecht werden, da die erste Lösung nur dessen veralteten Charakter unterstreichen, die zweite ein völlig neues Opus entstehen lassen würde. Die schließlich getroffene Entscheidung besteht im wesentlichen aus einer Aktualisierung sämtlicher bibliographischen Angaben, einer Korrektur der entdeckten Irrtümer sowie gelegentlichen Hinzufügungen und seltenen Strichen gegenüber der Erstausgabe. Nicht ganz so treu bleibt der Band zum 17. Jahrhundert[2] seinem Vorgänger: Schon das Vorwort des Herausgebers ist ein rhetorisch geschicktes Lavieren zwischen der (notwendigen?) Ehrerbietung vor der alten und der Begründung der Notwendigkeit einer neuen Ausgabe. Kritisiert wird in erster Linie, daß der alte Grente die "écriture religieuse" vor der "pensée profane" privilegiert und deshalb den "oeuvres morales, apologétiques, voire académiques" (S. V) im Verhältnis zuviel Gewicht und Raum zugemessen habe, doch wird diese Kritik sogleich wieder relativiert, insofern die Anwendung dieses Prinzips bei einem Lexikon zum 17. Jahrhundert, dem "siècle des saints", weit weniger Schaden anrichte als bei der Beschäftigung mit der Renaissance oder gar - eine recht unverhohlene Kritik am Band zum 18. Jahrhundert - mit der Aufklärung. Auch hier besteht demnach die Aktualisierung vor allem aus den durchweg angebrachten bibliographischen Ergänzungen, aus Korrekturen und Hinzufügungen, oft in Form eines den jeweiligen Artikel beschließenden neuen Abschnitts, und aus gelegentlichen Ersetzungen eines kompletten Artikels. Als oberste Regel galt, die maximale Zahl der Einträge - nahezu 2000 Artikel und etwa 3000 Kurzinformationen - zu erhalten; ungefähr zehn neue Artikel kamen hinzu, und etwa hundert Texte wurden durch aktuellere ersetzt, in allen übrigen Fällen wurden die bisherigen Einträge entweder vollständig übernommen oder durch neue Informationen in eckigen Klammern ergänzt.

Wie bisher liegt demnach der Schwerpunkt des Dictionnaire auf den Einträgen zu Autoren und anderen Personen, und wie bisher ist der Anteil an Geistlichen für ein Literaturlexikon verblüffend hoch. Daneben werden die Titel von Anonyma, Kollektivwerken und Zeitschriften mit eigenen Artikeln bedacht, während von den Sachtiteln der bekannteren Autorenwerke in dem Band zum 18. Jahrhundert auf deren Verfasser verwiesen wird; der Band zum 17. Jahrhundert verzichtet, außer bei Anonyma, auf Werkeinträge. Zusätzlich enthält das Lexikon Einträge zu Sachbegriffen wie Gattungen, Institutionen, Strömungen, Einflüssen durch oder auf andere Literaturen etc., die in dem Band zum 18. Jahrhundert wie in der alten Ausgabe zusätzlich in einem Register am Ende des Bandes aufgeführt sind, um einen raschen Überblick zu gewährleisten.

