Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 5(1997) 1/2
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Reclams lateinisches Zitaten-Lexikon


97-1/2-094
Reclams lateinisches Zitaten-Lexikon / von Muriel Kasper. - Stuttgart : Reclam, 1996. - 432 S. ; 16 cm. (Ln.). - ISBN 3-15-029477-0 : DM 28.80
[3570]

Kurz nach dem Erscheinen des lateinischen Zitatenlexikons von Karl Bayer und der neusten Auflage eines ähnlichen Werks von Klaus Bartels[1] legt auch der Reclam-Verlag ein lateinisches Zitatenlexikon vor. Die Autorin, die übrigens dem Rezensenten ebenso unbekannt ist wie die bei den Danksagungen S. 10 genannten Personen, gibt in der Einleitung sehr klar Auskunft über Grundlagen und Ziele ihres Buchs. Einerseits möchte sie das Interesse und die Freude an der Sprache und Kultur Roms stimulieren und den Leser "zu eigenen Gedanken inspirieren" (S. 10), andrerseits distanziert sie sich nachdrücklich von dem oberflächlichen, auf eine "Aura der Gelehrsamkeit" bedachten Prunken mit "ein paar souverän dahergesagten lateinischen Worten". Vor allem möchte sie "die Bedürfnisse der Benutzer erfüllen, die ein bestimmtes Zitat suchen: durch knappe, exakte Hinweise auf den genauen Wortlaut eines Zitats, dessen Fundort und, wenn nötig, durch Erläuterungen zum literarischen Kontext und kulturellen Hintergrund" (S. 5). Vor konkurrierenden Lexika möchte sie sich durch eine verbesserte "Quellenforschung" (S. 9) auszeichnen sowie durch die "kompakte Form, sowohl was das Format betrifft als auch in Hinblick auf die Länge der Erklärungen, ohne daß dadurch die Zahl der Einträge oder die Verständlichkeit beeinträchtigt würde" (S. 10). Dieses klare Programm ist im wesentlichen überzeugend realisiert.

Von den Erscheinungsjahren und von der äußeren Anlage her liegt besonders ein Vergleich des Lexikons von Kasper (im folgenden zitiert als K.) mit dem von Bayer (zitiert als B.) nahe, von dem sich K. in der Einleitung deutlich - wenn auch ohne Namensnennung - abgrenzt. Mit ca. 2800 Zitaten (genauer gesagt: Haupteintragungen) bietet K. etwas mehr als B. (2700). Die genaue Zahl ist nicht leicht feststellbar, weil eine Durchnumerierung fehlt, und dies ist ein Hauptmanko des Buchs; vor allem erschwert es das Arbeiten mit den Registern, die nur auf die Seiten verweisen. Trotz des leichten Plus an Zitaten liegt K. in Umfang, Format und Preis deutlich unter B. Der Grund liegt zum einen in der platzsparenderen Typographie, zum andern aber in der größeren Prägnanz (und damit Kürze) der Eintragungen. In etwa der Hälfte der Fälle bietet K. nur das fettgedruckte Zitat, eine betont genaue und wörtliche Übersetzung und die Stellenangabe(n). Nur soweit nötig, treten knappe erläuternde Zusätze hinzu: der Kontext der Quelle im Wortlaut und in Übersetzung oder nur zusammengefaßt; verdeutlichende Zusätze zur Übersetzung; verwandte deutsche Sprichwörter; ggf. der Hinweis, daß ein Zitat schon in der Antike sprichwörtlich war; Siehe-auch-Verweisungen auf verwandte Zitate; sonstige knappe Verständnishilfen. In der Tat genügen diese Zusätze im allgemeinen für ein ausreichendes Verständnis des Zitats und sind meistens hilfreicher und informativer als die Zusätze bei B., der einerseits unnötig viel Quellenkontext abdruckt, andrerseits zu knapp und unklar (mit eigenen Worten) erläutert. Hie und da würde man sich etwas mehr Verdeutlichung von Sinn und Kontext eines Zitats wünschen. Beispiel: S. 301 Quid si nunc caelum irruat? "Was, wenn der Himmel nun einstürzte?": Man vermißt den Hinweis, daß es sich (laut der Quelle Terenz) um eine stehende Wendung handelt, mit der Pessimisten verspottet werden, die immer mit dem Schlimmsten rechnen.

