Während der Gesamtkatalog der Wiegendrucke (GW) auch nach der Wende
von 1989/90 nach wie vor nur sehr langsam voranschreitet, erscheinen
immer häufiger Kataloge der Inkunabelbestände einzelner Bibliotheken
oder Regionen. Für sie gilt, was der Rezensent schon 1973 in einer
Sammelbesprechung neuerschienener lokaler Inkunabelkataloge
geschrieben hatte: "In einem individuellen Katalog kann der Druck
selbst, wenn bereits anderswo eine ausführliche Beschreibung
existiert, ziemlich kurz beschrieben werden, während der Nachdruck auf
den Besonderheiten (Provenienz, Einträge, Einband und sonstige
Zutaten) liegen muß. Entsprechend muß er auch zusätzliche
Provenienzen- und Einbandregister aufweisen. Ein solcher Katalog ist
dann zugleich ein Stück Bibliotheks- und Kulturgeschichte. Auch für
die Einbandforschung sind Kataloge, die die genannten Forderungen
erfüllen, wesentliche Hilfsmittel".[1] Der vorliegende Katalog der
Inkunabeln in der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek (EAB)
Paderborn ist nach diesen Gesichtspunkten zu beurteilen. Die EAB
Paderborn, die vom Erzbistum Paderborn unterhalten wird, hat ihren mit
rund 700 Exemplaren recht ansehnlichen Besitz an Inkunabeln über alle
Wirren der Zeiten hinweg einschließlich des 2. Weltkriegs fast
ungeschmälert erhalten können.[2] Schon vor dem 1. Weltkrieg war ein
vollständiger Zettelkatalog der Inkunabeln erstellt worden, der 1912
gedruckt werden sollte. Aus heute nicht mehr zu klärenden Gründen
wurde der bereits begonnene Druck jedoch wieder eingestellt. Der jetzt
von Angehörigen der Paderborner Theologischen Fakultät und der EAB,
darunter ihrem derzeitigen Direktor, Karl Hengst und seinem
Stellvertreter, Hermann-Josef Schmalor völlig neu erarbeitete
Inkunabelkatalog ist mit weit über 450 Seiten sehr umfangreich
geworden. Rein formal gesehen ist er mit allem ausgestattet, was man
- wie oben skizziert - von einem lokalen Inkunabelkatalog erwarten
darf.
1 Einleitende Beigaben
Die ausführliche Einleitung enthält vor allem eine detaillierte
Geschichte der EAB und ihrer Vorgängerinnen (bis zurück zur Bibliothek
der Paderborner Domschule im frühen Mittelalter). Ebenso wichtig und
für die Beurteilung der Inkunabelsammlung noch nützlicher ist der
Überblick über die Entstehung und die Herkunft der Inkunabelbestände
der EAB (S. 21 - 41). Daraus geht hervor, daß der größte Teil des
heutigen Inkunabelbesitzes aus zwei Quellen stammt. Die eine Quelle
ist die ab 1580 entstandene ehemalige Paderborner Jesuitenbibliothek,
die nach ihrem Begründer, dem Paderborner Dompropst und späteren
Fürstbischof Dietrich (= Theodorus) von Fürstenberg, "Bibliotheca
Theodoriana" genannt wird. Die für die westfälische
Bibliotheksgeschichte noch bedeutsamere Quelle ist das
Säkularisationsgut, das vor allem aus dem Paderborner
Benediktinerkloster Abdinghof (allein 265 Inkunabeln) sowie dem
dortigen Kapuzinerkloster und dem südlich von Paderborn gelegenen
Augustiner-Chorherrenstift Böddeken in die spätere EAB floß. Etwas
deplaziert - wenn nicht sogar überflüssig - ist der an den Beginn der
Einführung gestellte Abschnitt über Die kulturgeschichtliche Bedeutung
der Inkunabeln und Inkunabelsammlungen (S. 3 - 10), in dem unter
anderem ausführlich über die Bibliothek des großen Frankfurter
Bibliophilen Zacharias Conrad von Uffenbach (1683 - 1734) berichtet
wird, die mit dem Paderborner Inkunabelbestand überhaupt nichts zu tun
hat. In diesem Abschnitt finden sich dann auch so gespreizte Sätze wie
der folgende: "Inkunabelsammlungen waren nicht nur den berühmten
Drucken gewidmet, auch die kulturgeschichtlichen Seltenheiten und die
Drucke in den Vernakularen (Muttersprachen) waren das besondere Ziel
vieler Sammler" (S. 7). Dieser unnötige Exkurs am Anfang der
Einführung erklärt auch einige in einem Inkunabelkatalog völlig
überflüssige Titel im aufgeschwemmten Literaturverzeichnis, auf das
wir noch zurückkommen.