Ein Vergleich mit der Ausgabe von 1960 erweist, daß lediglich fünf neue Sachbegriffe aufgenommen wurden; die Lektüre dieser fünf Artikel - Afrique, Allemagne, Femme, Franc-maçonnerie und Jansénisme - enttäuscht allerdings sehr rasch die durch das Register oder auch durch den Vergleich mit analogen Artikeln geweckten Erwartungen: Während etwa die aus dem Vorgänger übernommenen Artikel über die literarischen Beziehungen zu Spanien oder England neun bzw. über elf Spalten lang sind, beschränken sich die Artikel zu Afrika und Deutschland auf einige Literaturangaben, und im Falle der drei anderen Begriffe werden zusätzlich zu den bibliographischen Informationen ebenfalls nur sehr wenige Worte gemacht, obwohl doch, um nur ein Beispiel zu nennen, die Jansenisten neben den mit über 14 Spalten bedachten Jesuiten gewiß mehr als knappe sechs Zeilen verdient hätten, zumal nach wie vor Benediktiner, Kapuziner, Dominikaner und Ursulinerinnen mit zum Teil sehr ausführlichen Artikeln im Lexikon vertreten sind. Diese wurden weder gekürzt noch überarbeitet, so daß auch in der Ausgabe von 1995 beispielsweise über den im 18. Jahrhundert drohenden Rationalismus oder die schwere Aufgabe der Kapuziner zur Zeit eines Voltaire geklagt, hingegen der heilsame Einfluß der Missionare, im Unterschied zu jenem der Aufklärer, hervorgehoben wird.

Als nach wie vor inkonsequent und nicht unbedingt auf aktuellstem Stand muß ferner die Auswahl der - laut Register doch berücksichtigten - Gattungen erscheinen: 19 lange, weitgehend biblisch orientierte Spalten informieren den Leser über den Cantique,[3] noch weit mehr über das Chanson, und den Chansons enfantines wird ein zusätzlicher eigener Artikel gewidmet, ebenso wie den Contes de fée au XVIIIe siècle, obgleich der Artikel mit der bedauernden Feststellung schließt, nach dem 17. Jahrhundert und Perrault, dem "maître incontestable du genre", seien nur mehr "faibles résultats" erzielt worden. Dennoch werden diese in beinahe drei Spalten dargestellt, während der im 18. Jahrhundert doch gewiß wichtigere conte philosophique völlig unberücksichtigt bleibt. Tendenzen des Romans und des Theaters werden in der Vue générale zu Beginn des Werkes kurz dargestellt; einen eigenen Artikel beispielsweise zum Briefroman, der im 18. Jahrhundert seine Blütezeit erlebt, vermißt man ebenso wie einen zur Komödie im Jahrhundert Marivaux' und Beaumarchais', während die Tragödie mit immerhin vier Spalten vertreten ist. Hinweise etwa auf die in diesem Jahrhundert neuen Gattungen wie comédie larmoyante oder drame gibt allenfalls deren Erwähnung in der Vue générale; der vielversprechende Artikel Lecture, théâtre et public - leider ohne Verweisung etwa von Théâtre oder Spectacle - erweist sich als weitere Enttäuschung: Erneut wird hier das 18. Jahrhundert nicht in seinen Eigenheiten, sondern nur als dekadente Phase nach dem 17. gesehen, wenn es etwa heißt, Voltaire reiche nicht an La Fontaine, Montesquieu nicht an Descartes und Rousseau nicht an Pascal heran. Mehrfach werden Unfrömmigkeit und Sittenverfall bedauert - "Avec le libertinage vient l'impiété!" (S. 717) -, und ein Marquis de Sade "mérite à peine d'être nommé" (S. 720), obwohl im Avertissement de la nouvelle édition des Dictionnaire ausdrücklich auf die inzwischen anerkannte Bedeutung de Sades hingewiesen und der ihm gewidmete Artikel völlig neu verfaßt wurde. Das Ende des Artikels über Lecture, théâtre et public wird 1995 um eine Spalte (inklusive Literaturangaben) bereichert, die in entschieden zu knapper Form zu korrigieren und zu kritisieren versucht. Besser wäre es gewesen, auch diesen Artikel neu zu schreiben, statt die Ausgabe von 1960 durch den ungekürzten Wiederabdruck zu ehren.

