Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 4
[ Bestand in K10plus ]

Deutsche Presse


96-4-386
Deutsche Presse : biobibliographische Handbücher zur Geschichte der deutschsprachigen periodischen Presse von den Anfängen bis 1815 / Holger Böning. - Stuttgart- Bad Cannstatt : Frommann-Holzboog. - 25 cm. - ISBN 3-7728-1589-8
[3438]
Bd. 1. Hamburg : kommentierte Bibliographie der Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblätter, Kalender und Almanache sowie biographische Hinweise zu Herausgebern, Verlegern und Druckern periodischer Schriften / Holger Böning ; Emmy Moepps
1. Von den Anfängen bis 1765. - 1996. - LVII S., 758 Sp. - ISBN 3-7728-1589-8 : DM 510.00
2. 1766 - 1795. - 1996. - Sp. 761 - 1566. - ISBN 3-7728-1591-X : DM 510.00
3. 1796 - 1815. - 1996. - Sp. 1569 - 2419. - ISBN 3-7728-1763-7 : DM 510.00

In den vergangenen Jahren sind für den norddeutschen Raum pressebibliographische Groß-Unternehmen begonnen worden, die für solche Arbeiten modellhaft neue Maßstäbe setzen. Konnte Gert Hagelweide in dieser Zeitschrift die Publikation der mehrjährigen Forschungsarbeiten von Peter Stein[1] für die Region Nordostniedersachsen emphatisch als "unvorstellbares Wunder in dürrer pressebibliographischer Landschaft" begrüßen, so ist für die Arbeit von Holger Böning und Emmy Moepps u.E. noch eine Steigerung vonnöten, wenn sie denn gegenüber dem Zitat noch möglich wäre. Boening und Moepps präsentieren uns eine Großbibliographie der historischen Pressemetropole Hamburg von den Anfängen der Presse bis 1815 in einer Ausführlichkeit und Intensität, wie sie in ihrer Art bisher noch nicht publiziert worden ist. Methodisches Neuland wird in einer Art betreten und zugleich besetzt, daß sie neben fast atemberaubender Bewunderung doch zugleich die Furcht heraufruft, an einem solchen Maßstab werde sich wohl kaum jemand jemals wieder messen lassen wollen.

In der zeitlichen Folge ihres je ersten Stückes werden uns die 1018, in den Jahren 1492 bis 1815 in Hamburg begründeten Periodika präsentiert: In ausführlichster Titelbeschreibung aller Stück- und Bandtitel und Zählung, Erscheinungsweise, Druckformate etc., unter Nennung der Herausgeber, Redakteure, Korrespondenten und Beiträger und ihres Wechsels; der Nennung von Erscheinungsort, Verleger und Drucker, des Erscheinungszeitraums, aller Angaben zur Preisgestaltung, der Angaben zu Vorgänger- oder Nachfolgeblättern, Beilagen, Neuauflagen und Nachdrucken etc. Dazu Nachweise von Ankündigungen und zeitgenössischen Rezensionen, ergänzende bibliographische Nachweise und die aller bekannten Forschungsliteratur, Standortangaben des eingesehenen Exemplars, aller Hamburger und weiterer via Fernleihe erreichbarer Exemplare (jedoch ohne Anspruch auf Vollständigkeit) sofern vorhanden resp. - in den durchaus nicht wenigen Fällen von Totalverlusten oder Unerreichbarkeit - Nachweis und Beschreibung aufgrund von Literaturhinweisen, weiter Angaben zur Auflage, Informationen zu pressegeschichtlich bedeutsamen Besonderheiten, Mitteilung zusätzlich anfallender Informationen (wie Zensurkonflikte, Rezeptionszeugnisse etc.). Als Hauptleistung danach jeweils ein Kommentar im Umfang von wenigen Zeilen bis hin zu 20 Spalten, aber meist mehrspaltig je nach Bedeutung und Wertschätzung, - ein Kommentar, der das Periodikum von außen und von innen durch Zitate von programmatischen Texten u.ä. charakterisiert, der die Spannweite des Inhalts anzugeben versucht und zeitgenössische Urteile und Informationen vermittelt. Die im Kommentar verwendeten Sachbegriffe und Orte werden zur Erstellung eines entsprechenden Registers verwendet; sie sind allerdings im Text nicht besonders hervorgehoben, so daß nicht erkennbar ist, unter welchen Sach- und Ortsbegriffen ein Periodikum indexiert wird.[2] Als weitere Indizes werden ein Register der Personen und Institutionen angeboten, das sich in Teilen zu eigenen kleineren Artikeln ausweitet (und so das Versprechen "biobibliographischer Handbücher" - im Zusatz zum Reihentitel - erfüllt) und schließlich ein Titelregister, das alle Titelvarianten in mechanischer und (zusätzlich im selben Register!) grammatischer Wortfolge unter Angabe des Erscheinungszeitraums verzeichnet und auf die Titelnummer verweist.

