Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
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Der Literarisierungsprozeß der Volksaufklärung des späten


97-1/2-123
Der Literarisierungsprozeß der Volksaufklärung des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts : dargestellt anhand der Volksschriften von Schlosser, Rochow, Becker, Salzmann und Hebel ; mit einer aktualisierten Bibliographie der Volksaufklärungsschriften / Annegret Völpel. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 1996. - 439 S. ; 21 cm. - (Europäische Hochschulschriften : Reihe 1, Deutsche Sprache und Literatur ; 1568). - Zugl.: Frankfurt (Main), Univ., Diss., 1994. - Bibliographie zur Volksaufklärungsliteratur S. 341 - 402. - Literaturverz. S. 403 - 439. - ISBN 3-631-48802-5 : DM 108.00
[3806]

Die vorliegende Studie widmet sich einem Phänomen der Aufklärungsepoche, auf dessen sozialÄ und kulturgeschichtliche Bedeutung erst in jüngerer Zeit aufmerksam gemacht wurde. Auch wenn die Autorin sich besonders auf literaturhistorische Aspekte konzentriert, wird doch sehr deutlich, daß diese Bürgerinitiative des 18. und 19. Jahrhunderts Ä von den Zeitgenossen als Volksaufklärung bezeichnet Ä mit ihren nach Tausenden zählenden Quellen auch für die Geschichte anderer Disziplinen Ä zu nennen sind hier unter anderem Volkskunde und Agrargeschichte, PädagogikÄ, MedizinÄ und Kirchengeschichte, PresseÄ und allgemeine Wissenschaftsgeschichte - reichhaltiges und aussagekräftiges Material bietet.

Besonders konzentriert sich die Arbeit auf den kinderÄ und jugendliterarischen Aspekt der Volksaufklärung und versteht sich als "Beitrag zu einer interdisziplinär erst noch zu intensivierenden Debatte" (S. 19). Am Beispiel solcher Praktiker und Autoren der Volksaufklärung wie Johann Georg Schlosser, Friedrich Eberhard von Rochow, Rudolph Zacharias Becker, Christian Gotthilf Salzmann und Johann Peter Hebel wird jener Prozeß der Literarisierung untersucht, der Ende der sechziger Jahre begann, nachdem die ersten Aufklärungsversuche seit der Mitte des 18. Jahrhunderts mit sachbezogenen ökonomischen und naturwissenschaftlichen Schriften sich als wenig rezipientengerecht erwiesen hatten. Die Arbeit stellt einen wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Volksaufklärungsliteratur dar, deren Facettenreichtum am Beispiel besonders bekannter Autoren, aber durchaus repräsentativ gezeigt wird. Sachbücher, Katechismen, Landschullesebücher, unterhaltsame "Volksschriften", Zeitungen und Zeitschriften, Romane, Erzählungen und Kalender sind die literarischen und publizistischen Formen, die den Aufklärern zur Ansprache des "Volkes" Ä gemeint sind die weniger gebildeten Teile der Bevölkerung - und von Kindern zur Verfügung standen. Nachgezeichnet werden über einen Zeitraum von einem halben Jahrhundert auch die theoretischen Diskussionen, die zur Verfeinerung der erzählerischen Vorgehensweise und zur spezifischen Gewichtung von Belehrung und Unterhaltung führten. Zu Recht betont die Verfasserin dieser sorgfältigen und lesenswerten Arbeit, daß die Volksaufklärung ein eigenes literarisches Profil gewann, das die Lektüre der entsprechenden Schriften zu einer aufschlußreichen Erkundung auf noch weitgehend unbekanntem Terrain werden läßt.

Eine eigene Leistung stellt die Bibliographie zur Volksaufklärungsliteratur dar, die sich als Ergänzung und Zusammenfassung bereits veröffentlichter Literaturverzeichnisse zur deutschsprachigen Volksaufklärung versteht. Sie umfaßt ca. 800 Titel, wobei in zwei Alphabeten belehrende und unterhaltende Volksaufklärungsschriften sowie theoretische Schriften zur Volksaufklärungsdiskussion und zur zeitgenössischen Volksaufklärungstheorie geboten werden. Ein Teil der Schriften wurde nach Autopsie verzeichnet und ist mit Standortangaben versehen.

