Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
[ Bestand in K10plus ]

Gesellschaft und Staat


96-1-080
Gesellschaft und Staat : Lexikon der Politik / hrsg. von Hanno Drechsler ... Red.: Franz Neumann. - 9., neubearb. und erw. Aufl. - München : Vahlen, 1995. - XVIII, 926 S. ; 23 cm. - ISBN 3-8006-1977-6 : DM 48.00
[3188]

Das vor 25 Jahren erstmals erschienene Lexikon[1] ist konzeptionell unverändert, aber im Vergleich zur 8. Aufl. (1992) wiederum deutlich erweitert (ein Teil der neuen Schlagwörter wird zu Beginn aufgeführt) und in den Erläuterungen, Tabellen und Literaturhinweisen aktualisiert: es soll auch weiterhin der Politischen Bildung dienen (wendet sich demnach an eine breitere Öffentlichkeit) und soll, wie bereits im Vorwort deutlich akzentuiert, gesellschaftskritisch und -verändernd ausgerichtet sein.

Man hält an dem Dualismus der "beiden bedeutendsten gesellschaftlichen Ordnungen, des Kapitalismus und des (realen) Sozialismus" (VII) für die Auswahl der Schlagworte und die kritische Gegenüberstellung in den Einträgen fest, wodurch es teilweise zu einem historischen Nachschlagewerk wird (z.B. bei DDR-Spezifika). Viele aktuelle Einträge sind dagegen für das Verständnis neuerer gesellschaftlicher Entwicklungen nicht nur nützlich, sondern auch hervorragend prägnant und wissenschaftlich fundiert, wie z.B. Politische Apathie, Neue Medien (mit fünfeinhalb Spalten!), New Age. Rein historische Begriffe, die keinen direkten Gegenwartsbezug haben (so z.B. Wehrmacht, Vichy-Regierung, Kommissarbefehl im Gegensatz zu Religionen, Staatsformen, Parteien u.ä.), wird der Benutzer hier nicht in erster Linie suchen, doch sind solche z.T. sogar neu aufgenommen. Politikwissenschaftliche Fachtermini z.B. Fraktale Gesellschaft, Governance oder Policy findet man leider nicht: der politologisch Interessierte wird sehr schnell zum Wörterbuch zur Politik von Manfred G. Schmidt[2] greifen müssen.

Die Herausgeber verstehen ihr Werk als politisches Buch, das Partei ergreift, was folglich vom Benutzer die Fähigkeit zu einer ideologiekritischen Lesart erfordert. Sozialpolitische Begriffe sind deutlich freundlich gegenüber gewerkschaftlichen Zielen (z.B. Arbeitszeit), was zu argen Verzerrungen führen kann, z.B. wird Öffentlicher Dienst wie in einer ÖTV-Broschüre erklärt. In einem Lexikon ärgerlich, finden sich euphemistische Schreibweisen die DDR betreffend, z.B. im Artikel Wiedervereinigung (das Lexikon ist übrigens pointiert vereinigungskritisch). Eine Anzahl von Artikeln ist schlichtweg mißraten: Im Artikel zu AIDS liest man von normalem Geschlechtsverkehr und von notwendiger besonderer Vorsicht bei häufigem Partnerwechsel (12) - ebenso ärgerlich die Ausführungen zu Sexualität und Sexismus. Zu oberflächlich und im Stile alter "linker" Kritik z.B. Konsumgesellschaft.

Die alphabetische Ordnung läßt Umlaute unberücksichtigt (was auch beim Brockhaus immer wieder stört); Querverweisungen sind durchweg zuverlässig. Uneingeschränkt gut sind die Literaturhinweise zu nennen: aktuell und kompetent in der Auswahl. - Ein Lexikon sollte auch in der Post-Gutenberg-Ära sorgfältig korrigiert sein: hier finden sich Zwiebelfische, zu große und zu kleine Wortzwischenräume, falsche Buchstaben, falsche Jahreszahlen (1991 statt 1941! S. 461) und orthographische Fehler (Groß- und Kleinschreibung) en masse.

Fazit: Für viele Begriffe des politischen Alltags ein nützliches, wenn auch deutlich wertendes Nachschlagewerk für eine breite, eher nichtwissenschaftliche Benutzerschicht, dazu mit Literaturhinweisen, die auch dem Studenten noch fundiert weiterhelfen.

Klaus Ulrich Werner


[1]
1. Aufl. Baden-Baden : Signal, 1970. - XXI, 416 S. (zurück)
[2]
Wörterbuch zur Politik / Manfred G. Schmidt. - Stuttgart : Kröner, 1995. - VIII, 1106 S. ; 18 cm. - (Kröners Taschenausgabe ; 404). - ISBN 3-520-40401-X : DM 58.00. - Vgl. IFB 95-3-449. (zurück)

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