Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 4
[ Bestand in K10plus ]

The Nietzsche canon


96-4-439
The Nietzsche canon : a publication history and bibliography / William H. Schaberg. - Chicago ; London : University of Chicago Press, 1995 [1996]. - XVI, 281 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 0-226-73575-3 : $ 36.50, œ 29.95
[3491]

Die von William H. Schaberg vorgelegte Untersuchung gliedert sich in zwei Teile. Der erste, etwa zwei Drittel des Buches umfassende Teil erzählt die Entstehungs- und Publikationsgeschichte der Veröffentlichungen Nietzsches. Den zweiten, etwa 30 Seiten umfassenden Teil will der Autor als "annotierte Bibliographie" zu diesem Gegenstand verstanden wissen. Ein Register der Werke Nietzsches und ein kombiniertes Sach- und Personenregister runden den Band ab. Zum Kanon der Schriften Nietzsches zählt Schaberg die von ihrem Autor zur Veröffentlichung vorbereiteten Druckschriften. Dabei kann es sich um Aufsätze, Aufrufe, Rezensionen, selbständige Werke oder auch um die einzige zu Lebzeiten Nietzsches publizierte Komposition handeln. Aufgrund dieses - im Falle Nietzsches durchaus plausiblen - Kriteriums zählt die erst 1908 veröffentlichte autobiographische Schrift Ecce homo, für die Nietzsche das Druckmanuskript im Jahr 1888 vorbereitete, noch zum Kreis der behandelten Werke, während die bereits 1901 erstmals veröffentlichte Nachlaß-Kompilation Der Wille zur Macht streng genommen nicht mehr zum Nietzsche-Kanon gehört. (Schaberg muß sich jedoch bewußt gewesen sein, daß sein Buch ohne die Einbeziehung dieser wirkungsmächtigen Nachlaß-Edition torsohaft geblieben wäre. Er hilft sich mit einem Kunstgriff: Sowohl im darstellenden Teil als auch in der Bibliographie fügt er den Willen zur Macht gewissermaßen als Anhang hinzu.)

Der darstellende erste Teil folgt der Chronologie der Veröffentlichungen Nietzsches. Von den Philologica der 60er Jahre bis zu den an der Jahreswende 1888/89 entstandenen Werken erfährt der Leser hier eine Menge über Nietzsche als Autor, wobei "Autor" hier - neben Verlegern, Buchhändlern, Rezensenten sowie potentiellen und tatsächlichen Käufern - als ein Glied in der Publikationskette zu verstehen ist. Die Merkmale, für die sich Schaberg bei jeder der von ihm vorgestellten Veröffentlichungen interessiert, sind der Entstehungsprozeß, das Datum der Einlieferung des Manuskripts beim Verleger, der Herstellungsprozeß und der Prozeß des Korrekturlesens sowie die Einbandgestaltung, die Auflagenhöhe, das Honorar, der Verkaufspreis und das Datum der Auslieferung. Einen Schwerpunkt bildet die Behandlung der Werke, die - angefangen von Schopenhauer als Erzieher bis zum dritten Teil von Also sprach Zarathustra - zwischen 1874 und 1884 von Ernst Schmeitzner in Chemnitz verlegt wurden. Für diese Periode gilt, daß Schaberg sich im wesentlichen auf das gleiche Material stützt und zu ähnlichen Einschätzungen gelangt wie Malcolm B. Brown in seiner gründlichen Untersuchung der Beziehung Nietzsches zu diesem Verleger, die er bereits 1987 vorgelegt hat.[1]

Sowohl das Erkenntnisinteresse des darstellenden Teils als auch die Beschreibungsprinzipien, die dem bibliographischen Teil zugrundeliegen, stehen in der Tradition der analytical bibliography, wie sie im angloamerikanischen Sprachraum entwickelt wurde. Die grundlegenden Arbeiten von Ronald B. McKerrow und Fredson T. Bowers werden explizit als Bezugspunkte genannt. In der Bibliographie gibt Schaberg Beschreibungen der Haupttitelseite und des Umschlags, und er macht Angaben zur Seitenzahl sowie - soweit eruierbar - zum Publikationsdatum, zur Auflagenhöhe und zu den Verkaufszahlen. Hier verzeichnet Schaberg auch die Varianten, die durch die Übernahme einzelner Werke Nietzsches von einem Verlag in einen anderen entstanden. - Mit der Darstellung und der Bibliographie Schabergs ist dem Benutzer ein Kompendium in die Hand gegeben, das es ihm ermöglicht, die verschiedenen Phasen der Publikationsgeschichte einzelner Werke Nietzsches eindeutig zu unterscheiden. Damit wendet sich das Buch in erster Linie an Leser mit ausgeprägten bibliophilen Interessen, aber auch Bibliothekare und Nietzsche-Forscher werden es mit Gewinn nutzen können.

Frank Simon-Ritz


[1]
Friedrich Nietzsche und sein Verleger Ernst Schmeitzner : eine Darstellung ihrer Beziehung / Malcolm B. Brown. // In: Archiv für Geschichte des Buchwesens. - 28 (1987), S. 215 - 291. (zurück)

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