Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
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Alte Geschichte in Studium und Unterricht


96-1-102
Alte Geschichte in Studium und Unterricht : eine Einführung mit kommentiertem Literaturverzeichnis / Dankward Vollmer. Mit Markus Merl ... - Stuttgart : Steiner, 1994. - 205 S. ; 23 cm. - ISBN 3-515-06468-0 : DM 28.00
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In einer Zeit, in der die verstärkte Produktion wissenschaftlicher Literatur und die Verbesserung von Recherchemöglichkeiten für Benutzer letztlich zur Unübersichtlichkeit des Angebotes und manchmal fast schon zu einer gewissen Orientierungslosigkeit der Interessenten geführt haben, wird die einführende Hilfestellung eines umfassenden Literaturberichtes, der Nachweis und Wertung miteinander verbindet, sicherlich von vielen dankbar angenommen. Für das Fach Alte Geschichte liegt jetzt ein solches Buch vor. Schüler des emeritierten Göttinger Althistorikers Jochen Bleicken - federführend war sein langjähriger Assistent Dankward Vollmer - haben eine "Einführung mit kommentiertem Literaturverzeichnis" verfaßt, die sich einerseits an Studenten des Faches, insbesondere Lehramtskandidaten, andererseits aber auch an Lehrer wendet. Die Gliederung berücksichtigt daher den fachwissenschaftlichen Erwartungshorizont ebenso wie den didaktischen: Im Kapitel Grundlagen - Erster Zugriff werden Hinweise für Einsteiger gegeben, Einführungen (erzählende und problematisierende Darstellungen), Hilfsmittel (Handbücher, Lexika, Atlanten, Bibliographien, Quellensammlungen) und Publikationsformen (Zeitschriften und Reihen) vorgestellt. Es folgt ein Überblick über die Quellen und ihre Editionen mit einem kurzen Abriß archäologischer Grundlagenliteratur. Verschiedene Aspekte werden schließlich im Kapitel Vertiefende Fragestellungen verfolgt, darunter auch die Wissenschaftsgeschichte und die Theorie der Geschichte. Es folgen Empfehlungen zur Fachdidaktik und zuletzt das Althistorische Bücherbrett, eine Liste zur Anschaffung empfohlener Bücher für den Lehrer. Die ausgewählte Literatur - Monographien und Aufsätze - ist ganz überwiegend deutschsprachig, nur manchmal englischsprachig, deutsche Übersetzungen werden in der Regel angegeben, Rezensionen der vorgeschlagenen Literatur sind ebenfalls aufgenommen. Der Verzeichnischarakter überwiegt, die 'Einführung' bleibt auf wenige Passagen beschränkt (zu den längsten gehört der Abschnitt über die Chronologie mit 3,5 Seiten). Das Register im wesentlichen ein Autorenregister.[1]

Es liegt bei einem solchen Werk auf der Hand, daß nur eine kleine Auswahl aus dem zur Verfügung stehenden Literaturangebot aufgenommen werden kann. Nicht genannte Titel zu monieren wäre daher eine billige Kritik, auch wenn die Subjektivität der Auswahl bisweilen dazu reizt. Zur Sprache gebracht werden müssen allerdings einige weitere - und gravierendere - Mängel: Das Buch ist nicht lesbar, denn die bibliographischen Angaben sind häufig nicht durch Text verbunden. Nachteilig wirkt sich außerdem aus, daß es keine strikte Trennung nach formalen oder inhaltlichen Kriterien gibt: Während wichtige Zeitschriften im ersten Teil als Gruppe vorgestellt werden (S. 46 - 52), folgen an späteren Stellen nicht weniger bedeutende Periodika im sachlichen Zusammenhang (z.B. S. 89; 100). Weshalb die Bände des Oldenbourg Grundriß Geschichte bei der (überwiegend) politischen Geschichte (!) und nicht bei den Reihen angeführt werden, ist ebensowenig einzusehen. Das zugegebenermaßen wichtige Buch von Ronald Syme über die römische Revolution wird dafür gleich an zwei Stellen kurz besprochen (S. 91 und 137). Neben der gelegentlich schwer erkennbaren Struktur sind es die oft nicht näher begründeten Wertungen, die manchen Benutzer erstaunen oder stören dürften. Daß Peter Browns Buch über die letzten Heiden von Richard Klein "zu Recht" kritisch rezensiert wurde, ist mehr, als der Leser an dieser Stelle wissen möchte - zumal auch diese Äußerung wiederum diskussionswürdig ist.[2] Eine sehr subjektive Sicht der Dinge ist es auch, wenn konstatiert wird, die Altertumswissenschaft habe sich "leider" immer mehr vom Römischen Recht entfernt (S. 120). Schließlich hat erst die Lösung von der Fixierung auf juristisch fixierte Regeln den Blick freigemacht für die Wirkungsmächtigkeit sozialer Normen.[3] Die Beschäftigung mit Frauen in der Antike wird zum bloßen "Modethema" abgestempelt (S. 25 und 123), die Reihe Aufstieg und Niedergang der römischen Welt aus formalen Gründen abqualifiziert.[4] Unsachlich und unsachgemäß ist nicht zuletzt die Kritik an den Publikationen Martin Bernals, insbesondere an seinem Hinweis auf die Rolle des Antisemitismus in der althistorischen Wissenschaftsgeschichte (S. 141, A. 97). Hier hätte sich der Verfasser schon deshalb differenzierter äußern müssen, weil ihm selbst offenbar an einer angemessenen Berücksichtigung der Geschichte des Vorderen Orientes gelegen ist (vgl. nur S. 10), doch würde diese Diskussion jetzt zu weit ins Detail führen.

