Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 2/3
[ Bestand in K10plus ]

Bibliographie der Tarnschriften 1933 bis 1945


96-2/3-152
Bibliographie der Tarnschriften 1933 bis 1945 / Heinz Gittig. - München [u.a.] : Saur, 1996. - XXIV, 260 S. ; 25 cm. - 1. Aufl. u.d.T.: Gittig, Heinz: Illegale antifaschistische Tarnschriften 1933 - 1945. - ISBN 3-598-11224-6 : DM 248.00
[3315]

Die Verzeichnung von Literatur, die aus inhaltlichen Gründen gar nicht oder nur unzureichend erfolgte, hat in Deutschland eine durch mancherlei Beispiele belegbare Tradition, die in der Zeit zwischen 1933 und 1945 ihre besonders krasse Ausprägung erfuhr. Zu den vielen Instrumenten, mit denen der Kampf gegen die faschistische Diktatur geführt wurde, gehören die Tarnschriften, die dem Bereich der verkleideten Literatur zuzurechnen. Sie erschienen im Gewande vertrauter Reihen wie Reclams Universal-Bibliothek und der Insel-Bücherei oder von Werbemitteln. Aufmachung und Format machten eine weite und unauffällige Verbreitung von Texten des politischen Widerstandes möglich, doch haben sich nur wenige Exemplare, meist in Archiven und Spezialsammlungen, erhalten. Dieser Literaturgattung widmete sich die Dissertation, die Heinz Gittig im Jahre 1970 an der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigte und die im Jahre 1972 im Druck erschien.[1] Da sie unter dem Impressum VEB Bibliographisches Institut Leipzig in der Bundesrepublik und im westlichen Ausland nicht vertrieben werden durfte, erschien sie in gleicher Ausstattung auch im Röderberg-Verlag Frankfurt am Main,[2] unter dessen Impressum auch Ausgaben des Leipziger Reclam-Verlages vertrieben wurden.

Nach über zwanzig Jahren legt der Autor nun eine Neuausgabe der Bibliographie vor, Beweis dafür, daß ihn das Thema auch über den Abschluß seiner Arbeit hinaus beschäftigt hat und daß sich ihm, vermutlich besonders in den letzten Jahren, neue Quellen eröffneten. So kann er 1024 Tarnschriften aus der Zeit von 1933 bis 1945 mit 2857 Standortnachweisen in 29 Archiven und Bibliotheken Deutschlands und des Auslandes nachweisen, fast eine Verdoppelung gegenüber der ersten Auflage, in der nur 590 Schriften verzeichnet waren. Als besonders ergiebig erweisen sich dabei Archiv und Bibliothek der Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv Berlin, das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Wien), The Wiener Library (London) und die Deutsche Bücherei Leipzig. Dazu kommen verschiedene Einrichtungen in Dänemark, Norwegen, Österreich, Frankreich, der Schweiz, allerdings keine in den osteuropäischen Ländern. Hier wurde das Thema illegaler Publikationen, folgt man dem Literaturverzeichnis, nur in Polen bearbeitet.

Die Bibliographie ist chronologisch nach Erscheinungsjahren geordnet, an der Spitze jedes Jahres stehen auf Grund ihrer Zahl die Publikationen der KPD und ihrer Organisationen, gefolgt von denen der Sozialdemokraten und anderer antifaschistischer Gruppen. Aufgenommen wurden auch Titel, die von den Alliierten unter den Angehörigen der deutschen Wehrmacht verbreitet wurden. Jedem Titel sind die Standortnachweise beigegeben. Das Werk wird durch ein (Kreuz-)Register der Tarntitel, ein Verfasser-, ein Namen- und Sachregister und ein Register der getarnten Periodika erschlossen. Die Lösung, im Verfasserregister die Einträge entsprechend der Vorlage unter dem eigentlichen Namen bzw. dem Pseudonym vorzunehmen, erscheint zwar plausibel, doch wird auf diese Art der Verzeichnung weder durch Verweisungen noch durch Benutzungshinweise explizit aufmerksam gemacht; so bleibt es für den Benutzer beim mehrfachen Nachschlagen. Der in das Thema einführende Text ist knapp gehalten, ein Ulbricht-Zitat ist wohl ein Nachhall aus der Entstehungszeit der ersten Fassung. Angesichts der vielen Nachweise in den Sammlungen der ehemaligen DDR erhebt sich die Frage nach der Vollständigkeit und Zuverlässigkeit der ersten Ausgabe der Bibliographie - bei Namen wie Herbert Wehner, Gustav Regler, Ernst Fischer, Paul Merker u.a. liegt der Verdacht nahe, daß hier seinerzeit politisch motivierte Auswahlkriterien ebenso eine Rolle spielten wie bei den zahlreichen "empfehlenden Bibliographien" zu aktuellen Anlässen.

Angesichts der Seltenheit, der schwierigen Zugänglichkeit und wohl auch des Erhaltungszustandes des Materials wäre es zu begrüßen, wenn die geplante Mikrofiche-Ausgabe der Tarnschriften im K. G. Saur Verlag Realität würde.

Karl Klaus Walther


[1]
Illegale antifaschistische Tarnschriften 1933 bis 1945 / Heinz Gittig. - Leipzig : Bibliographisches Institut, 1972. - 262 S. - (Zentralblatt für Bibliothekswesen : Beih. ; 87). (zurück)
[2] Illegale antifaschistische Tarnschriften 1933 bis 1945 / Heinz Gittig. - Frankfurt (a.M.) : Roederberg-Verlag, 1972. - 262 S. (zurück)

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