2 Anlage und Verzeichnung
Der Katalog selbst ist alphabetisch nach Verfassern bzw. Sachtiteln
angelegt und mit zahlreichen Querverweisungen von abweichenden
Namensformen und von angeblichen auf die wirklichen Verfasser
gespickt. Die Beschreibung der Drucke ist selbst bei den wenigen Rara
oder gar Unika (wie z.B. Nr. 55) so knapp wie möglich gehalten und
folgt den gängigen Vorbildern (vor allem dem GW und dem Freiburger
Katalog von Vera Sack sowie den beiden ersten Bänden des
Inkunabelkatalogs der Bayerischen Staatsbibliothek München). Häufig
wird die Kollation (zusammen mit der Lagenformel) angegeben. Aber auch
in diesem Punkt wurde nicht konsequent verfahren. Die
bibliographischen Zitate lassen oft sehr zu wünschen übrig. Davon wird
unten noch die Rede sein. In kleinerem Satz folgt dann die bei einem
Katalog eines bestimmten Bestandes wesentliche Beschreibung der
individuellen Merkmale der Drucke (wie Rubrizierung, handschriftliche
Anmerkungen und sonstige Zutaten, Provenienzen, Einbände usw.) Darauf
wird im Zusammenhang mit den Registern noch eingegangen werden.
3 Inhaltliche und typographische Zusammensetzung des Bestandes
Wie bei einer theologischen Fachbibliothek, die auf kirchlichen
Vorgängern basiert, nicht anders zu erwarten, dominiert in jeder
Hinsicht die theologische und kirchenrechtliche Literatur. Folglich
sind die Vulgata (Nr. 106 - 132), die Kirchenväter (alle in
lateinischer Sprache), die mittelalterlichen Predigtsammlungen,
hagiographische Sammlungen wie die Legenda aurea des Jacobus de
Voragine (Nr. 384 - 392) sowie Liturgica mit einigen seltenen
Brevieren (Nr. 156 - 166) und Missalien (Nr. 479 - 487) reichlich
vertreten. Texte der Volksfrömmigkeit fehlen fast ganz.[3]
Volkssprachliche Literatur ist nur durch eine kleine Zahl
niederdeutscher Drucke (Nr. 133, 170, 184, 260, 321, 570; siehe auch
Anm. 3) und einen einzigen hochdeutschen (Nr. 604) präsent. Unter
diesen niederdeutschen Drucken ist nur ein einziger weltlichen
Inhalts: die berühmte Kölner Chronik von 1499 (Nr. 184). Sie kam 1683
als Legat des Paderborner Fürstbischofs Ferdinand I. von Fürstenberg
in die Jesuitenbibliothek. Aus seiner Bibliothek stammt auch der
einzige Band mit militärischen Klassikern (Nr. 2, 258, 488, 690). Bei
dem hochdeutschen Druck handelt es sich um einen der Augsburger
Nachdrucke der deutschen Übersetzung der Schedelschen Chronik. Er
stammt aus dem 1802 aufgelösten Augsburger Augustiner-Chorherrenstift
Heiligkreuz und gelangte folglich erst im Laufe des 19./20.