Aufgenommen und kommentiert werden in den 3 Hamburger Teilbänden alle Periodika, die in Hamburg bis 1815 in Druck gegangen sind. Als Periodika werden alle Schriften mit Fortsetzungscharakter begriffen, d.h. in erster Linie Zeitungen, Intelligenzblätter (d.i. Anzeigenblätter) und Zeitschriften und Jahrbücher, aber auch Übergangsphänome hin zu monographischen Schriften, wenn sie nur in periodischer Absicht begonnen wurden oder aus verlegerischem Kalkül in vielzählige Einzelstücke aufgeteilt wurden. Nicht aufgenommen wurden hingegen handschriftlich vervielfältigte periodische "Dienste" auf der einen Seite und Flugblätter, Flugschriften, Kleinschriften und ein- und mehrbändige Monographien auf der anderen, sofern diese Druckwerke erkennbar ohne periodische Absicht publiziert wurden. Übergänge wie Vorabveröffentlichungen von Sonntagspredigten und - noch heute so genannte - Lexikonzeitschriften, die von Beginn an auf eine abgeschlossene Zahl von Einzelstücken hin geplant wurden, zeigen, daß eine absolut trennscharfe Definition des Inhalts nicht möglich und auch nicht sinnvoll ist, wenn die historische Vielfalt eines Verlagsortes beschrieben werden soll. Viel wichtiger für die Erreichung dieses Ziels war vielmehr, auch die verloren gegangenen Periodika zu beschreiben, die sich aufgrund historischer Zufälligkeiten oder der Hamburg heimsuchenden großen Katastrophen (Kriegsverwüstungen, Brände und Überschwemmungen) weder in einer der zahlreichen Hamburger öffentlichen und privaten Bibliotheken und Archive noch in anderen öffentlichen Institutionen außerhalb Hamburgs erhalten haben. (Kriterium für die Nicht-Erreichbarkeit außerhalb Hamburgs ist der zweimalige Negativ-Nachweis im Leihverkehr der Bibliotheken!) Wenn auch nicht auszuschließen ist, daß irgend ein Produkt über das Stadium der Ankündigung gar nicht oder nur wenig hinaus gekommen ist und so "zu Unrecht" aufgenommen worden ist, so liegt doch gerade hier, in der erschließenden Beschreibung verloren gegangener Publikationen, eine der essentiell über eine beschreibende Bibliographie hinausgehenden Forschungsleistungen der beiden Autoren.[3]

Schwieriger ist schon die Begründung des zeitlichen Abbruchs der Bibliographie zum Jahresende 1815, der von Böning relativ lapidar mit der "hier für den gesamten deutschsprachigen Raum vorliegenden politischen und pressepolitischen Zäsur" und ergänzend mit dem Hinweis auf jetzt einsetzende Bibliographien zur neueren deutschen Presse begründet wird.[4] Solche an einem fixen Zeitpunkt festgemachten Abgrenzungen vermögen nie vollständig zu überzeugen (hier z.B. wegen des Fortbestehens der Intelligenzblätter noch bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts oder wegen des Fortbestandes resp. Übernahme der Zensurpraktiken ebenfalls bis zur Jahrhundertmitte oder wegen der nur für Literaturzeitschriften geltenden Besserung bibliographischer Nachweise etc.). Seien wir Böning und Möpps aber dafür dankbar, daß sie die über das Jahresende 1815 hinaus weiterbestehenden Periodika auch für die noch folgenden Erscheinungsjahre bibliographisch und inhaltlich beschrieben haben. Pressehistorisch überzeugend ist nur der Hinweis auf die nach 1810 beginnende, rasche Ausbreitung der lokalen Berichterstattung durch Lokalzeitungen in vielen kleineren Orten.[5] In den "Hinweisen für Benutzer der biobibliographischen Handbücher ..." und während der mehrjährigen Arbeiten an den Hamburger Bänden schon an anderer Stelle[6] entwirft Böning den Plan einer innovativen historischen Pressebibliographie für die deutschsprachigen Länder, "die quasi von unten nach oben, als Summe der Pressebibliographien aller deutschen Presseorte entstehen soll".[7] Dieses Fernziel vor Augen und mit den überaus gelungenen Bänden über Hamburg als Beleg für die Durchführbarkeit eines solchen Vorhabens hat Böning die Konkretisierung seiner Planungen begonnen. Ein "Ergänzungsband" von Böning und Möpps über Altona und Schiffbeck mit 250 Periodika befindet sich schon im Stadium der letzten Autorenkorrektur, bibliographische Forschungsarbeiten zur Pressegeschichte Leipzigs (ausgeführt von einem anderen Wissenschaftler der Universität Bremen in Zusammenarbeit mit der Universität Leipzig) sind in das Förderungsprogramm der DFG aufgenommen worden, Kontakte zur Bearbeitung weiterer Orte (Halle, Braunschweigische Lande) wurden mit dortigen Wissenschaftlern geknüpft.[8] Wir dürfen hoffen, daß sich für eine möglichst große Anzahl von Orten die Planungen Bönings realisieren lassen, der avisierte Gesamtplan wird wohl - ohne besonders skeptisch sein zu müssen - Idealprogramm bleiben. Aus lokaler Bremer Sicht bliebe zu hoffen, daß unter den Provinzplätzen der Arbeitsort der "Deutschen Presseforschung" nicht vergessen wird. Aus der Beschränkung immer knapper werdender Bibliotheksetats heraus sei abschließend nur die Hoffnung geäußert, daß der Kaufpreis für die vorgelegte Bibliographie ihre wünschenswerte und notwendige Verbreitung nicht behindern möge. Was für die Dokumentation einer Pressemetropole wie Hamburg vielleicht noch tragbar sein mag, wird aber für einen Provinzort nicht mehr gelten. Ist die Zeit solcher Publikationen durch private Buchverlage nicht doch schon vorüber und stattdessen die Planung alternativer, elektronischer Angebotsformen angebracht?

