Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 4
[ Bestand in K10plus ]

Kinder- und Jugendbücher der Aufklärung


95-4-513
Kinder- und Jugendbücher der Aufklärung : aus der Sammlung Kaiser Franz' I. von Österreich in der Fideikommissbibliothek an der Österreichischen Nationalbibliothek / Johanna Monschein. - Salzburg [u.a.] : Residenz-Verlag, 1994. - 302 S. : zahlr. Ill. ; 29 cm. - ISBN 3-7017-0778-2 : öS 1800.00
[2691]

Bei der Vorbereitung einer Ausstellung historischer Kinderbücher stieß die Bearbeiterin in der Österreichischen Nationalbibliothek in den Beständen der Fideikommißbibliothek auf eine Kinder- und Jugendbuchsammlung aus dem Besitz Kaiser Franz I. von Österreich (1768 - 1835). Im einem 1979 erschienenen Ausstellungskatalog[1] wurden aus dieser Sammlung bereits 85 Titel vorgestellt. Nun hat es die Verfasserin unternommen, das Umfeld, das Zustandekommen der Sammlung sowie die einzelnen Titel zu beschreiben. Es ist wirklich ein Glücksfall, daß eine für persönliche Zwecke zusammengetragene zeitgenössische Kinderbibliothek erhalten blieb. Gibt es doch keine Übersicht, keinen Hinweis, was wirklich auf den Regalen eines Kinderzimmers stand.

Kaiser Franz I. (1792 - 1806 als Franz II. römisch-deutscher Kaiser) hatte 1785 den Entschluß gefaßt, "sich eine Bibliothek zusammenzusetzen". In der bis zu seinem Tode entstandenen Bibliothek befinden sich 187 Kinderbücher, die in seinem Bibliothekskatalog in einer speziellen Abteilung Pädagogik zusammengefaßt sind. Es bleibt unklar, für wen Kaiser Franz I. die Kinderbücher gesammelt hat, er selbst war dem Alter, für das sie verfaßt worden waren, längst entwachsen. Kurz vor seinem Tode hatte er bestimmt, daß seine Privatbibliothek und die damit verbundenen Sammlungen zu einem Primogenitur-Fideikommiß für seine männlichen Nachkommen erhoben werde. Die Kinderbücher scheinen aber bei der Erziehung der Prinzen keine Verwendung gefunden zu haben. Bis auf wenige Ausnahmen tragen die Bücher keine Benutzungsspuren. Waren sie nun für die Nachfahren nicht mehr zeitgemäß?

Die Sammlung repräsentiert die Kinderliteratur der Aufklärung. Wenige Titel sind vor 1750 erschienen, der überwiegende Teil stammt aus den 80er und 90er Jahren des 18. Jahrhunderts. Aus den letzten fünfundzwanzig Lebensjahren Kaiser Franz sind nur neun Titel vertreten. Die Sammlung enthält die Kinderliteratur der Aufklärung in ihren besten und aufwendigsten Werken. Man erkennt, daß hier mit großer Sachkenntnis ausgewählt worden ist und finanzielle Mittel keine Rolle spielten. So sind nicht nur die wichtigsten Autoren von Campe, Funke bis Salzmann, Schröckh, Schlözer und Wünsch mit ihren bedeutendsten Werken vertreten, sondern auch viele teure Fortsetzungswerke von Bertuch bis Weiße vollständig vorhanden. Bei der Auswahl wurde wohl besonders auf Anschauungsbücher, Bildergalerien, Elementarbücher, Unterweisungen zur Geschichte und Geographie, zu Naturwissenschaften sowie moralische Belehrungen Wert gelegt. Es gibt zwar eine englische und eine französische Robinsonausgabe aber wenige Abenteuergeschichten und Reisebeschreibungen. Fabeln, Lieder, Märchen und Sagen fehlen ganz. Weder La Fontaine, Perrault noch Musäus sind vorhanden.

Die Verzeichnung der 187 Titel, wovon 59 in französischer und zwei in englischer Sprache verfaßt sind, erfolgt exakt mit genauer Wiedergabe des Titels und des Umfangs. Eine Inhaltsangabe sowie eine Kurzbiographie des Autors folgen den bibliographischen Nachweisen. Sechs Register erschließen den Katalog. Im historischen Teil sind als Beispiel vier Titeln umfangreichen Einzeldarstellungen gewidmet, darunter Der Kinderfreund von Christian Felix Weiße, der als eines der wenigen Werke deutliche Gebrauchsspuren aufweist.

Zur Beurteilung der Sammlung erklärt die Verfasserin: "Ob einer zeitgenössischen Kinder- und Jugendbuchbibliothek repräsentativer Charakter zukommt, sollte sich auch daran erweisen, inwieweit sie das Bild der einschlägigen Literatur ihrer Epoche widerzuspiegeln vermag ...". Im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von Theodor Brüggemann sieht sie "ein Instrumentarium, ... eine Sammlung der zeitgenössischen Kinder- und Jugendliteratur einer solchen Probe zu unterziehen". Sie selbst unternimmt diese Probe nicht, beurteilt nicht, wie repräsentativ diese Sammlung ist. Sie kommt zu dem Schluß, daß die Sammlung nicht für Kinder angelegt wurde. "So ist die Sammlung entstanden im Gedenken an eine Vergangenheit, die im Prozeß des Sammelns in die Gegenwart zurückgerufen wurde. Die Bibliothek als Bruchstück einer Biographie im Spiegel des Buches." Der Verfasserin ist es gelungen, diese Kinder- und Jugendbuchsammlung, ein minimales Teilgebiet der gesamten Sammlung des Kaisers, vor dem geistigen Hintergrund, dem sie ihre Entstehung verdankt, zu erfassen und den Zusammenhang zwischen ihr und ihrem Urheber, dem ersten großen Bibliophilen auf dem Thron, herzustellen. Dieses schöne Beispiel einer zeitgenössischen Kinderbuchsammlung der Aufklärung ist mit über 160 Abbildungen, die Hälfte davon farbig, dokumentiert.

Zürich


[1]
Europäische Kinderbücher vom 15. bis zum 19. Jahrhundert : Ausstellung im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek, 17. Mai bis 14. September 1979 / [Verf. des Katalogs: Johanna Monschein.] - Wien : Österreichische Nationalbibliothek, 1979. - 199 S. : Ill. ; 26 cm. - (Biblos-Schriften ; 106). (zurück)

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