Jahrhunderts in die Paderborner Bibliothek. Soweit der Rezensent
feststellen konnte, ist dies auch der einzige Band mit einer älteren
süddeutschen Provenienz, der sich heute in der Paderborner
Inkunabelsammlung befindet. Humanistische Autoren und antike Klassiker
sind ebenfalls nur spärlich vorhanden. Ein zeitgenössischer Sammelband
mit insgesamt zwölf meist Leipziger Inkunabeln enthält auch ein halbes
Dutzend Drucke mit antiken Texten, die offensichtlich für den
Leipziger Universitätsgebrauch bestimmt waren. Dieser Band (Signatur:
I 289) befand sich seit alters in der Bibliothek des
Benediktinerklosters Abdinghof in Paderborn. Ansonsten sind rein
weltliche Texte relativ selten im Paderborner Inkunabelbestand. Drei
medizinische Inkunabeln (Nr. 318, 402, 495) stammen aus der
Jesuitenbibliothek. Daß das Geschichtswerk Fasciculus temporum des
westfälischen Kartäusermönchs Werner Rolevinck (1425 - 1502) in acht
Ausgaben des 15. Jahrhunderts vorhanden ist (Nr. 593 - 600), hat
natürlich regionalgeschichtliche Gründe. Eine dieser Ausgaben gehört
auch nicht der EAB, sondern der Paderborner Abteilung des Vereins für
Geschichte und Altertumskunde Westfalens (Nr. 598). Die älteste heute
in der EAB vorhandene Rolevinck-Ausgabe von 1480 (Nr. 593) ist sicher
auch erst in neuerer Zeit (19./20. Jahrhundert) nach Paderborn
gelangt. Sie stammt aus dem Besitz des berühmten französischen
Gelehrten und Büchersammlers Etienne Baluze (1630 - 1718), dessen
riesige Bibliothek nach seinem Tod versteigert wurde und aus der bis
zum heutigen Tage Exemplare im Handel auftauchen.
4 Geographische Zusammensetzung des Bestandes
Wenn man sich die geographische Zusammensetzung des Paderborner
Inkunabelbestands ansieht, ergibt sich ein interessantes Bild, das
damit zusammenhängt, daß der größte Teil dieses Bestands sicher schon
in der Entstehungszeit der Drucke in die Paderborner Region gelangte
und somit einen gewissen Einblick in die Handelsströme des damaligen
Büchermarkts gewährt. Insgesamt sind in der Paderborner Sammlung 37
Druckorte des 15. Jahrhunderts vertreten. Davon liegen allein neun
entlang dem Rheintal von Basel bis Köln. Aus diesen neun Druckorten
kommen fast zwei Drittel des gesamten Bestands. Unter allen Druckorten
stellen die rheinischen Metropolen Straßburg (157 Drucke), Köln (mehr
als 150 Drucke) und Basel (mehr als 90 Drucke) mit Abstand die höchste
Zahl von Frühdrucken. Danach folgt Nürnberg (54 Drucke) noch vor
Venedig (47 Drucke), das normalerweise in allen größeren
Inkunabelsammlungen mit seinen Drucken dominiert. Charakteristisch für
den Paderborner Bestand ist auch das Faktum, daß Inkunabeln aus acht
niederländischen Druckorten vorhanden sind, während Italien nur mit
vier und Frankreich mit drei Druckorten vertreten sind.[4] Der Überblick
über die in der Paderborner Sammlung durch Beispiele belegten
Druckorte gibt Anlaß, im Vorgriff das erste der zahlreichen Register
dieses Katalogs, das den Druckorten und Druckern gewidmet ist, unter
die Lupe zu nehmen. Dieses Register ist nach dem Alphabet der
Druckorte und innerhalb der Druckorte nach dem Alphabet der Drucker
angelegt. Bei den einzelnen Druckern sind die Drucke nach Möglichkeit
chronologisch angeordnet. Dabei fällt auf, daß der Katalog mindestens
20 Drucke enthält, die eindeutig dem 16. Jahrhundert angehören. Die
Druckorte Leiden (Nr. 355) und Rouen (Nr. 217) sind deshalb hier zu
streichen. Sie sind in der oben genannten Zahl von 37 Druckorten auch
nicht enthalten (siehe Anm. 4). Mindestens vier Drucke des 16.
Jahrhunderts, die im Katalog beschrieben werden (siehe Nr. 82, 93,
105, 314), wurden - möglicherweise deshalb? - schon gar nicht ins
Druckerregister aufgenommen.