Nur rund die Hälfte der Zitate bei B. und bei K. finden sich in beiden Lexika; man kann daraus das beträchtliche subjektive Moment bei solchen Auswahlsammlungen ersehen. Im übrigen aber bietet K. ein größeres Plus an Substanz, als die obigen Zahlen erkennen lassen: 1. Sie verzichtet auf die kurzen Floskeln wie eo ipso, mutatis mutandis, ad hoc und verweist dafür auf Bartels. 2. Dubletten hat der Rezensent bei B. mehrere, bei K. keine gefunden. Stattdessen berücksichtigt K. verschiedene Fassungen eines und desselben Zitats durch Verweisungen auf die "Haupteintragung", z.B. von Sunt certi denique fines auf Est modus in rebus, sunt certi denique fines. 3. Gelegentlich faßt K. zwei Zitate, die in der Quelle in demselben Kontext stehen, in einer Eintragung zusammen. 4. Diejenigen Zitate bei B., die keine Quellenangabe tragen und deshalb als suspekt gelten müssen, fehlen größtenteils bei K. 5. Wenn man im einzelnen die Zitate, die B. über K. hinaus bietet, mit denen vergleicht, die bei K., aber nicht bei B. stehen, so zeigt sich, daß K. im allgemeinen wohl eine glücklichere Hand bei der Auswahl hatte; ihre "Plus-Zitate" dürften überwiegend von höherer sprachlicher und inhaltlicher Qualität sein als die von B. Während dessen Plus-Zitate zu einem Gutteil aus Walthers Sammlung mittellateinischer Sprichwörter und Sentenzen stammen,[2] weist das Quellenregister von K. ein besonders großes Plus bei Ovid und Senecas Tragödien aus - Autoren und Werken also, die sich durch brillante Formulierungen, geschliffene Sentenzen und psychologisches Gespür auszeichnen.

Ein besonderes Problem solcher Sammlungen liegt darin, daß die heute übliche Fassung eines Zitats (bzw. die Fassung, die der moderne Herausgeber als Lemma wählt) oft vom Wortlaut der antiken Quelle abweicht. K. beachtet diesen Punkt viel sorgfältiger als B.: "Ist der Eintrag gegenüber dem Original nur geringfügig syntaktisch verändert, so wird dies durch Zufügung von 'nach' (z.B. 'nach Cicero') verdeutlicht. [...] Sind Zitat und Quelle nur inhaltlich miteinander verwandt, wird der Fundort mit 'vgl.' eingeleitet" (S. 7). Leider zitiert K. gerade in diesen Fällen den antiken (Kon-)Text meistens nicht, so daß der Leser sich von der Abweichung kein genaues Bild machen kann. Das ist besonders mißlich bei Texten, die fast nur in Groß- oder Spezialbibliotheken zu finden sein dürften (z.B. S. 170 Codex Iustinianus und Digesta). - Man stößt aber auch auf Fälle, an denen ein Lemma bei K. vom Quellentext leicht abweicht, ohne daß darauf hingewiesen wird.[3] Es ist unklar, ob es sich um Versehen oder stillschweigende absichtliche Änderungen handelt oder ob K. etwa einer anderen Textausgabe gefolgt ist.

Das Literaturverzeichnis listet ältere und neuere Verzeichnisse von Zitaten, Sprichwörtern und geflügelten Worten (nicht nur lateinischen) auf, darunter bemerkenswerterweise zwei italienische Werke.

Auf die Register hätte etwas mehr Sorgfalt verwendet werden sollen. Dem Sachregister hat K. bewußt weniger Aufmerksamkeit geschenkt[4] als B., der ein detalliertes Stichwortregister und ein zusätzliches kurzes Schlagwortregister bietet. Während aber das Stichwortregister bei B. deutsch ist, d.h. nur die Übersetzungen erschließt, findet man bei K. ein lateinisches Register mit einem unterstützenden deutschen, das lediglich auf die lateinischen Schlagwörter verweist. Auch daraus wird ersichtlich, daß K. eine anspruchsvollere Zielgruppe im Auge hat, obwohl sie ausdrücklich[5] auch Leser mit geringen oder gar keinen Lateinkenntnissen ansprechen möchte. - Allzu einfach hat K. es sich mit dem Quellenregister gemacht. Sie verzichtet nicht nur, wie B., auf die genauen Stellenangaben in den lateinischen Quellen (Kapitel, Vers usw.), sondern weithin auch auf die Titel. So gliedert sie z. B. unter Seneca nur nach Epistulae morales, Tragödien und Sonstige; Augustinus wird überhaupt nicht untergliedert. - Ein Manko, das durch eine Numerierung der Zitate vermieden worden wäre, liegt darin, daß auch dann, wenn ein Registerbegriff mehrmals auf einer Seite erscheint, diese Seite nur einfach aufgeführt wird, so daß einem beim Zugriff über die Register leicht relevante Stellen entgehen können. Beispiel: Unter Publilius Syrus findet man die einfache Seitenzahl 180, aber auf dieser Seite wird Publilius fünfmal zitiert! - Auffallend oft sind die Seitenzahlen um 1 zu hoch oder zu niedrig;[6] Beispiel: Unter sapere, sapientia und unter (in)satiabilis, satiare, satis ist jeweils die Seite 219 angegeben, aber dort besteht Fehlanzeige; das Zitat Nemo solus satis sapit steht auf S. 218.