Das Beispiel des Artikels zu de Sade bleibt leider eine der wenigen Ausnahmen in der Neuausgabe des Dictionnaire. In zahlreichen anderen Fällen wurden die Autoreinträge unverändert übernommen und lediglich die bibliographischen Angaben aktualisiert, so daß die durch die Verfasser oder Herausgeber vorgenommene und sich nicht zuletzt in der Länge der Artikel widerspiegelnde Wertung sich ebenfalls kritiklos wiederholt. Das Oeuvre eines Marivaux beispielsweise ist gewiß ungleich umfangreicher als das eines Laclos und verdient damit einen umfangreicheren Artikel; daß jedoch letzterem nicht einmal ein Zehntel davon zukommt und daß diese knapp viereinhalb Spalten sich fast ausschließlich mit der Biographie des Autors der Liaisons dangereuses statt wesentlich mit seinem Roman befassen, der auch für die weitere Geschichte dieser Gattung sehr bedeutend war, läßt sich nur schwer rechtfertigen. Hier wäre es zumindest angesagt gewesen, der Biographie, wie im Falle von Crébillon fils, eine detailliertere Analyse des Werkes hinzuzufügen oder, wie im Falle von Diderot, die früheren Besprechungen durch aktuellere zu ersetzen.[4] Verglichen wiederum mit Marivaux, aber auch mit Rousseau oder Voltaire, kommt zwar Diderot, gemessen an der ihm heute zuerkannten Bedeutung, nach wie vor zu kurz, doch wurden hier, im Unterschied zu den oben erwähnten Beispielen, immerhin Sätze wie der frühere Schlußsatz gestrichen, in dem es hieß: "Certes il a des parties de grand écrivain [...]. Mais son oeuvre, encombrée de fatras et souillée de grossièretés, ne contient, mis à part le Neveu de Rameau, aucun ouvrage achevé" (S. 388).

In geringerem Maße gilt dieselbe Kritik auch für den ein Jahr später erschienenen Band zum 17. Jahrhundert. Ob beispielsweise die Artikel zu Vincent de Paul, der kein Buch, nur "lettres" und "conférences spirituelles" geschrieben hat (vgl. S. 1260), oder zum Kardinal Pierre de Berulle, der eher auf geistlicher als auf literarischer Ebene seinen Einfluß ausübte (vgl. S. 143), noch einmal in voller Länge abgedruckt werden mußten, läßt sich in Frage stellen, und ebenso, ob die Einträge zu Scarron, Scudéry, Sorel oder d'Urfé durch eine vollständige Überarbeitung nicht mehr gewonnen hätten als durch einen hinzugefügten Abschnitt, der manchmal vor allem den Zweck zu haben scheint, das Vorausgegangene als überholt zu brandmarken. So enthält etwa der übernommene Artikel zu Honoré d'Urfé und seiner Astrée mehrere Wiederholungen, die nicht erneut hätten aufgenommen werden müssen; in dem kurzen neuen Absatz am Ende ist die Rede von den zahlreichen neuen Forschungsarbeiten, die die "richesse technique, poétique, symbolique, voire idéologique" des Romans aufgedeckt und in ihren Interpretationen auch von den "recherches diverses sur les conditions de publication du texte et sur les questions que pose son inachèvement" profitiert hätten (S. 1239). Gewiß wäre eine auf dem heutigen Forschungsstand basierende, den erwähnten Reichtum aufzeigende Einführung fruchtbarer für eine erste Auseinandersetzung mit dem Roman gewesen als der alte Artikel. Hingegen entspricht der neue Eintrag zu Guilleragues, der die ursprüngliche Notiz ersetzt, dem gegenwärtigen Stand der Forschung, demzufolge der angebliche und lange als solcher angesehene Herausgeber der Lettres portugaises tatsächlich der Autor dieses frühen Briefromans ist; allerdings hätte der Eintrag zum Roman selbst, gemäß dem im Vorwort geäußerten Prinzip, Werkartikel nur für Anonyma beizubehalten, wegfallen bzw. in neuer Form dem Autoreneintrag hinzugefügt werden müssen, zumal auch diesem Artikel wiederum nur ein neuer Absatz hinzugefügt wurde, obwohl "l'approche critique" durch die in den sechziger Jahren gewonnenen Erkenntnisse "totalement renouvelée" wurde (S. 755). Noch krasser wird der Widerspruch im Artikel Traduction, wo der Roman nach wie vor als ein von Guilleragues nicht selbst verfaßtes, sondern nur aus dem Portugiesischen ins Französische übersetztes Werk gehandelt wird.

