Von den Erscheinungsjahren und von der äußeren Anlage her liegt besonders ein Vergleich des Lexikons von Kasper (im folgenden zitiert als K.) mit dem von Bayer (zitiert als B.) nahe, von dem sich K. in der Einleitung deutlich - wenn auch ohne Namensnennung - abgrenzt. Mit ca. 2800 Zitaten (genauer gesagt: Haupteintragungen) bietet K. etwas mehr als B. (2700). Die genaue Zahl ist nicht leicht feststellbar, weil eine Durchnumerierung fehlt, und dies ist ein Hauptmanko des Buchs; vor allem erschwert es das Arbeiten mit den Registern, die nur auf die Seiten verweisen. Trotz des leichten Plus an Zitaten liegt K. in Umfang, Format und Preis deutlich unter B. Der Grund liegt zum einen in der platzsparenderen Typographie, zum andern aber in der größeren Prägnanz (und damit Kürze) der Eintragungen. In etwa der Hälfte der Fälle bietet K. nur das fettgedruckte Zitat, eine betont genaue und wörtliche Übersetzung und die Stellenangabe(n). Nur soweit nötig, treten knappe erläuternde Zusätze hinzu: der Kontext der Quelle im Wortlaut und in Übersetzung oder nur zusammengefaßt; verdeutlichende Zusätze zur Übersetzung; verwandte deutsche Sprichwörter; ggf. der Hinweis, daß ein Zitat schon in der Antike sprichwörtlich war; Siehe-auch-Verweisungen auf verwandte Zitate; sonstige knappe Verständnishilfen. In der Tat genügen diese Zusätze im allgemeinen für ein ausreichendes Verständnis des Zitats und sind meistens hilfreicher und informativer als die Zusätze bei B., der einerseits unnötig viel Quellenkontext abdruckt, andrerseits zu knapp und unklar (mit eigenen Worten) erläutert. Hie und da würde man sich etwas mehr Verdeutlichung von Sinn und Kontext eines Zitats wünschen. Beispiel: S. 301 Quid si nunc caelum irruat? "Was, wenn der Himmel nun einstürzte?": Man vermißt den Hinweis, daß es sich (laut der Quelle Terenz) um eine stehende Wendung handelt, mit der Pessimisten verspottet werden, die immer mit dem Schlimmsten rechnen.
Nur rund die Hälfte der Zitate bei B. und bei K. finden sich in beiden
Lexika; man kann daraus das beträchtliche subjektive Moment bei
solchen Auswahlsammlungen ersehen. Im übrigen aber bietet K. ein
größeres Plus an Substanz, als die obigen Zahlen erkennen lassen: 1.
Sie verzichtet auf die kurzen Floskeln wie eo ipso, mutatis mutandis,
ad hoc und verweist dafür auf Bartels. 2. Dubletten hat der Rezensent
bei B. mehrere, bei K. keine gefunden. Stattdessen berücksichtigt K.
verschiedene Fassungen eines und desselben Zitats durch Verweisungen
auf die "Haupteintragung", z.B. von Sunt certi denique fines auf Est
modus in rebus, sunt certi denique fines. 3. Gelegentlich faßt K. zwei
Zitate, die in der Quelle in demselben Kontext stehen, in einer
Eintragung zusammen. 4. Diejenigen Zitate bei B., die keine
Quellenangabe tragen und deshalb als suspekt gelten müssen, fehlen
größtenteils bei K. 5. Wenn man im einzelnen die Zitate, die B. über
K. hinaus bietet, mit denen vergleicht, die bei K., aber nicht bei B.
stehen, so zeigt sich, daß K. im allgemeinen wohl eine glücklichere
Hand bei der Auswahl hatte; ihre "Plus-Zitate" dürften überwiegend von
höherer sprachlicher und inhaltlicher Qualität sein als die von B.
Während dessen Plus-Zitate zu einem Gutteil aus Walthers Sammlung
mittellateinischer Sprichwörter und Sentenzen stammen,[2] weist das
Quellenregister von K. ein besonders großes Plus bei Ovid und Senecas
Tragödien aus - Autoren und Werken also, die sich durch brillante
Formulierungen, geschliffene Sentenzen und psychologisches Gespür
auszeichnen.
Ein besonderes Problem solcher Sammlungen liegt darin, daß die heute
übliche Fassung eines Zitats (bzw. die Fassung, die der moderne
Herausgeber als Lemma wählt) oft vom Wortlaut der antiken Quelle abweicht.