Wilbert Ubbens


[1]
Die nordostniedersächsische Tagespresse : von den Anfängen bis 1945 ; ein Handbuch / Peter Stein. - Stade, 1994. - 511 S. ; 25 cm. - (Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der Ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden ; 6). - Enth. S. 363 - 485: Bibliographie der Zeitungen. - ISBN 3-9801919-5-8 : DM 48.00 [2678]. - Vgl. IFB 95-2-178. (zurück)
[2]
Durchschnittlich hat jedes Periodikum 10 Registereinträge erhalten. Solche Einträge können aus Titelstichwörtern, Stichwörtern aus der Kommentierung und aus frei gebildeten, auch mehrgliedrigen Schlagwörtern bestehen, die im Arbeitsprozeß der Indexierung aufeinander abgestimmt worden sind. (zurück)
[3]
Durch die Erschließung der zeitgenössischen Literatur werden über 500 bisher nicht bekannte Periodika ans Licht gebracht, die sich wie viele andere durch ihre relative Kurzlebigkeit von 2 bis 3 Jahren auszeichnen. Diese Kurzlebigkeit beruhte durchaus auf verlegerischem Kalkül, da die Verleger ihre Abonnenten mit einem Produkt finanziell nicht überfordern mochten oder konnten und es daher vorzogen, bei abbröckelndem Interesse eine neue Zeitschrift - oft ähnlichen Inhalts - zu publizieren. (zurück)
[4]
Pressebibliographie und Presseauswertung : deutschsprachige Presse bis 1815 / Holger Böning. // In: Relation. - 1. 1994,1, S. 124; noch knapper in den "Hinweisen für den Benutzer der biobibliographischen Handbücher zur deutschen Presse", Bd.1,1 S. IX. (zurück)
[5]
Exemplarisch für eine Region belegt durch Peter Stein, s.o. Anm. 1. (zurück)
[6]
S.o. Anm. 4 und bereits früher: Bibliographie der deutschsprachigen Presse bis 1815 / Holger Böning. - // In: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur. - 17 (1992),2, S. 110 - 137. (zurück)
[7]
Pressebibliographie und Presseauswertung / Holger Böning (s.o. Anmerkung 4), S.124. Dort heißt es weiter: "Berücksichtigt wird jeder Ort des deutschsprachigen Raumes (Deutschland, Österreich und die deutschsprachige Schweiz), in dem bis 1815 eine periodische Schrift erschienen ist." Hinzu kommen deutschsprachig mitgeprägte, heute fremdsprachige "Verlagsorte wie Danzig, Königsberg und Riga, Kopenhagen, Prag, Straßburg, Thorn und St.Petersburg". (Hinweise S.VII). (zurück)
[8]
Mündliche Auskünfte durch Böning im September 1996. Zumindest als Anmerkung sei doch vermerkt, daß die Zentrale Wissenschaftliche Einrichtung "Deutsche Presseforschung" der Universität Bremen - 1982 hervorgegangen aus einer wissenschaftlichen Abteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen - ihren Mitarbeitern, zu denen Böning und Moepps zählen, die Konzentration auf langfristige Forschungsprojekte durch ihre besondere Konstruktion ermöglicht. (zurück)

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