Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 4(1996) 1
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Schriftsteller aus der DDR


96-1-028
Schriftsteller aus der DDR : Ausbürgerungen und Übersiedlungen von 1961 bis 1989 / Andrea Jäger. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang. - 22 cm. - (Schriften zur Europa- und Deutschlandforschung ; ...)
[3156]
Autorenlexikon. - 1995. - XII, 625 S. - (... ; 1). - ISBN 3-631-48646-4 : DM 148.00
Studie. - 1995. - 202 S. ; 21 cm. - (... ; 2). - ISBN 3-631-48643-X : DM 65.00

Das Werk besteht aus zwei Teilen, einer literaturgeschichtlichen Studie über die Schriftsteller, die nach dem Mauerbau 1961 bis zur politischen Wende 1989 die DDR verlassen haben, und einem bio-bibliographischen Autorenlexikon. Es breitet die Ergebnisse eines von 1989 bis 1993 am Germanistischen Institut der Universität Bochum aus Mitteln der Volkswagen-Stiftung finanzierten Forschungsvorhabens aus.

Die Autorin behandelt drei Gruppen von "Ausbürgerungen und Übersiedlungen" in chronologischer Folge (1. ... bis 1976; 2. Die Ausbürgerung von Wolf Biermann und die erste große Ausreisewelle danach; 3. ... in den achtziger Jahren). Die Analysen der Beispielfälle sind nicht nur im Detail äußerst ergiebig, sondern führen auch zu abgesicherten generellen Einsichten. So waren z. B. unter den Schriftstellern, die bis 1976 die DDR verlassen haben, mit einer Ausnahme keine SED-Mitglieder; da sie sich mit Ideologie und System nicht identifiziert hatten, werteten sie durch ihre Ausreise nicht "das in der DDR geführte Leben als Lebenslüge" (Studie S. 63). Brillant deckt das Kapitel über das öffentliche Echo auf die übergesiedelten Autoren die Gemengelage widersprüchlicher politischer Kriterien auf, über denen die Kritik von Hermann Kesten bis Marcel Reich-Ranicki die ästhetischen aus dem Blick verlor.

Die knapp 100 alphabetisch geordneten Lexikon-Artikel beginnen mit den Biographien der Autoren, an deren Schluß jeweils die empfangenen Preise aufgeführt sind. Dann folgen Verzeichnisse der Werke (ggf. untergliedert in Buchveröffentlichungen, Hörspiele, Texte in Zeitschriften, Texte in Anthologien - bei Zeitschriften und Anthologien wird eine Auswahl geboten - usw.) und ein Verzeichnis der Sekundärliteratur (ggf. wieder unterteilt in Allgemeine Darstellungen, Monographien, Rezensionen zu einzelnen Werken). Die Titelaufnahmen dieser subjektiven und objektiven Personalbibliographien lassen keine Wünsche offen. Für einige Autoren wird aufgrund entsprechender Materiallage nur ein Kurzartikel geboten.

Die Kriterien der Auswahl sind gut begründet. So sind entsprechend dem Thema die Autoren ausgeschlossen, deren Bücher zwar hauptsächlich oder gar ausschließlich im Westen erschienen sind, die aber die DDR nicht verlassen haben; ebenso fehlen die offiziell zum Grenzgängertum berechtigten Autoren; hingegen sind Autoren aufgenommen, die, solange sie in der DDR lebten, weder dort noch im Westen publizieren konnten. Erwähnung verdient die sorgfältige Differenzierung in Fragen wie diesen: Welche Form der Übersiedlung ist als politische Vertreibung aufzufassen? Sollte eine Ausreise aus propagandistischen Gründen als individuelle Entscheidung erscheinen? War die Erteilung eines Visums zur einmaligen Aus- und Einreise ein Privileg oder eine Form der Ausbürgerung? Studie und Lexikon basieren auf akribischen Recherchen nach dem - auch über die Tagespublizistik - weit verstreuten gedruckten Quellenmaterial. Mehr wird man von einer Arbeit zum Thema erst zu dem Zeitpunkt verlangen können, wenn die Akten der Gauck-Behörde, die natürlich ein veritables Literaturarchiv bergen, der Forschung offenstehen. Schließlich: weil es so ungewöhnlich ist, muß man schon eigens betonen, wenn eine germanistische Arbeit ihren hohen Standard auch noch darin zu erkennen gibt, daß sie ohne jeden Jargon und in vorzüglicher sprachlicher Gestalt daherkommt.

Studie und Lexikon sind für die künftige Beschäftigung mit deutscher Nachkriegsliteratur und DDR-Literatur im besonderen von fundamentaler Bedeutung; das Lexikon gehört zu den besten bio-bibliographischen Auskunftsmitteln, die das Fach hervorgebracht hat.

Hans-Albrecht Koch


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