Nicht nur der zeitliche Verzug in der Publikation der Enzyklopädie,
auch die Tatsache, daß Bd. 3 mit dem Buchstaben Z eigentlich den
Abschluß hätte bilden sollen, veranlaßt den Herausgeber im Vorwort zu
einer Stellungnahme. Aus Bd. 1 und 2[2] habe man, wie es heißt,
"gelernt" und sei bei grundsätzlich unveränderter Konzeption zu
Modifikationen bei den Verweisungen und im bibliographischen Apparat
gekommen. Nebenbei gesteht der Herausgeber freimütig ein, daß sich die
Mitarbeiter von Vielzahl und Umfang der zu erstellenden Artikel
zunächst überraschen ließen. Bei einer Publikation diesen Anspruchs
sei einmal unterstellt, daß eine vollständige Liste der Stichwörter
bereits zu Beginn der Ausarbeitungen vorlag, wenn nun "eine noch
sorgfältigere systematische Abstimmung der Artikel untereinander (über
ein weiter ausgearbeitetes Verweissystem)" angekündigt wird.
Beträchtlich an Umfang gewonnen hat denn auch der bibliograpische Teil
der Einträge, wobei eben "ein noch größeres enzyklopädisches Augenmerk
auf die Werk- und Literaturverzeichnisse" (S. 5) gelegt wurde.
Die Enzyklopädie versteht sich sich als ein "Instrument
wissenschaftlicher Arbeit" (1980, S. 5) und wendet sich in Auswahl und
Stil der Artikel an den Experten. Dabei ist mit den Fächern
Philosophie und Wissenschaftstheorie das Themengebiet breit und
fächerübergreifend angelegt. Erfaßt werden der klassische Bestand
philosophischen Wissens, (formale) Logik und Theorie der
Wissenschaftssprache, allgemeine Wissenschaftstheorie (im Sinne einer
Erkenntnistheorie) und spezielle Wissenschaftstheorie, die sich den
Grundlagenproblemen der Fachwissenschaften widmet.
Bevorzugt werden Themen des naturwissenschaftlichen Bereichs
aufgegriffen, im eher historisch orientierten Bereich ist, an der
Spaltenzahl der Einträge gemessen, kein Schwerpunkt auszumachen:
Physik 16 Sp., Psychologie 10 Sp., Soziologie 3 Sp., Einträge zu
Pädagogik und Philologie fehlen leider. Überhaupt ist die Auswahl der
Stichwörter an vielen Stellen inkonsequent: Wohl gibt es einen Eintrag
zu Sozialphilosophie und Sozialwissenschaft; wer nun das Pendant zu
Religionsphilosophie (nämlich Religionswissenschaft) sucht, schlägt
allerdings vergebens nach. (Hegels) Phänomenologie des Geistes sind
immerhin 7 Sp. gewidmet; da ist es verwunderlich, daß ein Hinweis, ob
und unter welchem Stichwort (Newtons) Philosophiae naturalis principia
mathematica dargestellt werden, fehlt. Sklavenmoral wird in Abgrenzung
zu Herrenmoral als ein Grundtyp der Moralen im Rekurs auf Nietzsche
vorgestellt; doch hat man in Bd. 2 auf einen Eintrag unter Herrenmoral
verzichtet wie auch das hier einschlägige Werk Nietzsches Zur
Genealogie der Moral (1887) unerwähnt bleibt. Gelungen sind dagegen
Versuche, differenten Sachverhalten, wie z.B. Platonismus in
historischer und wissenschaftstheoretischer Hinsicht, durch zwei
gesonderte Einträge zu entsprechen. Die Verweisungen sind in der Regel
in den Text gestreut, oft sehr zahlreich: Der einspaltige Artikel
progressiv bringt es auf 21 Verweisungen. Auf Personen wird dabei
nicht verwiesen. Die Präsentation der bibliographischen Angaben ist
komplex zu nennen: Hinweise auf Primärtexte, einzelne Textstellen und
Forschungsliteratur finden sich auch im darstellenden Teil. Im
bibliographischen Teil werden bei Personenartikeln Werke und
Sekundärliteratur getrennt aufgeführt. Unter Schelling folgt den
Gesamtausgaben eine Auswahl von Einzelausgaben des 20. Jh. Da diese
Ausgaben chronologisch geordnet sind, wird z.B. die Schrift Über das
Wesen der menschlichen Freiheit mit verschiedenen Herausgebern an zwei
Stellen genannt. Die Sekundärliteratur ist nach dem Alphabet der
Verfasser, Herausgeber oder Sachtitel verzeichnet. Zitiert wird
überwiegend Literatur neueren Datums, zum Teil schon von 1995. Die
Einrichtung des bibliographischen Apparats ist nicht immer konsequent
durchgeführt, gelegentlich fällt er zu üppig aus. Im Unterschied zu
Philosophie, praktische wird unter Philosophie, theoretische ohne
ersichtlichen Grund auf jede Literaturangabe verzichtet. Im Eintrag
Petrarca mit gut 1 Sp. darstellendem Teil füllen die bibliographischen
Angaben mehr als 2 Sp. Unter Platon steht 10 Sp. Darstellung ein
bibliographischer Teil von 9 Sp. gegenüber. Apparate diesen Umfanges
sind unübersichtlich, zumal die Titelaufnahmen zu ausführlich geraten
sind: Zwar werden die Initialen der Vornamen nicht aufgelöst, doch bis
zu drei Erscheinungsorte ausgeschrieben (ohne dann freilich den Verlag
zu nennen); Reihentitel, sämtliche Nachdrucke (auch der Übersetzungen)
werden erschöpfend zitiert. Selbst einschlägige Lexika-Artikel werden
noch aufgeführt. Trotz dieser extensiven Zitierweise zeigen
Stichproben das Fehlen auch bibliographisch relevanter Literatur.
