Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
[ Bestand in K10plus ]

Französisches Mittelalter


97-1/2-151
Französisches Mittelalter / Frank-Rutger Hausmann. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1996. - VII, 306 S. ; 23 cm. - (Lehrbuch Romanistik). - ISBN 3-476-01422-3 : DM 49.80
[3647]

Lehrbuch Romanistik - auf dem Titelblatt vom Verlag unglücklicherweise wie ein Zusatz zum Sachtitel behandelt, obwohl es sich offensichtlich um den Titel einer ungezählten Schriftenreihe handelt - verweist bereits auf die Konzeption des Bandes, dem, wie Hausmann im Vorwort erwähnt, "zwei weitere Bände, 'Renaissance und Klassik'[1] bzw. 'Aufklärung und 19. Jahrhundert' folgen" sollen: "Die 'Lehrbücher' sollen und können keine literaturgeschichtlichen Darstellungen ersetzen. [...] Sie wenden sich nicht an den Forscher, sondern an den Fachstudenten, wollen aber auch Interessenten anderer Disziplinen beim besseren Verständnis der französischen Literatur behilflich sein" (S. [IX]).

Die Lektüre dieses ersten, dem Mittelalter gewidmeten Bandes erweist denn auch, daß sein Ziel nicht so sehr darin liegt, die literaturhistorische Epoche darzustellen, sondern eher darin, einen allgemeinen - also ebensowenig einen auf die politische Geschichte begrenzten - Überblick über die Zeit zu geben. Entsprechend breit gefächert sind die einzelnen Kapitel, die neben der Geschichte [...] Frankreichs im Mittelalter beispielsweise Stände, Institutionen und Landesbeschaffenheit, Die Wissenschaften, Gattungen und Stoffe der altfranzösischen Literatur oder Mittelalterliche Hermeneutik zum Gegenstand haben. Innerhalb dieser Kapitel finden sich zum Teil recht heterogene Unterkapitel,[2] in denen - dann doch - immer wieder der Bezug zur Literatur hergestellt wird, da zum einen das Buch ja als Lehrbuch für Romanisten und nicht für Historiker gedacht ist, zum anderen die literarischen Texte an zahlreichen Stellen als historische Quelle, beispielsweise für die "Ritterliche Eß- und Wohnkultur" oder für das "Leben in den Städten", herangezogen werden.[3]

Diese Ausrichtung auf eine möglichst allgemeine Darstellung hat zur Folge, daß das Werk in bezug auf die Literatur nicht sehr in die Tiefe gehen kann, vielmehr statt dessen gelegentlich redundant wirkt, da beispielsweise die chansons de geste in mehreren Zusammenhängen von Belang sind und deshalb immer wieder "noch einmal daran erinnert [wird], daß [ihr] Stoff [...] in drei Zyklen eingeteilt wird, die im Deutschen Karls-, Wilhelms und Empörergeste heißen" (S. 193).[4] Da das "Lehrbuch" aber, wie erwähnt, keine primär literaturhistorische Abhandlung liefern und weder die Lektüre von Literaturgeschichten noch - was nicht gesagt wird, aber vermutet werden darf - die der literarischen Texte selbst überflüssig machen will, wird es gewiß für viele Studierende und anderweitig am Thema Interessierte dank seiner sehr umfassenden und informativen Präsentation der Epoche eine große Hilfe darstellen, zumal diese nicht nur durch ein detailliertes Register der wichtigsten Eigennamen und Werktitel ergänzt wird, das auch einen raschen punktuellen Einstieg ermöglicht, sondern zudem durch eine Auswahlbibliographie[5] der Primär- und Sekundärliteratur zum französischen Mittelalter.

Barbara Kuhn


[1]
Im Mai 1997 erschien: Französische Renaissance / Frank-Rutger Hausmann. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1997. - VI, 245 S. ; 23 cm. - (Lehrbuch Romanistik). - ISBN 3-476-01521-1 : DM 49.80 [4122]. Eine Rezension in IFB ist vorgesehen. (zurück)
[2]
So folgen z.B. im Kapitel über die Geschichte Frankreichs im Mittelalter aufeinander: Die 'chanson de geste' und ihre Anordnung in drei Zyklen, Das Kloster Saint-Denis, Die Karlsepen, Die Kreuzzüge etc. (zurück)
[3]
An anderen Stellen freilich werden - gewiß zu Recht - Zweifel an der Eignung der literarischen Texte als historische Quellen deutlich, etwa wo es um die Beschreibung der Sarazenen in den altfranzösischen Texten geht, die "keinesfalls realistisch" sei, sondern "topischen Stilisierungen" entspringe (S. 65). Analog müßten vermutlich viele Textpassagen gelesen werden, denn auch in anderen Bereichen fällt auf, daß sich bestimmte Beschreibungen, z.B. von Festmählern, toposartig wiederholen und es sich von daher nicht immer, wenn "in der altfranzösischen Literatur von Speisen die Rede ist, [...] um Festmähler wohlhabender Leute" handelt (S. 99). Die chansons de geste mögen zwar stärker als andere Gattungen von außerliterarischer Realität beeinflußt sein und deshalb "als in hohem Maße historisch orientiert bezeichnet werden" (S. 87), sie sind aber doch auch literarische Texte, die wesentlich aus der Auseinandersetzung mit anderen Texten entstehen, und nicht - was Hausmann natürlich auch nicht unterstellt - bloße Widerspiegelung irgendeiner außerliterarischen Realität. (zurück)
[4]
Solche Redundanz - wie auch die stilistische Gestaltung des Textes - mag ihren Ursprung ferner in dem Umstand haben, daß der Band, wie Hausmann im Vorwort präzisiert, "aus Vorlesungen hervorgegangen" ist und sich daher, wie sein Gegenstand, die mittelalterliche Literatur, auch, zunächst nicht an Leser, sondern an Hörer wandte, die dem auctor für die Redundanz gewiß nur dankbar waren. (zurück)
[5]
Hier sind leider, auch wenn die Bibliographie laut Vorwort nur eine repräsentative Auswahl, keine vollständige Liste der Vorläufer, wichtigen Nachschlagewerke und neueren Monographien geben will, einige bedauerliche Lücken festzustellen. Insbesondere werden weder Paul Zumthor noch Michel Zink mit ihren Werken im Literaturverzeichnis genannt (letzterer nur als Mitherausgeber des neuen Mittelalterbandes innerhalb des Dictionnaire des lettres françaises); beide werden lediglich in einigen wenigen Anmerkungen erwähnt, obwohl doch beide nicht nur sehr renommierte französische Mediävisten sind, sondern vor allem mehrfach grundlegende Arbeiten zur französischen Literatur des Mittelalters vorgelegt haben. Aber solche Lücken lassen sich ja in einer eventuellen zweiten Auflage gewiß schließen. (zurück)

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