Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 4
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Die Handschriften des 12. Jahrhunderts der


96-4-376
Die Handschriften des 12. Jahrhunderts der Staatsbibliothek Bamberg / beschrieben von Gude Suckale-Redlefsen. - Wiesbaden : Harrassowitz, 1995 [1996]. - XLV, 205 S. : zahlr. Ill. ; 33 cm. - (Katalog der illuminierten Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg ; 2). - ISBN 3-447-03530-7 : DM 200.00
[3496]

Bamberg, das auf sieben Hügeln errichtete Abbild Roms, dessen Bistum und Dom König Heinrich II., der Liudolfinger aus Baiern, 1007 listenreich gestiftet und üppig ausgestattet hatte, wurde schon zu Lebzeiten des Stifters als Sepher Cariath, als Stadt der Bücher gepriesen. Die heutige Bamberger Staatsbibliothek verwahrt allen eingetretenen Verlusten zum Trotz von den in der Glanzzeit der Bischofsstadt, den im 11. und 12. Jahrhundert von der Dombibliothek und dem Kloster Michelsberg erworbenen Bücherschätzen einen immer noch so bedeutenden und beträchtlichen Teil, daß die Handschriftensammlung der Bibliothek, nur wenige Schritte von den mittelalterlichen Standorten der Bücher entfernt, als eine der bedeutendsten und geschlossensten früh- und hochmittelalterlichen Büchersammlungen Deutschlands gelten kann. Die Bestände sind seit fast einem Jahrhundert durch die auch heute noch beeindruckenden Textkataloge von Friedrich Leitschuh und Hans Fischer hervorragend erschlossen,[1] die - dem philologischen Geist gehorchend und dem Katalogtypus entsprechend - den Buchschmuck nur am Rande und nach wechselnden Kriterien beachteten.

Etwa je 100 illuminierte Handschriften aus vorromanischer und romanischer Zeit werden heute im Bamberg verwahrt, von denen vor allem die Prunkstücke von der Reichenau und aus Seeon aus dem 10. und 11. Jahrhundert immer wieder die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen haben,[2] während die Bestände des 12. Jahrhunderts der Öffentlichkeit dagegen weitgehend unbekannt geblieben sind. Da der Gesamtbestand an illuminierten Handschriften aus der Zeit vor 1200 für einen einzigen Katalogband zu umfangreich ist, entschied man sich mit einigen Bedenken, die besser bekannten Bestände des 6. bis 11. Jahrhunderts vorerst zurückzustellen und mit der kunsthistorischen Erschließung der Handschriften des 12. Jahrhunderts zu beginnen. Folgerichtig hat der hier vorzustellende Katalog als Band auch die Zählung 2 erhalten, obwohl der erste Band noch nicht erschienen ist. Er beschreibt und dokumentiert in 254 Abbildungen (davon 14 farbig) in Originalgröße und in 11 Vergleichsabbildungen 97 Handschriften der Bamberger Staatsbibliothek aus der Zeit zwischen 1100 und 1200, von denen 71 (Kat. Nr. 1 - 71) mit Sicherheit oder mit größter Wahrscheinlichkeit zumindest teilweise auch in Bamberg entstanden sind; 26 Handschriften aus dem gleichen Zeitraum wurden außerhalb Bambergs geschrieben und illuminiert, davon zwei in Süd- und Westdeutschland (Kat. Nr. 72 - 73), neun in Italien (Kat. Nr. 89 - 97) und 15 in Frankreich (Kat. Nr. 74 - 88). Die Beschreibungen der Handschriften folgen den oben vorgestellten Richtlinien der DFG; Signaturenkonkordanz, Abbildungsverzeichnis sowie zwei Register (ein Personen-, Orts- und Sachregister sowie ein Spezialregister für Buchschmuck, Ikonographie und Einband) erschließen den vorbildlich gearbeiteten Band.

Die Einleitung der Autorin (S. XI - XLV), die die in den Katalogbeschreibungen zusammengetragene Vielzahl von Einzelbeobachtungen unter neuen Gesichtspunkten zu einem Gesamtüberblick ordnet, ist ein bemerkenswerter Essay zur Geschichte der bisher kaum erforschten Bamberger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts. Nachdem die Autorin mit wenigen Strichen die allgemeinhistorischen und bibliotheksgeschichtlichen Rahmenbedingungen für die Bamberger Bücherproduktion im 11. und 12. Jahrhundert skizziert und die wichtigsten handelnden Personen, die bischöflichen Auftraggeber von Otto I. (1102 - 1139) über Eberhard II. (1146 - 1170) bis zu Otto II. (1177 - 1196) ebenso wie die wenigen namentlich bekannten Buchmaler vorgestellt hat, arbeitet sie in einem stilgeschichtlichen Überblick die wesentlichen Etappen der Bamberger Buchmalerei des 12. Jahrhunderts heraus. Es zeigt sich, daß die Ausgangssituation um 1100 Grundstrukturen aufweist, die ähnlich auch in anderen Zentren des Reiches - beispielsweise in Köln, Corvey und Werden - spürbar sind: Rückgriff auf und Orientierung an älteren Vorbildern und Stilelementen charakterisieren die Ausstattung der Handschriften. Spätestens seit dem 2. Viertel des 12. Jahrhunderts bestimmt dann das vielköpfige Skriptorium im Kloster Michelsberg die Bamberger Buchproduktion. Die Michelsberger Maler bevorzugen - wohl unter dem Einfluß der Hirsauer Reform - die Zeichentechnik.[3] Um die Mitte des Jahrhunderts werden ältere Handschriften nachträglich illuminiert. Die Deckfarbenmalerei setzt sich - vermittelt durch Beziehungen zum Kunstkreis um St. Peter in Salzburg - erst im letzten Viertel des 12. Jahrhunderts durch. Etwa zur gleichen Zeit mit diesem Wandel machen sich Tendenzen bemerkbar, die für das Bamberger Skriptorium wie auch für die Bamberger Schule weitreichende Konsequenzen haben sollten: Bamberger, die vor allem in Frankreich studiert haben, bringen moderne französische Literatur mit zeitgenössischem französischem Buchschmuck in ihre Heimat mit. Ein kurzer Abschnitt über die spätmittelalterliche und neuzeitliche Geschichte der Bamberger Sammlungen und über deren Einbände rundet diesen Essay ab. Der Reichtum an Einzelbeobachtungen in den Beschreibungen und in der Einleitung kann hier nicht einmal angedeutet werden. In Einzelfällen - wie beispielsweise bei dem berühmten Bamberger Schreiberbild (Kat. Nr. 30) - bietet die Autorin neue und überzeugende Interpretationen auch des Gewohnten. Auch die Umdatierung mancher Handschrift wird gut begründet und erscheint stichhaltig.[4]