5 Einige Bemerkungen zu einzelnen Druckbeschreibungen
Nr. 55
Dieser Pariser Druck der Articuli fidei war bisher bibliographisch
nicht beschrieben.[5] Er scheint ein Unikum zu sein, wie von der
Redaktion des GW an der Berliner Staatsbibliothek den Paderborner
Katalogbearbeitern bestätigt wurde. Da der GW längst über den
Buchstaben A hinweg und ein Supplement für die Anfangsbuchstaben des
Alphabets in weiter Ferne ist, hätte dieser Druck eine eingehende
Beschreibung im Stil des GW verdient gehabt. Ausgaben der Articuli
fidei waren eine Spezialität der Pariser Drucker an der Wende des 15.
zum 16. Jahrhundert. Alle 18 im GW verzeichneten Ausgaben (GW 2713
- 2730) erschienen in Paris; die beiden letzten (GW 2729 und 2730)
sicher erst nach 1500. Da die Paderborner Ausgabe mit fünf Drucken
nach 1500 darunter vier von 1506 zusammengebunden ist, liegt der
Verdacht nahe, daß sie auch 'um 1506' gedruckt wurde. Leider ist im
Katalog nicht angegeben, ob es sich bei den beigebundenen Drucken von
1506 auch um Pariser Drucke handelt.
Nr. 93
Dieser Pariser Druck gehört nicht in einen Inkunabelkatalog. Aufgrund
der im Druck erwähnten Druckeradresse muß er zwischen Juni 1513 und
April 1514 erschienen sein. Das Paderborner Exemplar wird übrigens bei
Moreau aufgeführt (Moreau 2, Nr. 498).
Nr. 105
Dieser Druck von Johannes Landen in Köln, den schon der GW (wie bei
Nr. 105 zitiert) wegen der Holzschnitte ins 16. Jahrhundert legte,
fehlt im Druckerregister. Grebe, den die Paderborner Bearbeiter
offensichtlich nicht benutzt haben, setzt diesen Druck "vor 1507" an.[6]
Nr. Nr. 303
Dieser Pariser Druck, der übrigens bei Moreau fehlt, ist aufgrund der
im Druck angegebenen Druckeradresse zwischen 1509 und 1515 erschienen
(siehe jetzt GW Bd. l0, Sp. 322).
Nr. 314
Nach der Katalogaufnahme ist dieser Druck nicht eindeutig zu
identifizieren. Sicher ist nur, daß es sich zweifellos um einen Druck
des frühen 16. Jahrhunderts handelt, der deshalb auch nicht im GW
beschrieben werden wird (siehe jetzt GW Bd. 10, Sp. 435 - 437). Die
Bearbeiter des Paderborner Katalogs hätten wegen dieses und zweier
anderer Basler Drucke (Nr. 533 und 534) den monumentalen Basler
Katalog von Frank Hieronymus konsultieren müssen, der ihnen vielleicht
die Lösung ihres Problems gebracht hätte.[7]
Nr. 434
Bei diesem von den Bearbeitern nicht identifizierten niederländischen
Druck handelt es sich mit ziemlicher Sicherheit um einen nach 1500
entstandenen Druck des Jacobus de Breda in Deventer, der bei
Nijhoff-Kronenberg (siehe Anm. 8) unter Nr. 1403 beschrieben ist. Im
selben Sammelband I 90 steckt ein weiterer Druck des Jacobus de Breda
(Nr. 320 des Paderborner Katalogs), der von Nijhoff-Kronenberg (Nr.
1043) "c. 1506" angesetzt wurde.
Nr. 533
Auch diese Ausgabe ist nach 1500 anzusetzen. Sie ist an Nr. 314
angebunden und steht wahrscheinlich mit ihr in Zusammenhang. Ein
weiterer angebundener Druck von 1507 könnte (wenn er auch von Furter
stammt) der Schlüssel für die Datierung sein. Im übrigen ist wie bei
Nr. 314 der Katalog von Frank Hieronymus zu konsultieren.
Nr. 534
Hier haben wir das gleiche Problem vor uns wie bei Nr. 314 und 533.
Auch in diesem Fall müßte der Basler Katalog von Frank Hieronymus
weiterhelfen können. Bei dieser Ausgabe ist allerdings anzunehmen, daß
sie nicht selbständig erschienen, sondern Bestandteil einer Ausgabe
der Postilla des Guillelmus Parisiensis ist. Darauf deuten die
Lagensignaturen Aa - Cc6 hin, die bei einem selbständigen Druck
wahrscheinlich A - C lauteten. Als Verfasser dieser 'Passio domini
Jesu Christi' ist der Basler Barfüssermönch Daniel Agricola anzusehen,
der erstmals in einer Basler Ausgabe vom 31.5.1511 mit Namen genannt
wird (siehe Hieronymus, S. 56, Nr. 65 a).
