Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
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Wörterbuch der Antike


96-1-100
Wörterbuch der Antike : mit Berücksichtigung ihres Fortwirkens / begr. von Hans Lamer. Fortgef. von Paul Kroh. - 10., verb. und erg. Aufl. - Stuttgart : Kröner, 1995. - XII, 832 S. ; 18 cm. - (Kröners Taschenausgabe ; 96). - ISBN 3-520-09610-2 : DM 43.00
[2747]
96-1-101
Kleines Lexikon der Antike : umfassend die griechisch-römische Welt von ihren Anfängen bis zum Beginn des Mittelalters (6. Jahrhundert n. Chr.) / Otto Hiltbrunner. Unter Mitarb. von Marion Lausberg. - 6., völlig neubearb. und erw. Aufl. - Tübingen ; Basel : Francke, 1995. - XVI, 654 S. ; 19 cm. - (Sammlung Dalp). - ISBN 3-7720-1036-9 : DM 48.00
[2889]

Zwei Klassiker unter den Nachschlagewerken zur Antike sind 1995 praktisch zeitgleich in neuen Auflagen erschienen. Das Wörterbuch der Antike[1] - 1. Aufl. 1933 - hatte es sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur die griechisch-römische Antike (ausschließlich der Altphilologie), sondern auch vorderasiatische und germanische Kulturen bis zum Beginn des Mittelalters in einer ganz besonderen Weise zu erschließen: Es sollte mit einer "durchlaufenden Betrachtungsweise" die Bedeutung der Antike, ihrer "Einrichtungen, Sitten und Anschauungen" für die Gegenwart transparent gemacht werden. Der Zugriff auf die Vergangenheit sollte von der Gegenwart aus erfolgen, um Zusammenhänge über Epochengrenzen hinweg demonstrieren bzw. antike Sachverhalte lebendig und aktuell schildern zu können.[2] Dieser Anspruch besteht bis heute. Insgesamt ca. 3000 Stichwörter sollen zudem nicht nur Hilfe beim Nachschlagen sein, sondern auch zum Lesen einladen.

Das 1946 erstmals vorgelegte und damit um einige Jahre jüngere Kleine Lexikon der Antike hat sich von Anfang an vom Wörterbuch dadurch unterschieden und unterscheiden wollen, daß es die Leitfrage danach formulierte, was in der Antike selbst wichtig gewesen sei. Der Gegenwartsbezug, der im Wörterbuch so hoch bewertet wird, spielt hier keine, oder nur eine sehr untergeordnete Rolle. Dafür aber ist sehr viel stärker die christliche Antike berücksichtigt, während die Kulturkreise außerhalb Griechenlands und Roms ausgeblendet bleiben.

Beide Lexika stellen kurze Literaturlisten voran, das Kleine Lexikon enthält am Ende eine knappe Zeittafel über die gesamte Antike, während sich das Wörterbuch auf eine chronologische Tabelle zur Frühzeit beschränkt. Beide bieten darüber hinaus einen kurzen Überblick über Maße und Gewichte und geben oft, durchaus aber nicht immer, Literaturhinweise am Ende der Artikel. Eine eindeutige Überlegenheit des einen oder anderen Werkes ist in diesem Punkt nicht generell auszumachen; vielmehr liegt, ebenso wie in den einleitenden Literaturlisten in beiden Fällen eine bunte Mischung aus überwiegend älterer und wenig neuer Literatur vor, die als Informationsquelle deshalb kaum zu empfehlen ist.[3]

Ein Vergleich der Abfolge der Lemmata in beiden Lexika zeigt, wie stark sich die unterschiedlichen Zielvorstellungen der Autoren auf das Gesamtbild ausgewirkt haben. Wer zahlreiche Überschneidungen oder gar eine weitgehende Identität der Stichworte erwartet hat, wird erstaunt feststellen, wie unterschiedlich die Auswahl der Einträge geraten ist. Dabei verhält es sich durchweg so, daß das Wörterbuch getreu seiner Bemühung um Gegenwartsbezug zahlreiche Begriffe der modernen Umgangssprache aufgenommen hat, die man im Kleinen Lexikon vergeblich sucht. Man findet Informationen z.B. unter folgenden Stichworten: Straßenleben im Altertum, Duzen, Radioaktivität oder Professorenwitze. Ferner kann man im Wörterbuch auch unter geläufigen lateinischen Redensarten nachschlagen (in dubio pro reo, quidquid id est, timeo Danaos, et dona ferentes usw.), um Übersetzung, Bedeutung und Herkunft zu erfahren.[4]

An den unterschiedlichen Konzeptionen liegt es auch, daß sich derselbe Sachverhalt bisweilen an verschiedenen Stellen findet. Was im Wörterbuch unter Reiteroberst beschrieben wird, taucht im Kleinen Lexikon kurz beim Lemma magister (magister equitum) auf, von den Berichten über das Martyrium früher Christen erfährt man im Wörterbuch unter dem Stichwort Märtyrerakten, im Kleinen Lexikon unter acta (martyrum). Das berühmte Mosaik mit der Darstellung der Flucht des Dareios vor Alexander hat im Wörterbuch einen eigenen Eintrag unter Alexandermosaik, während es im Kleinen Lexikon bei Alexander, Bildliche Darstellungen zusammen mit anderen Bildnissen vorgestellt wird.

Diese Beispiele dürften genügen, um die Unterschiede der Lexika offen zu legen. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß sich beide gegenseitig sehr gut ergänzen können, wobei das Kleine Lexikon einem stärker wissenschaftlich ausgerichtetem Interesse (von Studenten, Lehrern usw.) empfohlen werden kann, während das Wörterbuch weniger fachliches Wissen voraussetzt und auch noch sehr unkonventionelle Anfragen beantworten kann.[5]

Joachim Migl


[1]
Vgl. die Rezensionen der 9. Aufl. 1989 im Vergleich zu weiteren Lexika der Antike in ABUN in ZfBB 36 (1989),6, S. 519 - 522 und in Buch und Bibliothek. - 43 (1991),4, S, 387 - 390. (zurück)
[2]
Schon im Vorwort zur 1. Aufl. grenzen sich die Autoren gegen reines "Buchwissen" ab. (zurück)
[3]
Vor allem bei antiken Personen sind leichte Vorteile beim Kleinen Lexikon zu konstatieren, das konsequenter Textausgaben, antike Biographien und Bildnisse anführt, und auch sonst oftmals aktueller ist. (zurück)
[4]
Die angestrebte Aktualität ist dabei allerdings zumindest im Fall der Übersetzung des secundum naturam vivere zu weit getrieben: Zurück zur Natur heißt es nicht und meint es auch nicht. - Griechische Aussprüche findet man unter der geläufigen deutschen Übersetzung: Ich weiß, daß ich nichts weiß. (zurück)
[5]
Für Ende März 1996 ist angekündigt: Reclams Lexikon der Antike / hrsg. von M. C. Howatson. - Stuttgart : Reclam, 1996 (März). - ca. 750 S. : Ill. ; 24 cm. - ISBN 3-15-010417-3 : DM 118.00, DM 98.00 (Einführungspreis bis 01.06.1996). Es handelt sich dabei um eine Übersetzung von The Oxford companion to classical literature (1989). - Eine Rezension in IFB ist vorgesehen. (zurück)

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