Während die Mittelalter-Kapitel die bekannte Solidität angelsächsischer Mediävistik erkennen lassen, stellt sich bei gründlicherer Beschäftigung mit den Kapiteln zur Neuzeit doch mehrfach Unmut ein, der sich auch auf die zugeordneten knappen Bibliographien im Anhang erstreckt.
So subjektiv auch jedes Urteil über die Organisation der Stoffmassen in einer solchen Literaturgeschichte sein mag, die folgenden Monita gelten keinen Kleinigkeiten: Da erfährt man auf zwei Seiten etwas über Eduard Claudius, während Matthias Claudius - der von Schopenhauer und Karl Kraus geschätzte - überhaupt nicht vorkommt. Da wird in der Knappheit bloßer Erwähnung en passant ein zu Recht vergessener Autor wie Karl Heinrich Waggerl auf dieselbe Stufe herabgedrückt wie etwa Richard Beer-Hofmann oder Stefan Zweig mit je ganz unterschiedlichen, aber beachtenswerten Anteilen an der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Wieder einmal wird der jüdische Schriftsteller Jakob Wassermann unterschlagen, der das rezeptionsgeschichtliche Unglück hatte, im Jahre 1934 zu früh zu sterben, als daß er zum beachteten Exilautor hätte werden können. Es verwundert nicht, daß der Name Rudolf Borchardt ebenfalls nicht auftaucht.
Zur Bibliographie: Zur neuzeitlichen Literatur führt sie
ausschließlich monographische Forschungsliteratur an; nicht einmal
kommentierte Editionen werden erwähnt. Die Auswahl der Titel mutet
reichlich zufällig an. In der Bibliographie zum Kapitel German
Enlightenment (1720 - 1790) wird zwar ein Aufsatz von Wolfgang Martens
über die Frauenzimmerbibliotheken der deutschen Moralischen
Wochenschriften zitiert, das Hauptwerk des Verfassers, die stupende
Monographie zu den deutschen Moralischen Wochenschriften, zu dem der
Aufsatz nur eine Nebenfrucht bildet, wird nicht erwähnt.[1] Da wird
unter Bonaventura lediglich eine interpretierende Monographie von 1965
zu den Nachtwachen des Bonaventura angeführt, nicht jedoch die
bahnbrechende Monographie von Jost Schillemeit aus dem Jahre 1973, die
das Pseudonym scharfsinnig aufgelöst und das Werk - noch vor der
Bestätigung durch Archivfunde - August Klingemann zugewiesen hatte.
Bei den Brüdern Grimm ist keine der Veröffentlichungen von Heinz
Rölleke zitiert, der mit seinen Quellenstudien der modernen
Grimmforschung allererst die neuen Wege gewiesen hat.
In Zeiten knapper Etats können deutsche Bibliotheken auf den Erwerb
dieses Buches guten Gewissens verzichten.
Hans-Albrecht Koch
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