Nr. 601
Verfasser des Rosarium b.M.V. ist der Dominikaner Michael Francisci de
Insulis (um 1435 - 1502). Die früheste Ausgabe dieses Textes ist in
Paderborn ebenfalls vorhanden und im Katalog (Nr. 256) richtig unter
ihrem Autor aufgenommen. Diese Pariser Ausgabe von Jean Petit wird im
GW (siehe GW 10259 - 10264) nicht einmal erwähnt, da sie mit
ziemlicher Sicherheit erst nach 1510 erschienen sein dürfte.
Wahrscheinlich liegt sie zwischen den 1509 und 1518 datierten Ausgaben
von Jean Petit. Moreau kennt diese Ausgabe nicht.
Nr. 621
Die Datierung dieses Drucks "um 1500 - jedoch vor 1513" hätte aus der
einschlägigen Literatur leicht zu "um 1510" präzisiert und diese
Ausgabe samt dem vorgebundenen Druck von 1501 (Nr. 85) aus dem
Inkunabelkatalog eliminiert werden können.
6 Postinkunabeln
Eine Lösung für die zahlreichen Drucke des frühen 16. Jahrhunderts,
die in diesem Katalog als Inkunabeln präsentiert werden, wäre ein
Anhang gewesen, in dem alle sogenannten Postinkunabeln (von ca. l501
bis ca. l515) der EAB - ob datiert oder nicht - in Kurzbeschreibung
mit präzisen einschlägigen bibliographischen Zitaten aufgeführt worden
wären. Sicher hätte dieser Anhang noch zahlreiche andere Drucke
umfaßt, die im vorliegenden Katalog mit Recht nicht berücksichtigt
wurden; aber er hätte zugleich Klarheit im Bereich der eigentlichen
Inkunabeln gebracht. Die Nr. 621 bietet im übrigen ein besonders
krasses Beispiel für die schon oben gerügten oft willkürlichen oder
stümperhaften bibliographischen Zitate.[8]
7 Literaturverzeichnis
Dies führt uns zur Betrachtung des sehr umfangreichen
Literaturverzeichnisses, das am Anfang des Bandes steht (S. X - XXIV)
und in dem sich die eigenartigen Zitiergepflogenheiten des Katalogs
widerspiegeln. Abgesehen von den (meist ungedruckten) Quellen zur
Bestandsgeschichte der EAB (S. XIII - XIV) besteht das
Literaturverzeichnis, dem noch eine Liste der abgekürzt zitierten
Literatur vorausgeht, aus zwei Teilen, die sich teilweise
überschneiden und die insgesamt ziemlich aufgebläht wirken. Zum einen
enthält das Literaturverzeichnis zahlreiche Titel, die mit dem
Inkunabelkatalog überhaupt nichts zu tun haben und die in den meisten
Fällen sicher nur für die Abfassung des überflüssigen Anfangskapitels
der Einführung benutzt wurden, zum andern Inkunabelliteratur, die für
den Paderborner Inkunabelkatalog praktisch ohne Nutzen war wie der mit
vielen Mängeln behaftete schmale Lindauer Inkunabelkatalog von
Burmeister und Dobras,[9] um nur ein einziges Beispiel zu nennen. Ganz
abgesehen davon, daß das Literaturverzeichnis ohne Schaden für den
Katalog etwa auf ein Viertel seines Umfangs hätte reduziert werden
können, wäre eine Zweiteilung des Verzeichnisses in buchgeschichtliche
und in biographisch-historische sowie sonstige Literatur, die für die
Ermittlung von Verfassern, Beiträgern und vor allem der Provenienzen
benutzt wurde, sinnvoll gewesen. Die für die bibliographischen Zitate
wichtigen großen Inkunabelbibliographien und -kataloge hätten im
buchgeschichtlichen Teil gleich durch die vorangestellten abgekürzten
Zitiertitel kenntlich gemacht werden können, was ihre doppelte
Verzeichnung unter Abgekürzt zitierte Literatur und nochmals (mit
Lücken!) unter Inkunabelkataloge und -bibliographien vermieden hätte.