Der erste Teil der Bibliographie enthält an Landleute und deren Kinder adressierte, belehrende und durch Einlagerung belletristischer Anteile zugleich unterhaltende Volksaufklärungswerke, deren erzählerische Einkleidung unterschiedlich stark ausgeprägt von der Einlagerung einzelner Lieder und Beispielgeschichten oder Gestaltung in Form eines Gesprächs bis zu romanhaften Werken mit RahmenÄ und Binnenhandlungen reicht. Bewußt nicht mit aufgenommen wurden so die für die erste Phase der Volksaufklärung mit literarischen Mitteln wichtigen Schriften der ökonomischen und landwirtschaftlichen Belehrung, die sich auf die sachliche Weitergabe neuer naturwissenschaftlicher Kenntnisse an die bäuerliche Bevölkerung beschränken, zum Teil aber besonders in den Vorreden sehr interessante Überlegungen zu den Strategien der Volksaufklärung enthalten. Bei einigen Schriften Ä so z.B. bei einem Titel wie Allerlei für Deutschlands Jünglinge in allen Ständen, Stendal 1783 Ä läßt sich darüber streiten, ob hier nicht vor allem bürgerliche Leser angesprochen wurden, auch einige ABCÄBüchlein, RechenÄ oder Gesangbücher für BürgerÄ und Landschulen werden sich schwerlich als unterhaltende Volksaufklärungsschriften ansprechen lassen. Ulrich Bräkers Autobiographie war zunächst sicher nicht als Lektüre für einfache Leser konzipiert, bietet aber immerhin wichtige Aufschlüsse über die Mentalität der unteren Stände und somit Informationen über die Umstände, die die Volksaufklärer bei der Abfassung ihrer Schriften zu bedenken hatten. Die meisten Titel sind lediglich mit der Auflage verzeichnet, die von der Autorin benutzt wurde, auf die Ermittlung der für die Wirkung der Volksaufklärung wichtigen, oft sehr zahlreichen Neuauflagen und Nachdrucke wurde in der Regel verzichtet. Solche Einschränkungen sind bei der Benutzung der ansonsten nützlichen Bibliographie zu bedenken, der es als ungewöhnlich umfangreiches Quellenverzeichnis zu einer guten Dissertation dann doch an der einer Bibliographie nötigen konzeptionellen Durchdringung mangelt. Immerhin aber geht dieses Literaturverzeichnis einiges über das hinaus, was bisher an Titeln bekannt war, so daß es gemeinsam mit einigen genannten, aber nicht eingearbeiteten Bibliographien für weitergehende Forschungen zur Volksaufklärung zunächst den Ausgangspunkt bilden wird.[1]

Holger Böning


[1]
Es sei erlaubt, in diesem Zusammenhang auf eine Biobibliographie zum Gesamtkomplex der Volksaufklärung hinzuweisen, an der der Rezensent gemeinsam mit Reinhart Siegert arbeitet.
Volksaufklärung : biobibliographisches Handbuch zur Popularisierung aufklärerischen Denkens im deutschen Sprachraum von den Anfängen bis 1850 / Holger Böning ; Reinhart Siegert. - Stuttgart-Bad Cannstatt : frommann-holzboog. - 25 cm. - ISBN 3-7728-1214-7 [1024].
Bd. 1. Die Genese der Volksaufklärung und ihre Entwicklung bis 1780 / Holger Böning. - 1990. - LIV S., 932 Sp. - ISBN 3-7728-1214-7 : DM 637.00 (Einzelpr.), DM 556.00 (Reihenpr.). - Vgl. ABUN in ZfBB 37 (1990),6, S. 514 - 516.
Bd. 1 dokumentiert mit 1500 Schriften die Genese der Volksaufklärung bis 1780, während für den kurz vor dem Druck stehenden 2., die Hochzeit der Volksaufklärung bis 1800 berücksichtigenden Bd. ca. 5000 Titel zusammengetragen wurden. Für den 3. Bd., der den Zeitraum bis 1848 umfassen wird, liegt eine Titelliste mit 6000 Schriften vor. (zurück)

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