Doch auch in bezug auf die sogenannten großen Autoren des 17. Jahrhunderts, deren Einschätzung sich nicht grundlegend, aber doch in vielen Punkten geändert hat, wäre häufig eine detaillierte Überarbeitung wünschenswert gewesen,[5] da beispielsweise moralische Appelle an heutige Schriftsteller, die sich etwa Boileau zum Vorbild erwählen und sich seine Verse zu Herzen nehmen sollten (vgl. S. 166), in einem Literaturlexikon über das 17. Jahrhundert ebenso deplaziert wirken wie die den Boileau-Artikel abschließende schwärmerische Feststellung: "il demeure un des plus honorables représentants du meilleur esprit français" (S. 166).

Generell gilt demnach auch für die Personenartikel, daß die neue Ausgabe des Dictionnaire gegenüber der früheren relativ wenig Neues bringt; Stichproben zeigen, daß einige wenige kurze Artikel fehlen sowie gelegentlich die Reihenfolge von Einträgen berichtigt wurde. Leider ließ die allzugroße Treue der heutigen Herausgeber zum Grente, vor allem was den Band über das 18. Jahrhundert anbelangt, trotz der Neubearbeitung kein Lexikon entstehen, das derzeitigen Anforderungen gerecht wird, so daß sich für Bibliotheken, die den alten Grente bereits besitzen, bei Bedarf an aktuellen Nachschlagewerken eher die Anschaffung anderer Lexika zur französischen Literatur empfiehlt, denn als historisches Dokument dürfte die alte Ausgabe genügen - ein Lexikon jedoch sollte andere Bedürfnisse befriedigen.

Barbara Kuhn


[1]
Vgl. IFB 96-2/3-249 - 250. (zurück)
[2]
Vgl. die Rezension von Peter France in Times literary supplement. - 1996-11-01, S. 13. (zurück)
[3]
Zum Vergleich: Der New Oxford companion to literature in French berücksichtigt das Stichwort überhaupt nicht, Englers Lexikon der französischen Literatur, dem der Grente als Quelle zugrundeliegt, widmet ihm nicht einmal sechs Zeilen, was der Bedeutung des Cantique im Vergleich zu anderen, im 18. Jahrhundert relevanten Gattungen weit eher entspricht. (zurück)
[4]
Diese Tendenz, der Biographie eines Autors mindestens gleich viel Raum zuzumessen wie seinem Werk, wird etwa auch am sehr ausführlichen Artikel zu Voltaire deutlich, der im wesentlichen nach den Lebensstationen und nur selten nach den Texten Voltaires untergliedert ist und stilistisch mehr an einen Balzac-Roman als an ein literaturwissenschaftliches Werk erinnert, sei es durch die zahlreichen eingestreuten Anekdoten, sei es durch scheinbar allgemeingültige Aussagen wie "Mais les êtres actifs sont sans rancune" (S. 1344 -1345) oder "comme le sont tant de Français" (S. 1347), sei es schließlich durch emphatische Fragen wie die im abschließenden großen Absatz: "Fut-il un grand caractère? [...] Fut-il une grande intelligence? [...] Eut-il un grand cour?" (S. 1357). Ob eine solche Ausrichtung viel zum Verständnis von literarischen Texten beitragen kann, läßt sich zumindest in Frage stellen. (zurück)
[5]
Vgl. die in der erwähnten Rezension ausgesprochene Kritik von Peter France an den beiden umfassenden Artikeln zu Molière und Racine. (zurück)

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