Auch wenn man sich der Tatsache bewußt bleibt, daß in der Regel eher die traditionell anerkannte als die neueste Literatur anspruchsvoll ausgestattet wird, so wirft doch die Zusammensetzung der in diesem Katalog versammelten Handschriften ein bezeichnendes Licht auf das schulische und geistige Klima im Bamberg des 12. Jahrhunderts. Die Bamberger Domschule, deren Ruhm im 12. Jahrhundert noch hell strahlt, sinkt in der Mitte des 13. Jahrhunderts zu einer Schule nur noch regionaler Bedeutung herab.[5] Die Zusammensetzung der im 12. Jahrhundert in Bamberg mit Initialen, Federzeichnungen oder Deckfarbenmalerei ausgestatteten Handschriften bietet dafür eine Erklärung. So wie die Bamberger Domschule noch im 12. Jahrhundert ihren Ruhm im wesentlichen den traditionellen Fächern der Artes liberales, vor allem der Grammatik, der Rhetorik und der Komputistik verdankt, so überwiegen unter den des Buchschmucks für würdig befundenen Werken neben einigen Liturgica in überwältigender Zahl die Texte der Patristik und der älteren Theologie. Die in die Zukunft weisenden Handschriften der Glossa ordinaria zur Bibel, der frühscholastischen Theologie mit ihrem 'dialektischen' Zugriff auf die autoritativen Textbücher, der Kanonistik und der Legistik sind, sofern überhaupt vorhanden, Importware aus Frankreich und Italien. Den aufstrebenden Schullandschaften der Ile-de-France und später dann den Universitäten in Paris und Bologna, den Pflanzstätten der neuen Wissenschaften und der Rezeption des antiken und arabischen Wissens, kann man in Bamberg und im Reich nichts Gleichwertiges mehr entgegensetzen. Das Diktum des Alexander von Roes aus den achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts, nach dem den Deutschen das 'imperium', den Italienern das 'sacerdotium' und den Franzosen das 'studium', die Wissenschaft also, zustehen sollte, gilt allem Ruhm der Bamberger Schule zum Trotz schon einhundert Jahre früher für die schulische und soziale Wirklichkeit des Reiches.


[1]
Katalog der Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Bamberg / bearb. von Friedrich Leitschuh und Hans Fischer. - Bamberg. - Bd. 1 (1895/1908) - 3 (1912). - Zu den späteren Erwerbungen vgl. Katalog der Handschriften der Staatsbibliothek Bamberg. - Wiesbaden : Harrassowitz. - Bd. 4. Erwerbungen seit 1912 / Fridolin Dressler. - 1966. - VIII, 92 S. (zurück)
[2]
Vgl. mit reichen Literaturangaben zu den Bamberger Handschriften des 10. und 11. Jahrhunderts im wesentlichen unter paläographischen Gesichtspunkten die fast gleichzeitig mit dem hier zu besprechenden Katalog erschienene Untersuchung: Bamberger Handschriften des 10. und des 11. Jahrhunderts / Hartmut Hoffmann. - Hannover : Hahn, 1995. - XIII, 209 S. - (Monumenta Germaniae Historica : Schriften ; 39). - ISBN 3-7752-5439-0 : DM 128.00. (zurück)
[3]
Vgl. auch Klemm, Katalogisierung ..., S. 92 - 93. (zurück)
[4]
Zu Msc. Patr. 11 (Kat. Nr. 2) und Msc. Patr. 66 (Kat. Nr. 4) vgl. die abweichenden Datierungen bei Hoffmann, Bamberger Handschriften ..., S. 152 - 153 und S. 158. (zurück)
[5]
Die Bamberger Domschule und die Rezeption von Frühscholastik und Rechtswissenschaft in ihrem Umkreis bis zum Ende der Stauferzeit / Johannes Fried. // In: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters / Johannes Fried (Hrsg.). - Sigmaringen, 1986. - (Vorträge und Forschungen ; 30), S. 163 - 201, bes. S. 166 und S. 184. (zurück)

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