Diese Literaturgeschichte kann als weitgehend gelungen gelten - und
dies insbesondere im Bereich der ethnischen Literaturen im Kapitel
Multikulturalität. Zweifel bleiben jedoch einerseits an der Konzeption
des Bandes, vornehmlich an der Einbeziehung der englischsprachigen
Literatur Kanadas und an der Gewichtung der Einzelkapitel,
andererseits an der Funktion als Nachschlagewerk, die ja auch von
einer Literaturgeschichte zu erwarten ist. In einer einbändigen
Literaturgeschichte, der ersten eigenständigen, nachdem die Werke von
Walter Pache und Konrad Groß nicht als Literaturgeschichten im vollen
Sinn des Wortes konzipiert oder nutzbar waren,[2] bleibt nicht genügend
Raum, um der kanadischen Literatur gerecht zu werden, in der natürlich
Lyrik[3] und Prosa Vorrang erhalten, und das moderne Drama auf knappstem
Raum angesprochen wird, so daß für George Ryga oder John Coulter der
Platz nicht mehr reicht. Ein eigenständiger Band für Kanada,
vielleicht zusammen mit einer Darstellung der franko-kanadischen
Literatur, erscheint in mehrfacher Hinsicht sinnvoller.[4]
Zweifel an der Gewichtung und Raumzuweisung ergeben sich auch an
anderen Stellen. Eine einbändige Literaturgeschichte erzwingt
naturgemäß massive Beschränkungen und eine scharfe Auswahl, und die
beabsichtigte "bewußt Schwerpunkte setzende, exemplarisch auswählende
Vorgehensweise, die typische Tendenzen, Autoren und Texte ...
herausgreift und an charakteristischen Beispielen vorstellt" (S. XI),
kommt auch dem Leser entgegen. Dennoch bleibt das Ergebnis
problematisch, wenn, dieses Beispiel mag genügen, in der modernen
amerikanischen Lyrik Autoren wie Elizabeth Bishop, John Hollander oder
Randall Jarrell außer Acht gelassen werden. Andererseits bedingt das
selbständige Kapitel zur Literaturkritik und Literaturtheorie
zwangsläufig Doppelungen insbesondere in den Abschnitten Die
amerikanische Moderne und Postmoderne bis zur Gegenwart, so daß etwa
der New historicism doppelt behandelt wird.
Der zweite Hauptpunkt der Kritik gilt, wie schon bei der Englischen
Literaturgeschichte, den deutlichen Defiziten im Nachschlagewert -
insbesondere in der Bibliographie und im Register. So erschließt, um
mit dem letzteren zu beginnen, das insgesamt knapp gehaltene, aber
ansonsten sorgfältig erarbeitete Register nur Personen und Werke, so
daß, um nur zwei Beispiele herauszugreifen, Informationen zum
Objectivism oder zur Yale School nicht darin gefunden werden können.
In der leider nicht annotierten, nur nach den Kapiteln grob
gegliederten Bibliographie ist die schnelle Grundinformation etwa zu
Standardausgaben der Autoren oder zu Sekundärtiteln nicht möglich, so
daß der Band hier hinter den Leistungen älterer, inzwischen freilich
zum Teil überholter deutschsprachiger Darstellungen zurückbleibt. Dies
gilt umso mehr, als die Bibliographie in einigen Abschnitten bei einer
ansonsten recht guten Auswahl grundlegende Titel außer Acht läßt[5] oder
überholte Auflagen[6] nennt. Eine Reihe von Druckfehlern oder Versehen[7]
wäre ebenfalls in einer eventuellen Neuauflage zu berichtigen.
Unabhängig von der speziellen Fachdiskussion, auf die hier nicht
eingegangen werden kann, liegt mit diesem Werk eine in der Darstellung
verläßliche, leserfreundliche, preisgünstige, allerdings in manchen
Aspekten verbesserungswürdige Literaturgeschichte vor, die im
zentralen Lesesaal wie auch in Fachbibliotheken anzubieten sein wird.
Sebastian Köppl
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