Es hat wenig Sinn, post festum die vielen überflüssigen Titel des
Literaturverzeichnisses einzeln vorzuführen. Wichtiger ist es, auf die
gravierenden Mängel in der Auswahl und Kennzeichnung der im Katalog
zitierten Inkunabelliteratur hinzuweisen. Der nordamerikanische
Inkunabelcensus von Goff[10] wird zwar (ohne das Supplement von 1972) bei
der Abgekürzt zitierten Literatur aufgeführt, aber im ganzen Katalog
fast nie zitiert. Dabei hätten gerade die Goff-Zitate zahlreiche
weitere bibliographische Zitate entbehrlich gemacht, da die vor 1964
erschienene einschlägige Literatur bei Goff angegeben ist.
Wirklich ärgerlich ist jedoch, daß der neben dem GW wichtigste und
beste Inkunabelkatalog überhaupt, nämlich der der British Library in
London, nirgendwo im Literaturverzeichnis erscheint, obwohl er
mindestens einmal (bei Nr. 168) aber wohl aus zweiter Hand korrekt als
BMC zitiert wird.[11]
Der noch nicht abgeschlossene Inkunabelkatalog der Bayerischen
Staatsbibliothek in München wird zwar bei der Abgekürzt zitierten
Literatur aufgeführt, aber nicht mit der von den Herausgebern
gewünschten und auf dem Titelblatt angegebenen Abkürzung BSB-Ink,
sondern nur als BSB.
Noch schlimmer erging es dem ebenfalls noch nicht vollständig
vorliegenden Inkunabelkatalog der Pariser Nationalbibliothek, der
unter Bibliothèque nationale nur (und dazu noch etwas verstümmelt) ins
Literaturverzeichnis aufgenommen wurde, aber nicht bei der Abgekürzt
zitierten Literatur, obwohl er im Katalog mindestens einmal (bei Nr.
532) mit der nirgendwo aufgelösten Abkürzung BNP zitiert wird, die
auch nicht der gängigen Praxis entspricht.[12]
Vergeblich sucht man im Literaturverzeichnis auch den längst
abgeschlossenen italienischen Gesamtkatalog der Inkunabeln (IGI),[13] der
zumindest bei den rund 60 italienischen Inkunabeln der EAB hätte
zitiert werden können und müssen. Wie die Goff-Zitate hätte der IGI
fast alle anderen bibliographischen Zitate überflüssig gemacht.
Der Verfasser des zwar ins Literaturverzeichnis übernommenen aber kaum
zitierten Inkunabelkatalogs der Universitätsbibliothek Cambridge heißt
Oates und nicht Oats wie hier angegeben.
Schließlich noch eine letzte Bemerkung zur sonstigen Literatur. Wenn
schon Helmut Hillers Wörterbuch des Buches hier erscheint, dann hätte
man die 5., vollständig neu bearbeitete Auflage von 1991 nehmen sollen
und nicht die 4. von 1980.
8 Konkordanzen
Von den Konkordanzen ist das Signaturenverzeichnis am
aufschlußreichsten, weil es in knappster Form die Schichtung des
Paderborner Bestands erkennen läßt und die Zusammensetzung der
Sammelbände offenbart. Die in jüngerer Zeit geschaffene Signatur Fra
für Fragmente zeigt auf Anhieb, daß zumindest bei 10 Katalognummern
nur kleine Fragmente beschrieben sind.[14]
Die anderen Konkordanzen erfassen GW, Hain, Copinger und Reichling.
Die an diese Konkordanzen angehängten sonstigen Nachweise belegen
erneut die schon oben festgestellte mangelnde bibliographische
Sattelfestigkeit der Bearbeiter. Allein durch die Berücksichtigung von
BMC, Goff und IGI hätten die sonstigen Nachweise (S. 385) ein anderes
Aussehen bekommen.
9 Register
Die insgesamt 9 Register sind in zwei Gruppen unterteilt: a) Register
zu den Drucken (4); b) Register zu den Paderborner Exemplaren (5). Auf
das Register der Druckorte und Drucker wurde schon oben eingegangen.
