Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 4
[ Bestand in K10plus ]

Hans Werner Henze


96-4-475
Hans Werner Henze : ein Werkverzeichnis 1946 - 1996 / [Red.: Andreas Krause (Koordination) ...]. - Mainz [u.a.] : Schott, 1996. - 436 S. : Ill., Notenbeisp. ; 24 cm. - Das vollständige vom Komponisten autorisierte Werkverzeichnis. - ISBN 3-7957-0322-0 : DM 78.00
[3596]

In der vorstehenden Rezension von Werkverzeichnissen für Beethoven und Mozart wird deren Aufgabe als Bibliographien des (Gesamt- oder Teil-) Werks von Komponisten mit der Verifizierung von Musikstücken definiert. Ein Anspruch auf Vollständigkeit kann dabei auch von den großen kritischen, meist nach dem Tode der Komponisten auf fundierter wissenschaftlicher Basis von Musikforschern zusammengestellten Verzeichnissen nur insofern erhoben werden, als alle zur Zeit der Zusammenstellung bekannten Werke Berücksichtigung finden.[1] Immer wieder jedoch haben Komponisten eigenhändig Verzeichnisse ihrer Werke angelegt, so z.B. Mozart[2] oder Lindpaintner.[3] Ein möglicher Grund hierfür kann u.a., wie z.B. im Henze-Werkverzeichnis, die nachträgliche Mißbilligung eigener Werke, die der Vergessenheit anheimgegeben werden sollen, sein - ein nicht unerheblicher Nachteil für jeden, der sich biographisch, entwicklungsgeschichtlich oder auf andere Weise mit der Person und ihrem Werk beschäftigt. Lassen wir Henze selbst zu Wort kommen: "Ein guter Teil dessen, was in dem nun vorliegenden Katalog vermerkt ist, ist Revisionen unterworfen worden. Einige Stücke sind verschwunden: ich habe sie zurückgezogen, weil ich nie oder nicht mehr mit ihnen einverstanden war. ... Man kann also sagen, daß der neue Katalog ein vollständig durchkorrigiertes Verzeichnis darstellt, worin mein Werk auf eine Art und Weise zur Schau gestellt wird, die meinen heutigen Wünschen und Vorstellungen entspricht. Einige der frühen Stücke haben nur noch wenig mit meinem heutigen Musikdenken und Können gemein, ich habe sie aber im Katalog belassen, weil sie doch zu mir, zu meiner Ausdruckswelt und zu meiner Geschichte gehören." (Vorwort S. 6 - 7).

Der Vorteil eigener Werkverzeichnisse dagegen besteht in der Möglichkeit, dem Interpreten Hinweise für die Aufführung zu geben, die dieser als Anhaltspunkte in Interpretationsfragen sicher dankbar annehmen wird. Henze nutzt die Gelegenheit sowohl in "einige(n) Beobachtungen und Hinweisen betreffend die Aufführungspraxis meiner Werke", die dem Verzeichnis unmittelbar vorangestellt sind, als auch in Form kurzer Kommentare zu Entstehung, Fassung und Text der einzelnen Werke selbst.

Enthalten sind die publizierten Werke "einschließlich autorisierter Bearbeitungen" (Hinweise für die Benutzer, S. 392) sowie die im Entstehen begriffenen La piccola Cubana, ein Vaudeville, und 9. Sinfonie. "Zurückgezogene, umbenannte Werke sowie Kollektivwerke und Gelegenheitswerke erscheinen - sofern sie ermittelt werden konnten - mit entsprechender Kennzeichnung im ersten, chronologischen Register" (S. 392), nicht jedoch im Werkverzeichnis selbst. Für Gelegenheits- und Kollektivkompositionen verweist Henze vielmehr auf die Paul Sacher Stiftung in Basel, wo die Manuskripte fast aller seiner Werke liegen. So läßt sich vermuten, daß für den Anhang die Redakteure verantwortlich zeichnen, während die übrigen Teile direkt aus der Feder Henzes stammen. Diese schließen sich an das Inhaltsverzeichnis an: 1. Vorwort; 2. die mit Preisen und Auszeichnungen gespickte Vita; 3. die oben genannten Beobachtungen und Hinweise zur Aufführungspraxis der Werke; 4. das grob systematisch geordnete Werkverzeichnis führt die Werke innerhalb der Kapitel Musiktheater: Oper; Musiktheater: Ballette; Vokalwerke; Orchester- und Ensemblewerke; Konzerte; Kammermusik chronologisch auf. Die Beschreibung der einzelnen Werke setzt sich zusammen aus dem Entstehungs- und ggf. Revisionsjahr, der Angabe der Aufführungsdauer und des Titels - der Originaltitel ist rot markiert -, dem Untertitel, der Widmung, den Uraufführungsdaten, der Textvorlage, den Satzbezeichnungen, dem Kommentar sowie der Angabe der Editionsnummer[4] für im Handel erhältliche Ausgaben (Stand April 1996), nicht dagegen für Leihmateriale. Ein Verlagsverzeichnis zum Auffinden sowohl der käuflichen Ausgaben als auch der Leihmateriale wäre zwingend notwendig.

