Die Lektüre dieses ersten, dem Mittelalter gewidmeten Bandes erweist
denn auch, daß sein Ziel nicht so sehr darin liegt, die
literaturhistorische Epoche darzustellen, sondern eher darin, einen
allgemeinen - also ebensowenig einen auf die politische Geschichte
begrenzten - Überblick über die Zeit zu geben. Entsprechend breit
gefächert sind die einzelnen Kapitel, die neben der Geschichte [...]
Frankreichs im Mittelalter beispielsweise Stände, Institutionen und
Landesbeschaffenheit, Die Wissenschaften, Gattungen und Stoffe der
altfranzösischen Literatur oder Mittelalterliche Hermeneutik zum
Gegenstand haben. Innerhalb dieser Kapitel finden sich zum Teil recht
heterogene Unterkapitel,[2] in denen - dann doch - immer wieder der
Bezug zur Literatur hergestellt wird, da zum einen das Buch ja als
Lehrbuch für Romanisten und nicht für Historiker gedacht ist, zum
anderen die literarischen Texte an zahlreichen Stellen als historische
Quelle, beispielsweise für die "Ritterliche Eß- und Wohnkultur" oder
für das "Leben in den Städten", herangezogen werden.[3]
Diese Ausrichtung auf eine möglichst allgemeine Darstellung hat zur
Folge, daß das Werk in bezug auf die Literatur nicht sehr in die Tiefe
gehen kann, vielmehr statt dessen gelegentlich redundant wirkt, da
beispielsweise die chansons de geste in mehreren Zusammenhängen von
Belang sind und deshalb immer wieder "noch einmal daran erinnert
[wird], daß [ihr] Stoff [...] in drei Zyklen eingeteilt wird, die im
Deutschen Karls-, Wilhelms und Empörergeste heißen" (S. 193).[4] Da das
"Lehrbuch" aber, wie erwähnt, keine primär literaturhistorische
Abhandlung liefern und weder die Lektüre von Literaturgeschichten noch
- was nicht gesagt wird, aber vermutet werden darf - die der
literarischen Texte selbst überflüssig machen will, wird es gewiß für
viele Studierende und anderweitig am Thema Interessierte dank seiner
sehr umfassenden und informativen Präsentation der Epoche eine große
Hilfe darstellen, zumal diese nicht nur durch ein detailliertes
Register der wichtigsten Eigennamen und Werktitel ergänzt wird, das
auch einen raschen punktuellen Einstieg ermöglicht, sondern zudem
durch eine Auswahlbibliographie[5] der Primär- und Sekundärliteratur zum
französischen Mittelalter.
Barbara Kuhn
- [1]
- Im Mai 1997 erschien: Französische Renaissance / Frank-Rutger
Hausmann. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1997. - VI, 245 S. ; 23 cm.
- (Lehrbuch Romanistik). - ISBN 3-476-01521-1 : DM 49.80 [4122]. Eine
Rezension in IFB ist vorgesehen.
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- [2]
- So folgen z.B. im Kapitel über die Geschichte Frankreichs im
Mittelalter aufeinander: Die 'chanson de geste' und ihre Anordnung in
drei Zyklen, Das Kloster Saint-Denis, Die Karlsepen, Die Kreuzzüge
etc.
(zurück)
- [3]
- An anderen Stellen freilich werden - gewiß zu Recht - Zweifel an
der Eignung der literarischen Texte als historische Quellen deutlich,
etwa wo es um die Beschreibung der Sarazenen in den altfranzösischen
Texten geht, die "keinesfalls realistisch" sei, sondern "topischen
Stilisierungen" entspringe (S. 65). Analog müßten vermutlich viele
Textpassagen gelesen werden, denn auch in anderen Bereichen fällt auf,
daß sich bestimmte Beschreibungen, z.B. von Festmählern, toposartig
wiederholen und es sich von daher nicht immer, wenn "in der
altfranzösischen Literatur von Speisen die Rede ist, [...] um
Festmähler wohlhabender Leute" handelt (S. 99). Die chansons de geste
mögen zwar stärker als andere Gattungen von außerliterarischer
Realität beeinflußt sein und deshalb "als in hohem Maße historisch
orientiert bezeichnet werden" (S. 87), sie sind aber doch auch
literarische Texte, die wesentlich aus der Auseinandersetzung mit
anderen Texten entstehen, und nicht - was Hausmann natürlich auch
nicht unterstellt - bloße Widerspiegelung irgendeiner
außerliterarischen Realität.
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- [4]
- Solche Redundanz - wie auch die stilistische Gestaltung des Textes
- mag ihren Ursprung ferner in dem Umstand haben, daß der Band, wie
Hausmann im Vorwort präzisiert, "aus Vorlesungen hervorgegangen" ist
und sich daher, wie sein Gegenstand, die mittelalterliche Literatur,
auch, zunächst nicht an Leser, sondern an Hörer wandte, die dem auctor
für die Redundanz gewiß nur dankbar waren.
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- [5]
- Hier sind leider, auch wenn die Bibliographie laut Vorwort nur eine
repräsentative Auswahl, keine vollständige Liste der Vorläufer,
wichtigen Nachschlagewerke und neueren Monographien geben will, einige
bedauerliche Lücken festzustellen. Insbesondere werden weder Paul
Zumthor noch Michel Zink mit ihren Werken im Literaturverzeichnis
genannt (letzterer nur als Mitherausgeber des neuen Mittelalterbandes
innerhalb des Dictionnaire des lettres françaises); beide werden
lediglich in einigen wenigen Anmerkungen erwähnt, obwohl doch beide
nicht nur sehr renommierte französische Mediävisten sind, sondern vor
allem mehrfach grundlegende Arbeiten zur französischen Literatur des
Mittelalters vorgelegt haben. Aber solche Lücken lassen sich ja in
einer eventuellen zweiten Auflage gewiß schließen.
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