Gelegentlich lassen die Formulierungen den Gedankengang nicht klar erkennen: Weshalb dem Historiker bei der Bewertung von materiellen Überresten durch Archäologen "an einer eher ästhetisierenden als historisierenden Betrachtungsweise" gelegen sein muß (S. 92), ist ohne Begründung nicht nachzuvollziehen. Nebulös ist schließlich auch die Charakterisierung des weit über das Fach hinaus bekannten Althistorikers Christian Meier: Er sei eine "im Laufe der Jahre selbständig gewordene und sich aber auch allmählich verselbständigende Größe" (S. 132). Defizite weist das Buch ferner im Bereich der neuen Medien auf. Hinweise auf Ressourcen, Publikationsorgane oder Diskussionsgruppen im Internet oder anderswo fehlen. Lediglich die CD-Rom-Version der Archäologischen Bibliographie des Deutschen Archäologischen Instituts, Dyabola, wird erwähnt (S. 46), während z.B. die Gnomon-Datenbank unterschlagen wird. Auch Fehler sind den Autoren unterlaufen: Bei der Präsentation des Leidener Klammersystems sind zur Kennzeichnung von Tilgungen des Herausgebers statt geschweifter Klammern ({}) dieselben eckigen Klammern gesetzt, die für die Lückenergänzung verwendet werden ([]).

Der Gesamteindruck ist wegen derartiger Mängel nicht befriedigend. Die Literaturauswahl liest sich wie ein Katalog eines gut sortierten Lesesaals, führt aber trotzdem nicht in jedem Fall an den jeweiligen Forschungsstand heran.[5] Damit wird vielleicht Lehrern, die ihren Studienschwerpunkt nicht in der Alten Geschichte hatten, ein Leitfaden in die Hand gegeben, um sich schnell in ein neues Gebiet einzulesen, doch im Studium dürften bereits Proseminarthemen zu speziell sein, als daß aus dem vorliegenden Buch ausreichende Empfehlungen bezogen werden könnten. Die Schwerpunkte in der Auswahl deuten darüber hinaus auf ein eher traditionell-positivistisches Wissenschaftsbild der Verfasser, u.a. wohl auch geprägt von den Verhältnissen in Göttingen: So ist z.B. die Anbindung an die Klassische Philologie sehr viel stärker ausgeprägt als an die gleichfalls benachbarte Mediävistik.[6] Für die eingangs skizzierte Problemlage schafft das vorliegende Buch deshalb nur unzureichend Abhilfe.

Joachim Migl


[1]
Über den Wert der zusätzlichen Eintragungen kann man sicher streiten: Vom Stichwort katholisch wird man auf einen Satz in der Einleitung verwiesen, in dem nicht mehr steht, als daß der Papst seinen allumfassenden Anspruch in der Realität nicht durchsetzen konnte. Von Handbuch der Altertumswissenschaft führt der Hinweis zu S. 35, von der Abkürzung HdA zu S. 76 usw. (zurück)
[2]
"Wissenschaft heißt Streit" hatte V. selbst noch formuliert, S. 25. (zurück)
[3]
Vgl. dazu nur: Personal patronage under the early Empire / Richard P. Saller. - Cambridge [u.a.] : Cambridge University Press, 1982. - X, 222 S. (zurück)
[4]
"Ein Teil Spätantike (III) ist angedroht". (zurück)
[5]
Fragen der Sozialordnung, der Wirtschaft und Gesellschaft kommen m.E. zu kurz, die Verwaltung taucht als Thema überhaupt gar nicht erst auf. (zurück)
[6]
Vollmer und seine Mitarbeiter sind allesamt auch Klassische Philologen! Vgl. auch den Ratschlag S. 67, das Auswendiglernen lateinischer Sprüche schule das Gedächtnis und helfe beim Übersetzen. (zurück)

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