Unter Philosophie ist sicher der seit 1984 erscheinende
Informationsdienst Philosophie, hrsg. vom Sondersammelgebiet
Philosophie der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg zu ergänzen,
unter Schelling ein Hinweis auf die Bibliographie von Breazeale[3]
angebracht. Zu fordern wäre eine strengere Auswahl der Literatur oder
deren kommentierende Präsentation; nützlich wäre ein Gesamtregister,
geordnet nach Personen und Sachen, mit der zusammenfassenden
Auflistung der Verweisungen unter den einzelnen Stichwörtern.
Die aufgeführten Mängel bei der Auswahl der Einträge wie bei der
Balancierung von darstellendem und bibliographischem Teil machen
einige Schwächen in der Konzeption des Werkes sichtbar; nicht alle
Erwartungen, die durch Vorwort und Anlage der Enzyklopädie geweckt
werden, lassen sich so erfüllen. Was zunächst als "kleines Lexikon der
Philosophie" geplant war, aus dem - "aus Planungsmängeln und
wachsendem Ehrgeiz" - ein "enzyklopädisches Wörterbuch" (1980, S. 8)
werden sollte, präsentierte sich mit dem Erscheinen von Bd. 1 dann
doch "eher wieder" als "ein Lexikon mit hoher Stichwörterzahl und
überwiegend kurzen Einträgen" (1980, S. 5). Das ambitionierte
Unternehmen geriet so zunehmend in den Spagat zwischen den Vorzügen
lexikalischer Kurzinformation und enzyklopädischer
Grundlagenreflexion, zusätzlich belastet mit dem Anspruch hoher
bibliographischer Nachweisdichte. Im Vorwort werden die Autoren als
"eine kleine Gruppe mit allen philosophischen und
wissenschaftstheoretischen Wassern gewaschener Gelehrter (neuen Typs)"
(S. 5) charakterisiert. Die Beschränkung auf einen kleinen
Mitarbeiterkreis, der "nur von Fall zu Fall um einige Experten
erweitert" (1980, S. 8) wird, entspricht durchaus dem Kalkül der
Herausgeber: Zugunsten begrifflicher Konsistenz der
Darstellungssprache wird der Kreis der Mitarbeiter beschränkt auf
diejenigen, die sich der "Idee einer konstruktiven Philosophie und
Wissenschaftstheorie" verpflichtet fühlen (1980, S. 8). Als namhafte
Vertreter dieser Richtung sind neben dem Herausgeber zu nennen: C. F.
Gethmann, F. Kambartel, K. Lorenz, K. Mainzer, O. Schwemmer. Dagegen
wird das im angloamerikanischen Bereich geübte alternative Konzept
einer heterogenen Gruppe vieler Spezialisten als im Ergebnis
"dissonante Wiedergabe dissonanter Vielfalt" (1980, S. 8) brüsk
verworfen.
Von den Schwächen in der Konzeption der Enzyklopädie unberührt bleibt
freilich die sachgerechte und zuverlässige Darstellung der Themen im
Einzelfall. So bildet die Enzyklopädie durch die Prävalenz der
Bereiche Logik und Wissenschaftstheorie eine willkommene Ergänzung zum
Historischen Wörterbuch der Philosophie[4] und zur
Europäischen
Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften.[5]
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