Die Durchsicht des dreigeteilten Registers der an den Werken
beteiligten Personen (Herausgeber, Übersetzer, sonstige beteiligte
Personen) ergab auf Anhieb einige kleine Korrekturen. Picus, Johannes
Franciscus ist natürlich Picus Mirandulanus (Pico della Mirandola),
der Herausgeber der Werke seines berühmten Onkels Giovanni Pico della
Mirandola. Tuscanus, Johannes Alofiius: der zweite Vorname lautet
Aloisius. Verulanus, Johannes Sulpitius: Verulanus ist die
Herkunftsbezeichnung (aus Veroli), Sulpitius dagegen der Nachname,
unter den diese Person gestellt werden muß. Der Übersetzer Arispa,
Johannes ist der berühmte Humanist Aurispa und Phinicius (Rinuccinus)
ist kein Geringerer als Rinuccio d'Arezzo, der in lateinischer Form
hier unter Rinucius einzuordnen ist. Im Register der Verfasser von
Beigaben muß es bei Pirckamer, Georg natürlich Pirckheimer heißen. Es
handelt sich um den Nürnberger Kartäuserprior Georg Pirckheimer aus
der berühmten Nürnberger Familie.
Wichtig für die Erschließung der Paderborner Inkunabelsammlung ist das
Provenienzenregister, das bei den Personen keinerlei zusätzliche
Informationen bietet. Auch die Vornamen sind nur durch die Initialen
angedeutet. Nützlich sind die Verweisungen von den religiösen Orden
auf die betreffenden Orte. Sehr löblich sind die weiteren Register der
Kaufvermerke und Bücherpreise sowie der illuminierten Inkunabeln und
der als Makulatur in den Inkunabeln enthaltenen
Handschriftenfragmente.
10 Einbandregister und Einbände
So bleibt zum Schluß die Frage nach dem Einbandregister, von dem man
sich nach der Lektüre des die Einbände betreffenden Abschnitts der
Einführung (S. 41 - 45) einiges versprochen hätte. Aber ein wirkliches
Einbandregister gibt es nicht, sondern nur eine karge Zusammenstellung
(S. 441) der "identifizierten Einbände aus Abdinghof und Böddeken".
Jeder, der sich mit dem spätgotischen Einband in Deutschland befaßt
hat, weiß, daß das monumentale Werk von Ernst Kyriss[15] über die
verzierten gotischen Einbände im alten deutschen Sprachgebiet große
Lücken aufweist, die vor allem damit zusammenhängen, daß die von ihm
selbst besuchten und erforschten Bibliotheken zum größten Teil im
südlichen Deutschland und in der Tschechoslowakei liegen. Norddeutsche
Buchbinderwerkstätten fehlen bei Kyriss ganz. Die nördlichen
Rheinlande sind bei ihm lediglich mit einer Reihe von Kölner
Werkstätten vertreten (siehe Kyriss Nr. 15 - 18, 71, 95 - 101).
Deshalb ist jeder Beitrag zur Geschichte des spätgotischen Einbands im
nördlichen Deutschland hochwillkommen. Da sich der Paderborner Bestand
- wie aus den frühen Provenienzen hervorgeht - zum allergrößten Teil
seit eh und je in dieser Region befand und eher aus noch nördlicheren
Gefilden (zwischen Nordsee und Lübeck) als aus dem Süden stammt,
könnte er mit seinen spätgotischen Einbänden einige zusätzliche
Mosaiksteinchen zum Bild dieser Einbandlandschaft liefern. Gerade die
beiden klösterlichen Werkstätten in Paderborn und Böddeken, deren
Einbände hier als einzige in einem Register erfaßt wurden, sind jedoch
neben Buchbindereien in Falkenhagen, Liesborn, Lippstadt und Münster
die einzigen in dieser Region, über die es neuere und wissenschaftlich
brauchbare Literatur gibt, die für den Paderborner Katalog auch
ausgewertet wurde. Immerhin wird die weitere Erforschung der
Abdinghofer Werkstatt durch den vorliegenden Katalog, in dem rund 50
Bände aus dieser Werkstatt beschrieben sind, auf eine breite Basis
gestellt. Hätte man aufgrund des reichen Materials alle nachweisbaren
Stempel dieser Werkstatt originalgroß nach guten Durchreibungen
