Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
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Bürgerlichkeit im Umbruch


96-1-040
Bürgerlichkeit im Umbruch : Studien zum deutschsprachigen Drama 1750 - 1800. Mit einer Bibliographie der Dramen der Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek zwischen 1750 und 1800 / [Elena Vogg]. Hrsg. von Helmut Koopmann [Gesamtwerk]. - Tübingen : Niemeyer, 1993. - IX, 342 S. ; 24 cm. - (Studia Augustana ; 3). - ISBN 3-484-16503-0 : DM 128.00
[2503]

Der Band umfaßt drei hochinteressante Studien zu dem komplizierten Verhältnis von Aufklärung, bürgerlichen Wertvorstellungen und der bürgerlichen Wirklichkeit in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts. Die Studien konzentrieren sich auf die Darstellung der Familie im zeitgenössischen Gebrauchsdrama, in deren stereotypen Konfliktmustern die Differenz zwischen Realität und Normensystem leichter zu greifen ist als in der sogenannten Höhenkammliteratur.

In der Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek (heute in der UB Augsburg) hat sich für das 18. Jahrhundert ein unschätzbarer Fundus der Literatur aller Fakultäten und Künste erhalten. Allein für die Zeit von 1750 bis 1800 enthält sie rund 1500 deutschsprachige Dramen. Eingeschlossen sind darin zahlreiche Übersetzungen aus dem Französischen, Italienischen und Englischen, aus denen sich das Theaterrepertoire wesentlich speiste.

Den zweiten Teil des Buches nimmt eine von Elena Vogg erstellte "Bibliographie der Dramen der Oettingen-Wallersteinschen Bibliothek zwischen 1750 und 1800" ein. Man hätte sich diesen über 200 Seiten starken Abschnitt lieber als eigenes Buch denn als versteckte Bibliographie gewünscht. Aufgenommen sind die deutschsprachigen Dramen einschließlich einiger bereits vor 1750 erschienenen Quellen (z.B. der Schaubühne Gottscheds), und zwar Einzeltexte, Sammlungen und Werkausgaben, soweit sie Dramen i.e.S. enthalten, nicht jedoch Libretti zu Opern, Singspiele, Kinder- und Jugendstücke. Mischformen, wie "Schauspiele mit Gesang", sind dagegen verzeichnet. Gerade die Singspiele bzw. Operetten sind allerdings auch vorzügliche Quellen zu der eingangs erwähnten Familienthematik, so daß man diese Einschränkung bedauert.

Einem kurzen Verzeichnis von Werkausgaben, Reihen und Sammlungen folgen als Hauptteile ein alphabetisches Verzeichnis nach Autoren mit ihren Titeln und ein auf die drei Formen Lustspiele/Komödien/Possen, Trauerspiele/Tragödien und Schauspiele aufgeteiltes Alphabet der Titel. In den beiden Hauptteilen finden sich also dieselben Titel in jeweils anderer Zuordnung. Der Begriff des Autors ist erfreulich weit gefaßt: So findet sich Gotters Übersetzung von Rousseaus Pygmalion, die Benda vertont hat, unter allen drei Namen. Man kann dieses Verfahren der Mehrfacheintragung nicht genug loben. Im Titelalphabet werden grammatische Artikel sinnvollerweise für die Sortierung übergangen.

Beide Hauptteile bieten vollständige Titelaufnahmen mit ggf. kenntlich gemachten bibliographischen Ergänzungen - nicht nach RAK, sondern in einer auf den Bedarf des Literaturhistorikers zugeschnittenen Form, in der die Angaben der Titelblätter (einschließlich der Motti) nach Autopsie möglichst genau aufgeführt werden.

Aufgrund der beschriebenen Systematik und der damit verbundenen Doppelverzeichnung der Titel ist der Verzicht auf Register unproblematisch. Mit einer Ausnahme: Die Verknüpfung zwischen den Werkausgaben des kurzen ersten Teils und den beiden folgenden ist unvollständig, da aus dem ersten Teil deutsche Autoren und Übersetzer bzw. die Titel zwar in den zweiten und dritten übernommen sind, nicht jedoch eventuelle Originalautoren. S. 131 findet sich Böttgers Zaubergürtel (Original von Rousseau) in einer Sammlung des deutschen Autors verzeichnet. Im Autorenalphabet begegnet der Titel aber nur unter Böttger, nicht unter Rousseau.

Die Bibliographie verdient nach Gehalt und Anlage höchste Anerkennung. Eine aufwendige typographische Gestaltung (Kursivierung der Dramentitel) trägt zur Übersichtlichkeit erheblich bei. Vereinzelt finden sich Titel, für die in der großen Bibliographia dramatica ... von Reinhart Meyer (vgl. IFB 96-1-039) bisher kein Standort nachgewiesen werden konnte.

Hans-Albrecht Koch


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