Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 4
[ Bestand in K10plus ]

Lexikon arabische Welt


95-4-640
Lexikon arabische Welt : Kultur, Lebensweise, Wirtschaft, Politik und Natur im Nahen Osten und Nordafrika / hrsg. von Günter Barthel und Kristina Stock. - Wiesbaden : Reichert, 1994. - XV, 776 S. : Ill. ; 25 cm & Kt.-Beil. - Lizenzausg. ersch. bei: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt.[1] - ISBN 3-88226-783-6 : DM 198.00
[2833]

Das Lexikon arabische Welt ist ein Gemeinschaftswerk von rund 60 Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachrichtungen, vornehmlich aus Halle und Leipzig. Im Unterschied zu bereits früher besprochenen Nachschlagewerken, die den islamischen Kulturkreis als Ganzes behandeln (IFB 95-1-044 - 050), stellt es den arabischen Raum in den Mittelpunkt des Interesses. Geographisch schließt es damit die gesamte heutige arabische Welt ein, von Marokko, der Westsahara und Mauretanien im Westen, bis zur Arabischen Halbinsel und dem Irak im Osten sowie von Syrien im Norden, bis zur Republik Sudan und Somalia im Süden. Dazu gerechnet wird noch al-Andalus, d.h. das islamische Spanien als historisches islamisch-arabisches Herrschaftsgebiet; dem ebenfalls von Nordafrika aus eroberten islamischen Sizilien wird dagegen kein eigener Artikel gewidmet. Die Artikel des Lexikons beschränken sich aber nicht nur auf die genannten Gebiete, sondern bieten darüber hinaus auch Informationen über angrenzende Gebiete, soweit sie historisch in Wechselwirkung mit den arabischen Kernländern des fruchtbaren Halbmonds getreten sind. Vor allem auf den Iran und Mittelasien wird in vielfacher Weise Bezug genommen, so in Artikeln über arabisch schreibende persische Gelehrte und in anderen über lokale persische Dynastien, die ihre Herrschaft zeitweise auch auf arabisches Gebiet ausdehnen konnten oder mit den arabisch beherrschten Regionen in Beziehung standen, sowie in solchen über Orte, die eine Rolle für die arabische Geschichte gespielt haben. So findet man z.B. das Lemma Merw, eine mittelasiatische Ruinenstadt (in der heutigen Republik Turkmenistan gelegen), die im 8. Jh. Ausgangspunkt der Abbasidenbewegung war und 813 - 817 dem abbasidischen Kalifen al-Ma mun als Residenz diente. Ebenso findet man einen Artikel über die persische Dynastie der Safawiden, deren Herrscher seit Beginn des 16. Jh. die Schi'a im bis dahin sunnitischen Iran zur Staatsreligion erhoben, und die ihre Herrschaft zeitweise (1508 - 1534 und 1623 - 1638) bis in den Irak ausdehnen konnten.

Der historische Rahmen des Lexikons ist weiter gesteckt, als es in den früher behandelten Nachschlagewerken der Fall ist. Beginnen diese erst mit dem Aufkommen des Islams und berücksichtigen allenfalls das spätantike arabische Altertum, so gibt das vorliegenden Werk - zumindest punktuell in Artikeln über bekannte (Ruinen-) Städte - auch Auskunft über Geschichte und Kultur des orientalischen Altertums. So findet man Lemmata wie Ur, Babylon (beide im heutigen Irak) und Ugarit (Syrien) oder über Memphis, Luxor (beide in Ägypten) und Meroe (Sudan), um nur einige Beispiele zu nennen. Was die Gegenwart angeht, war man bei der Herausgabe des Lexikons sehr auf Aktualität bedacht, so daß Ereignisse bis 1992 Berücksichtigung fanden.

Sehr breit angelegt ist auch die inhaltliche Konzeption des Lexikons. Es werden nicht nur Informationen zu Themen der arabischen-islamischen Geschichte und Kultur oder zur Religion des Islams dargeboten und auch nicht nur solche über Staat, Gesellschaft und Wirtschaft der modernen arabischen Welt, sondern man findet auch Artikel über geographische, ethnologische und volkskundliche Sachverhalte sowie über die Zoologie der Region. Die orientalistische Wissenschaftsgeschichte - einschließlich zahlreicher biographischer Artikel über namhafte Fachvertreter (noch lebende ausgenommen) - wird ebenso behandelt, wie die europäischen Forschungs- und Entdeckungsreisen in den arabischen Orient bis in unser Jahrhundert.

