Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 2/3
[ Bestand in K10plus ]

Illustrierte Geschichte der westlichen Philosophie


96-2/3-181
Illustrierte Geschichte der westlichen Philosophie / hrsg. von Anthony Kenny. Übers. von Hermann Vetter. - Frankfurt [u.a.] : Campus-Verlag, 1995. - 431 S. : Ill. ; 25 cm. - EST: The Oxford illustrated history of Western philosophy. - ISBN 3-593-35347-4 : DM 98.00
[3097]

Philosophiegeschichte wird hier mit gelehrtem Habitus, aber "in bester angelsächsischer Tradition, d.h. verständlich und lesbar für den Laien" präsentiert. In eigenständigen Kapiteln beschreiben sechs ausgewiesene Vertreter der Oxforder analytischen Schule die Veränderungen und Wandlungen der Philosophie im Ablauf der Zeiten. Dabei wird Philosophie so vermittelt, daß eine Geschichte ihrer westlichen Tradition, orientiert an den Heroen des Denkens, entsteht. Wir haben damit, trotz unterschiedlicher Ansätze und Akzentuierungen der Verfasser, insgesamt eine Betrachtung vor uns, die Kontinuität, Ordnung und Zusammenhänge unter den Fakten konstatiert. Die Geschichte der Philosophie wird weder auf Chronik noch auf reine Datensammlung reduziert. Philosophie und ihre Vergangenheit entstehen in der Abfolge von Argumenten, erwachsen logischer Analyse und dem Streit der Hypothesen.

Das 1. Kapitel befaßt sich mit der antiken Philosophie. Daran sich anschließende Schwerpunkte sind die mittelalterliche Philosophie (2), die Philosophie von Descartes bis Kant (3), die kontinentaleuropäische Philosophie von Fichte bis Sartre (4) und die englische Philosophie von Mill bis Wittgenstein (5). Den Epochenanalysen angefügt ist ein Beitrag zur politischen Philosophie im historischen Kontext (6).

Unschwer ist zu erkennen, daß die Kapitelfolge der Chronologie nicht Genüge tut: Die Zeit von 1350 bis 1650 bleibt unbeschrieben; sofern beispielsweise Nikolaus von Kues oder Erasmus von Rotterdam nicht im Anhangskapitel zur Geschichte der politischen Philosophie Erwähnung finden, kommen sie in der Illustrierten Geschichte nicht vor. Die Philosophie von 1800 bis 1960 wird einer doppelten historiographischen, d.h. einer "regionalen" Betrachtung unterzogen. Die Sonderstellung der politischen Philosophie wird nicht aus innerer Logik erklärlich, sie legt eher Defizite offen: Warum ist nicht die Geschichte der Ethik favorisiert?

Das Besondere und die Lektüre unerhört Stimulierende des Buchs ist sein bemerkenswertes Bemühen zu "illustrieren". Bemerkenswert ist dieses hinsichtlich des Illustrationsvolumens wie auch der Illustrationskriterien. Illustration der abstrakten Materie der Philosophie, das meint hier nämlich, zwei wesentliche, freilich nur theoretisch voneinander zu trennende Ebenen einer Philosophie im Bild zu verfolgen: Zum einen geht es darum, philosophiegeschichtlich relevante Realereignisse zu veranschaulichen. Philosophenporträts, Faksimiles alter Handschriften, Photos von Karten, Orten, Gegenständen, Objekten der bildenden Kunst bilden einen breiten Bestandteil dieses ersten Aspekts. Zum anderen ist intendiert, Verbildlichung als spezifische Leistung der Philosophiegeschichte selbst zu dokumentieren. Die von der Antike bis zur Moderne nachgewiesenen, vielfältigen Formen visualisierter Begriffe, Ideen und Theorien sollen die philosophische Grundfrage erhellen, "ob im Buche des Geistes die vom Verstande stammenden Texte oder die von den Sinnen stammenden Bilder den Vorrang haben" (S. 8). Beispiele für das Zusammenbringen von Anschauen und Nachdenken stellt die Illustrierte Geschichte tatsächlich so eindrucksvoll vor - von den plakativ-direkten Formen des Mittelalters (etwa: Personifizierung von Tugend und Laster) bis zu den surrealistischen Anspielungen unseres Jahrhunderts (etwa: Kunst als Verwirklichung des Unverwirklichbaren) -, daß man die eher magere optische Fundierung des zweiten Aspekts mit Bedauern feststellt. Die philosophiehistorische Einordnung des zur Bebilderung herangezogenen, teils ganzseitig, oft farbig reproduzierten Materials vollzieht sich zweifach. Implizit wird sie durch die Plazierung im Worttext zu erreichen gesucht; explizit durch zusätzliche erläuternde, längere Bildunterschriften.

Gerade für die Vertextung der Bilder hätte freilich die Forderung der Historiographie, dem Partiellen und Spezialistischen zu entrinnen, unbedingt aufgegeben werden müssen. So fehlt den Bildunterschriften nicht nur die Verknüpfung mit dem Textverlauf der jeweiligen Kapitel. Es fehlt ihnen auch die informative Zuschärfung auf den abgebildeten philosophischen Sachverhalt. Und es fehlt ihnen darüber hinaus - darin manifestiert sich das theoretische Philosophieverständnis der Illustrierten Geschichte besonders deutlich - jeder Bezug auf den Zusammenhang zwischen Philosophie und "Lebenswelt" (Kulturgeschichte, soziale Situation der Zeit etc.) So wirkt die "illustrierende" Absicht der Illustrierten Geschichte letztlich beliebig und dem Dekorativen verpflichtet. Die philosophischen Begriffe bleiben leer, weil wir sie nicht im Wirkungszusammenhang historischer Kräfte und Entwicklungen aufsuchen und anschauen können. Die Illustrationen geraten zur gefälligen Zutat; als Form philosophisch-historischer Vergegenwärtigung besitzen sie so gut wie keine Aussagekraft.

Gegenüber der Originalausgabe wurden die separat zusammengestellten, weiterführenden Literaturhinweise überarbeitet, d.h. um neuere deutschsprachige wissenschaftliche und populäre Basisliteratur primären und sekundären Charakters erweitert. Zum Anhang gehören weiterhin eine knappe Zeittafel, die die behandelten Fakten philosophischer Provenienz in Beziehung zu den Daten der Allgemeingeschichte setzt, sowie ein Bildnachweis. Es fehlt nicht ein kombiniertes Autoren- und Sachregister. Letzteres ist, bezogen auf die Zielgruppe des Buchs, im terminologischen Spektrum ausreichend und zeitgemäß.

Über das Schauen, Blättern und Entdecken verführt dieses ansehnliche Buch zum Lesen - und umgekehrt. Und als Lesebuch für Augenmenschen wird die Illustrierte Geschichte der westlichen Philosophie ihrer im Klappentext behaupteten Qualität, "daß der vor fachphilosophischen Abhandlungen zurückschreckende Leser etwas vom Faszinosum der Philosophierens erfährt", voll gerecht.

Gabriele Dreis


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