abgebildet, dann hätte man dem Katalog auch aus der Sicht der
Einbandkunde einen bleibenden Wert verliehen. Wenigstens wurde ein
Abdinghofer Einband auf Tafel 1 im Bild vorgestellt und auf Tafel 3
ein stark vergrößerter Einzelstempel nach einem Foto. Für die
Werkstatt in Böddeken liegen bereits Abbildungen von Einzelstempeln in
mehreren Publikationen vor, so daß man sich hier mit der Abbildung
eines Einbands (Tafel 2) und von sechs wiederum stark vergrößerten
Einzelstempeln (Tafel 3) begnügen kann. In der Einführung (S. 45)
erfährt man, daß sich im Paderborner Bestand auch mindestens drei
Einbände aus Liesborn befinden. Da wenigstens an dieser Stelle die
Signaturen angegeben sind, kann man sie über die Signaturenkonkordanz
auch im Katalog aufspüren. Dasselbe gilt für die beiden Kölner
Einbände, die aus der bei Kyriss unter Nr. 98 verzeichneten Werkstatt
stammen. In der Einführung wird auch vom ersten namentlich bekannten
Paderborner Buchbinder berichtet (S. 44 - 45), dessen Werkstatt
mindestens von 1591 bis 1613 bestand. Dieser Matthias (vielmehr
Matthäus) Dorbecker (Dhorbecher, Thorbecker usw.), der auch
Buchhändler war, soll einige der Paderborner Inkunabeln gebunden bzw.
neu eingebunden haben. Leider wird keiner dieser Bände genannt. Durch
das Provenienzenregister stößt man lediglich auf einen Sammelband mit
sechs Inkunabeln in einem offensichtlich spätgotischen Einband, den
das Paderborner Kloster Abdinghof 1593 wohl im Tausch für eine alte
Papierhandschrift ("liber antiquissimus in papyro exaratus") von dem
Buchhändler (und Buchbinder) Matthäus Dorbecker ("dhorbecher")
erworben hat. (Hat dieser Sammelband mit 4 Kölner und 2 Straßburger
Inkunabeln einen Kölner oder einen westfälischen Einband der Zeit?
Auch darüber schweigt sich der Katalog aus.)
Wie man sieht, haben es sich die Bearbeiter des Paderborner
Inkunabelkatalogs mit der Bestimmung der Einbände sehr einfach
gemacht, obwohl gerade die Einbandbeschreibung eine der raisons d'être
eines lokalen Inkunabelkatalogs ist. Mit entwaffnender Offenheit heißt
es am Schluß des Abschnitts über die Einbände in der Einführung: "Die
Ermittlung sonstiger Einbandprovenienzen kann in diesem Zusammenhang
nicht geleistet werden. Ohnehin sollten nur Hinweise zur
Einbandforschung an den Paderborner Inkunabeln für gründlichere
Untersuchungen gegeben werden. Es sollte auf einen Bestand aufmerksam
gemacht werden, den weiter zu untersuchen sich sicher lohnen dürfte"
(S. 45). Da es abgesehen von der Zusammenstellung der Abdinghofer und
Böddekener Einbände keinerlei Einbandregister gibt, bleibt dem
Einbandforscher, der sich näher mit den Paderborner Einbänden
beschäftigen will, nichts anderes übrig, als sich durch den ganzen
Katalog hindurchzuarbeiten, um die Einbände herauszufinden, deren
nähere Untersuchung sich lohnen könnte. Da alle Einbände zwar im
Katalog in Worten beschrieben sind, aber fast immer ohne Hinweis auf
ihr Alter oder ihren Entstehungsort (nach dem Muster "Brauner
Lederband über Holz mit Rollenprägung" wie bei Nr. 372) steht der
Einbandforscher in Paderborn vor einer zeitraubenden Aufgabe. Das
Versagen der Bearbeiter bei der Einbandbestimmung und das Fehlen eines
selbst primitiven Einbandregisters entwerten den Paderborner
Inkunabelkatalog beträchtlich. Darüber können auch die hübschen
Abbildungen (47 im Text und 20 - davon 16 farbige - auf Tafeln) nicht
hinwegtrösten, zumal sie mehr nach ästhetischen als nach
wissenschaftlichen Gesichtspunkten ausgewählt wurden.
Peter Amelung
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