Das Gesamtwerk gliedert sich in zwei Hauptteile, den eigentlichen Lexikonteil und einen Länderteil mit einem Umfang von mehr als 100 Seiten. Neben den Artikeln zu spezielleren Fragestellungen finden sich, in den Lexikonteil eingestreut, insgesamt 17 Übersichtsartikel zu umfassenderen Themen, wie Staat, Landwirtschaft, Religion u.ä. Auf sie wird am Ende der Benutzerhinweise (S. XV) in einer systematischen Übersicht eigens aufmerksam gemacht. Sie lassen sich fünf Themenkreisen zuordnen: POLITIK: Staat; WIRTSCHAFT: Handel, Industrie, Landwirtschaft, Verkehr; KULTUR: Bildung, Forschungs- und Entdeckungsreisen, Kunst, Orientalistik, Religion, Sprache und Schrift, Wissenschaft; LEBENSWEISE: Ernährung, Familie, Kleidung, Wohnformen; NATUR: Tierwelt. Diese Übersichtsartikel unterscheiden sich von den übrigen vor allem dadurch, daß sie am Ende Literaturhinweise und ausführliche Verweisungen auf weiterführende Artikel aus dem angesprochenen Themengebiet enthalten. So finden sich im Übersichtsartikel Religion neben zahlreichen Verweisungen im Text selbst (z.B. auf Christentum, Islam, Judentum) Hinweise auf die Lemmata Feiertage, Kult, Magie, Tod sowie ausführliche Literaturhinweise gegliedert nach den Themen Islam, Christentum, Judentum, Vorislamisches Arabien; sie machen etwa ein Drittel des gesamten Artikels aus. Dagegen fehlen Literaturangaben bei allen anderen Artikeln.

Dieses System der Erschließung des Lexikons durch thematisch weitgefaßte Artikel ist, besonders für den nicht ständig mit der Region befaßten Laien, durchaus als Einstieg in einzelne Themenbereiche nützlich; es ist allerdings aus der Sicht des Rezensenten zu weit gefaßt: so wären die Themen Christentum, Islam, Judentum sicherlich bedeutend genug, um jeweils in einem eigenen Übersichtsartikel behandelt zu werden. Man hätte dann die Religion als eigenen Themenbereich in der Systematik führen müssen. Allerdings hätte es dann wohl Schwierigkeiten gegeben, auf andere Religionen, bzw. religiöse Gemeinschaften hinzuweisen, wie den Zoroastrismus, die Mandäer, den Manichäismus oder die Glaubensvorstellungen der vorislamischen Araber. Die Kriterien für die Bestimmung der Übersichtsartikel sind nicht völlig durchschaubar, so daß ihre Auswahl bisweilen etwas zufällig erscheint. Nähere Hinweise auf die Konzeption der Themenbereiche und der ihr zugehörigen Übersichtsartikel im Vorwort hätten hier sicherlich Aufschluß geben können; sie fehlen aber.

Arabische Namen und Begriffe sind in einer populären, jedoch nur teilweise der deutschen Aussprache angepaßten Umschrift wiedergegeben, die meist der Form entspricht, die man in der Presse oder auch in den gängigen Allgemein-Lexika findet. Dies erleichtert vielleicht die Benutzung des Lexikons für den orientalistischen Laien, erschwert sie aber mitunter für den Fachmann, der in der Regel ein Lemma unter der wissenschaftlichen Umschrift sucht. Es führt aber auch zu Inkonsequenzen in der Umschrift, indem ein und derselbe arabische Laut auf unterschiedliche Weise wiedergegeben wird (vgl. dazu auch S. XIV: Umschriftvarianten). So findet man Namen maghrebinischer Herkunft, die mit dem arabischen Buchstaben gim (gesprochen: dschŒm, dt. wiss. Umschrift: g) teilweise in französischer j, teilweise in englischer dj Umschrift: so z.B. den bekannten marokkanischen Schiftsteller Tahir ibn Gallun unter Jelloun, den algerischen Schriftsteller Rasid Abu Gadra dagegen unter Boudjedra - wie die meisten Lemmata, in denen dieser Buchstabe vorkommt. Es sei allerdings positiv vermerkt, daß zum Ausgleich zu jedem aus dem Arabischen transliterierten Lemma die korrekte deutsche wissenschaftliche Transliteration angegeben wird und daß man nicht mit Verweisungen von den möglichen, bei der Ansetzung der Lemmata unberücksichtigt gebliebenen Schreibweisen gespart hat. Das Auffinden eines Stichworts ist dadurch in jedem Fall gewährleistet.