K. beachtet diesen Punkt viel sorgfältiger als B.: "Ist der Eintrag
gegenüber dem Original nur geringfügig syntaktisch verändert, so wird dies
durch Zufügung von 'nach' (z.B. 'nach Cicero') verdeutlicht. [...] Sind
Zitat und Quelle nur inhaltlich miteinander verwandt, wird der Fundort mit
'vgl.' eingeleitet" (S. 7). Leider zitiert K. gerade in diesen Fällen den
antiken (Kon-)Text meistens nicht, so daß der Leser sich von der
Abweichung kein genaues Bild machen kann. Das ist besonders mißlich bei
Texten, die fast nur in Groß- oder Spezialbibliotheken zu finden sein
dürften (z.B. S. 170 Codex Iustinianus und Digesta). - Man stößt aber auch
auf Fälle, an denen ein Lemma bei K. vom Quellentext leicht abweicht, ohne
daß darauf hingewiesen wird.[3] Es ist unklar, ob es sich um Versehen oder
stillschweigende absichtliche Änderungen handelt oder ob K. etwa einer
anderen Textausgabe gefolgt ist.
Das Literaturverzeichnis listet ältere und neuere Verzeichnisse von
Zitaten, Sprichwörtern und geflügelten Worten (nicht nur lateinischen)
auf, darunter bemerkenswerterweise zwei italienische Werke.
Auf die Register hätte etwas mehr Sorgfalt verwendet werden sollen.
Dem Sachregister hat K. bewußt weniger Aufmerksamkeit geschenkt[4] als
B., der ein detalliertes Stichwortregister und ein zusätzliches kurzes
Schlagwortregister bietet. Während aber das Stichwortregister bei B.
deutsch ist, d.h. nur die Übersetzungen erschließt, findet man bei K.
ein lateinisches Register mit einem unterstützenden deutschen, das
lediglich auf die lateinischen Schlagwörter verweist. Auch daraus wird
ersichtlich, daß K. eine anspruchsvollere Zielgruppe im Auge hat,
obwohl sie ausdrücklich[5] auch Leser mit geringen oder gar keinen
Lateinkenntnissen ansprechen möchte. - Allzu einfach hat K. es sich
mit dem Quellenregister gemacht. Sie verzichtet nicht nur, wie B., auf
die genauen Stellenangaben in den lateinischen Quellen (Kapitel, Vers
usw.), sondern weithin auch auf die Titel. So gliedert sie z. B. unter
Seneca nur nach Epistulae morales, Tragödien und Sonstige; Augustinus
wird überhaupt nicht untergliedert. - Ein Manko, das durch eine
Numerierung der Zitate vermieden worden wäre, liegt darin, daß auch
dann, wenn ein Registerbegriff mehrmals auf einer Seite erscheint,
diese Seite nur einfach aufgeführt wird, so daß einem beim Zugriff
über die Register leicht relevante Stellen entgehen können. Beispiel:
Unter Publilius Syrus findet man die einfache Seitenzahl 180, aber auf
dieser Seite wird Publilius fünfmal zitiert! - Auffallend oft sind die
Seitenzahlen um 1 zu hoch oder zu niedrig;[6] Beispiel: Unter sapere,
sapientia und unter (in)satiabilis, satiare, satis ist jeweils die
Seite 219 angegeben, aber dort besteht Fehlanzeige; das Zitat Nemo
solus satis sapit steht auf S. 218.
Fehler sind überhaupt in allen Bereichen noch zu zahlreich
anzutreffen, wenn sie auch meistens nur geringfügig sind. Vor allem in
den fettgedruckten Zitaten muß der Leser vor Druckfehlern und
ähnlichen Versehen auf der Hut sein. Auffällig oft sind Buchstaben,
Zahlen oder ganze Wörter ausgefallen.[7] Die gravierendsten beiden
Schnitzer, die dem Rezensenten auffielen, sind die Verbindung des
bekannten Veni vidi vici ausgerechnet mit dem Gallischen Krieg (statt
mit einem späteren Blitz-Feldzug Caesars im Osten) und S. 286
Quadrupendante (Druckfehler für Quadrupedante) ..., wo durch den
Ausfall des Worts sonitu nicht nur der Satz verstümmelt worden,
sondern (anders als S. 359) auch die Übersetzung mißglückt ist.[8]
Fazit: Das Buch überzeugt, besonders im Vergleich mit Bayers Nota
bene, durch sein klares Konzept, seinen Materialreichtum auf knappem
Raum, die (manchmal allzu) knappen, (meistens) präzisen, angemessenen
und zuverlässigen Erläuterungen der Zitate einschließlich der genauen
Übersetzungen und durch relativ hohes philologisches Niveau. Diese
Vorzüge werden durch zu zahlreiche Druckfehler und andere Versehen
merklich gestört; für eine Neuauflage ist ein gründlicheres und
sorgfältigeres Korrekturlesen angezeigt.
Bernd Bader
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