Fehler sind überhaupt in allen Bereichen noch zu zahlreich anzutreffen, wenn sie auch meistens nur geringfügig sind. Vor allem in den fettgedruckten Zitaten muß der Leser vor Druckfehlern und ähnlichen Versehen auf der Hut sein. Auffällig oft sind Buchstaben, Zahlen oder ganze Wörter ausgefallen.[7] Die gravierendsten beiden Schnitzer, die dem Rezensenten auffielen, sind die Verbindung des bekannten Veni vidi vici ausgerechnet mit dem Gallischen Krieg (statt mit einem späteren Blitz-Feldzug Caesars im Osten) und S. 286 Quadrupendante (Druckfehler für Quadrupedante) ..., wo durch den Ausfall des Worts sonitu nicht nur der Satz verstümmelt worden, sondern (anders als S. 359) auch die Übersetzung mißglückt ist.[8]

Fazit: Das Buch überzeugt, besonders im Vergleich mit Bayers Nota bene, durch sein klares Konzept, seinen Materialreichtum auf knappem Raum, die (manchmal allzu) knappen, (meistens) präzisen, angemessenen und zuverlässigen Erläuterungen der Zitate einschließlich der genauen Übersetzungen und durch relativ hohes philologisches Niveau. Diese Vorzüge werden durch zu zahlreiche Druckfehler und andere Versehen merklich gestört; für eine Neuauflage ist ein gründlicheres und sorgfältigeres Korrekturlesen angezeigt.

Bernd Bader


[1]
Nota bene! : Das lateinische Zitatenlexikon / von Karl Bayer. - 2. Aufl. - Zürich : Artemis & Winkler, 1994. - 576 S. ; 25 cm. - ISBN 3-7608-1092-6 : DM 98.00 [2981].
Veni, vidi, vici : geflügelte Worte aus dem Griechischen und Lateinischen / ausgew. und erl. von Klaus Bartels. - 9. Aufl. - Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992. - 216 S. ; 19 cm. - Früher im Artemis-Verlag, Zürich und München. - ISBN 3-534-11920-7 : DM 29.80, DM 24.00 (für Mitglieder) [2797].
Zu beiden vgl. IFB 95-4-550 - 551.
Inzwischen ist erschienen: Expressis verbis : lateinische Zitate für alle Lebenslagen / Karl Bayer. - Zürich ; Düsseldorf : Artemis & Winkler, 1996. - 512 S. - ISBN 3-7608-1128-0 : DM 98.00. (zurück)
[2]
Proverbia sententiaeque Latinitatis medii aevi = Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittetalters ... / ges. und hrsg. von Hans Walther. - Göttingen. - 1 (1963) - 5 (1967). (zurück)
[3]
Quid si nunc caelum irruat? (s.o.) sieht unverdächtig aus, aber Terenz schreibt ruat, nicht irruat. S. 300 Quid peius... hat K. ein est hinzugefügt, S. 354 Stulta es... ein facere weggelassen (beide Stellen aus Plautus). (zurück)
[4]
"Lesern, die ein Zitat für einen bestimmten Anlaß suchen oder sich nicht mehr an den genauen Wortlaut erinnern, mag ein knappes Schlagwortregister (siehe S. 403) dienlich sein" (S. 6). (zurück)
[5]
"Leser, die mit der Sprache Roms bislang keinen Kontakt hatten, sind hier ebenso angesprochen wie Kenner der lateinischen Literatur" (S. 5). "Wer lediglich rudimentäre Sprachkenntnisse besitzt, dem soll durch die textnahen [...] Übersetzungen [...] wieder auf die Sprünge geholfen [...] werden" (S. 6). (zurück)
[6]
Dasselbe gilt für die Verszahlen bei den Quellenangaben im Hauptteil, wo es aber naturgemäß nicht so ins Gewicht fällt. Beispiel: S. 365 "Tibull, Elegiae 1, 58 f." muß richtig heißen: 1, 1, 59 f. (zurück)
[7]
So z. B. gleich in der Mitte der ersten Seite der Einleitung und - weniger harmlos - S. 359 unter suum cuique (tribuere) bei den zitierten Parallelstellen: Dort ist per me uti zu peruti entstellt (die Übersetzung basiert auf der richtigen Fassung), und zu dem Titel Institutiones ist der Autor nicht angegeben. (zurück)
[8]
Auch B. hat bei diesem Zitat sonitu ausgelassen und dementsprechend bei der Übersetzung Schiffbruch erlitten. Es gibt noch weitere Positionen, an denen K. offenbar zu unkritisch B. gefolgt ist. Quid tibi vis?, Quid verbis opus est? und Verba dare sind bei B. mit unzureichenden Quellenangaben versehen und sollten als Allerweltsausdrücke überhaupt wegbleiben (vgl. die Kritik in IFB 95-350 - 351, hier S. 828); K. bietet alle drei mit genau denselben Quellenangaben. Das Zitat Malleus manubrio sapientior "Der Hammer ist gescheiter als der Stil (Vgl. Das Ei will klüger sein als die Henne)" S. 181 wird von beiden auf eine Quelle gestützt (von K. mit vorsichtigem "vgl."), die diesen Sinn keineswegs hergibt. (zurück)

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