Die Länderartikel - behandelt werden außer den 20 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga (also einschließlich Djibutis am Horn von Afrika) auch die Westsahara und Palästina, d.h. das Westjordanland und der Gazastreifen (s.n. Ghazzastreifen) - sind alle nach dem gleichen Schema aufgebaut und bieten ausführliche Informationen zu den Themen Bevölkerung, Natur, Staat (bzw. Verwaltung bei den Artikeln über Palästina und die Westsahara), Wirtschaft, Bildung, Massenmedien und Verlagswesen, Geschichte. Die einzelnen Artikel sind durch Schwarz-Weiß-Abbildungen, statistische Tabellen und tabellarische Übersichten angereichert. Literaturangaben vermißt man jedoch.

Im Anhang findet sich noch eine Zeittafel, in der tabellarisch die wichtigsten historischen Ereignisse der Geschichte des arabischen Raumes während rund 11.000 Jahren (von 9000 v.Chr. bis 1995) erwähnt werden, unterteilt in vier geographische Einheiten: Maghreb, Ägypten/Sudan, Arabische Halbinsel, Maschrik (umfaßt den historischen Großraum Syrien-Palästina sowie den Irak). Ferner liegen dem Lexikon noch zwei Karten aus dem umfangreichen Werk Tübinger Atlas des Vorderen Orients bei, und zwar die Karte A VIII 13: Vorderer Orient - Ethnische Gruppen - Die emische Perspektive (ursprünglich 1990 erschienen), die nur den nahöstlichen Raum - ohne den Maghreb - behandelt sowie die Karte A III 5: Zentral- und Südarabien - Geomorphologie (ursprünglich 1980 erschienen). Es wird allerdings nirgends gesagt, warum gerade diese beiden Karten aus dem großen Kartenwerk ausgewählt wurden.

Unternimmt man den Versuch einer zusammenfassenden Bewertung des Lexikons, so muß man zuallererst positiv den reichhaltigen und thematisch weitgefächerten Inhalt erwähnen, der dem an der gegenwärtigen Situation, wie an der Geschichte der Region Interessierten einen schnellen, sachlich fundierten Überblick gewährt. Besonders das System der Überblicksartikel bietet einen guten Einstieg in größere Themenbereiche. Die Informationen sind dabei knapp gehalten, nach Ansicht des Rezensenten vor allem auf den interessierten Laien, nicht auf den Orientalisten hin konzipiert. Die Literaturangaben im Anhang zu den Überblicksartikeln sind ausreichend genug, um eine intensivere Beschäftigung mit einem Thema anzuregen und zu ermöglichen. Die Benutzbarkeit des Lexikons - die trotz der oben erwähnten Umschriftprobleme gut ist - wird noch erhöht durch eine Vielzahl von Querverweisungen zu anderen Lemmata. Der Rezensent hätte sich allerdings eine etwas ausführlichere Einleitung gewünscht, in der auf die Besonderheiten des Lexikons eingegangen wird, so auf die Entstehungsgeschichte (es sind ja im wesentlichen nur Wissenschaftler zweier ostdeutscher Universitäten beteiligt), auf die inhaltliche Konzeption, auf die Auswahl der Karten und ähnliche Fragen.

Walter Werkmeister


[1]
DM 158.00 (für Mitglieder). - Best.-Nr. B 12691-2. (zurück)

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