Der Anhang enthält die folgenden Teile: 1. Hinweise für die Benutzer (sie hätten an den Anfang des Bandes gehört), 2. Ausgewählte Schriften Henzes, 3. Chronologisches Werkverzeichnis (der einzige Teil, der, wie schon erwähnt, die Werke Henzes vollständig aufführt, so daß man wenigstens den Titel nachgewiesen findet), 4. Alphabetisches Werkverzeichnis der Originaltitel ohne die im Hauptteil beigegebenen Übersetzungen, 5. ein wesentlich differenzierter als der Hauptteil gegliedertes Werkverzeichnis nach Besetzungen, fälschlicherweise auch als Gattungsverzeichnis bezeichnet, 6. Textdichter und Librettisten, 7. ein Verzeichnis der Komponisten und Maler, die Henze als Vorlage für eigene Werke dienten, 8. Instrumentenlexikon (der Terminus täuscht, handelt es sich doch vielmehr um eine Liste der verwendeten italienischen Namen mit beigegebener deutscher und englischer Übersetzung)[5], 9. Abbildungsverzeichnis der in den Band eingestreuten Notenbeispiele, handschriftlichen Texte, Szenenentwürfe, Werke bildender Künstler. Der ganze Band ist dreisprachig (deutsch, englisch, italienisch). Eine Ausnahme bilden Vokalmusik und Oper, für die Satzbezeichnungen bzw. Textanfänge nur in den Sprachen angegeben werden, in denen "singbare Übersetzungen vorliegen" (S. 394) und die auf italienisch angegebenen Instrumentalbesetzungen, für die aber das "Instrumentenlexikon" im Anhang Übersetzungen bietet.

Die aufwendige typographische Gestaltung[6] des Bandes trägt wesentlich zur Übersichtlichkeit bei. Jede Doppelseite gliedert sich in vier Spalten. Am äußeren oberen Rand jeder linken Seite ist die Kapitelüberschrift - schwarz unterlegt -, am äußeren oberen Rand jeder rechten Seite der Titel des Werkes, bei mehreren eine zusammenfassende nähere Bezeichnung bzw. im Anhang das jeweilige Register - ebenfalls schwarz unterlegt - angegeben, was die Orientierung beim Durchblättern des Bandes erleichtert.

Nach den Verlagsverzeichnissen der Werke Henzes aus dem Schott-Verlag[7] und dem in Forum Musikbibliothek erschienenen und inzwischen acht Jahre alten Bestandskatalog[8] öffentlicher Musikbibliotheken die beste und ausführlichste Übersicht über das Schaffen Henzes, die aber den Mangel hat, nicht-thematisch zu sein, also die für die Identifizierung von Musikstücken hilfreichen Incipits nicht enthält.

Martina Rommel


[1]
So identifizierte z.B. die Bachforschung nach 1950, dem Erscheinungsjahr der in zahlreichen Reprints erschienenen 1. Ausg. des Bach-Werke-Verzeichnisses (BWV) von Schmieder, weitere Werke Bachs, die als BWV 1981 - 1120 und BWV Anh. 190 - 208 in die 2. Ausg. 1990 Eingang fanden.
Man vergleiche Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Johann Sebastian Bach : Bach-Werke-Verzeichnis ; (BWV) / hrsg. von Wolfgang Schmieder. - Leipzig : Breitkopf & Härtel, 1950. - XXII, 747 S. : Notenbeisp. - Thematisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen Werke von Johann Sebastian Bach : Bach-Werke-Verzeichnis ; (BWV) / hrsg. von Wolfgang Schmieder. - 2., überarb. und erw. Ausg. - Wiesbaden : Breitkopf & Härtel, 1990. - XLVI, 1014 S. : Notenbeisp. (zurück)
[2]
[Thematisches Verzeichnis sämmtlicher Kompositionen von W. A. Mozart], eigenhändiges Werkverzeichnis, Faksimile : British Library Stefan Zweig MS 63 / Mozart. Einf. und Übertragung von Albi Rosenthal und Alan Tyson. - Kassel : Bärenreiter-Verlag, 1991. - 57 S., 43 Bl. : Ill., Notenbeisp. - (Neue Ausgabe sämtlicher Werke / Wolfgang Amadeus Mozart ; Werkgruppe 33, Abt. 1 : Serie 10, Supplement). - Lizenzausg. der British Library, London. (zurück)
[3]
Thematisches Verzeichnis meiner sämtlichen Werke / P. Lindpaintner. - Handschrift, Württembergische Landesbibliothek Stuttgart, Cod. mus. II 40/80 1,1-4. (zurück)
[4]
Die Art der Zitierung ist völlig unzureichend: es mag zwar angehen, dem potentiellen Käufer zuzumuten, ED als Edition Schott aufzulösen, doch welche Verlage stecken hinter Bezeichnungen wie SHS, CON und BN bei Libretti, bei letzteren wenigstens zusammen mit der ISBN? (zurück)
[5]
Dabei wären Definitionen für Instrumente wie z.B. Boo-bam, Guiro, Loo-jon, Puíta sicher nicht fehl am Platz. (zurück)
[6]
Verwendet werden Schwarz- und Rotdruck, Weißdruck auf schwarzem Hintergrund sowie Graudruck, der sich auf dem weißen Hintergrund als schlecht lesbar und kaum kopierbar erweist. (zurück)
[7]
Mit wechselndem Titel, z.B.: Hans Werner Henze : Werkverzeichnis. - Stand Juli 1991. - Hans Werner Henze : Verzeichnis der veröffentlichten Werke. - Stand März 1996. (zurück)
[8]
Hans Werner Henze : ein Bestandsverzeichnis der öffentlichen Musikbibliotheken in der Bundesrepublik Deutschland / Red. und Bearb.: Klaus Schneider. // In: Forum Musikbibliothek. - 1989,1, S. 37 - 68. (zurück)

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