Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 4
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Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur


95-4-504
Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur / Theodor Brüggemann in Zusammenarbeit mit Otto Brunken. - Stuttgart : Metzler. - 27 cm
[1510]
Vom Beginn des Buchdrucks bis 1570. - 1987. - XLII, 1576 Sp. - ISBN 3-476-00607-7 : DM 358.00
Von 1570 bis 1750. - 1991. - LVIII, 2486 Sp. - ISBN 3-476-00611-5 : DM 398.00
Von 1750 bis 1800. - 1982. - XXVI, 1724 Sp. - ISBN 3-476-00484-4 : DM 368.00

An der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendliteraturforschung an der Universität zu Köln entsteht als Forschungsprojekt das Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Das Vorhaben dient der "deskriptiven bibliographischen und historisch-philologischen Materialaufbereitung der Kinder- und Jugendliteratur des deutschen Sprachraums". Da zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Erarbeitung einer neuen historischen Gesamtdarstellung der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur fehlen, soll "durch das Zusammentragen, Klassifizieren und Erschließen der alten Kinder- und Jugendliteratur überhaupt erst eine hinreichend abgesicherte Basis für weitergehende Forschung und damit ein Zugang zu einem bisher vernachlässigten Gegenstand geschaffen werden.[1] Gegenwärtig liegen drei Bände für die Zeit von den Anfängen des Buchdrucks bis 1800 vor. Ein vierter Band für die Zeit bis 1850 ist im Entstehen. Jeder Band behandelt einen abgeschlossenen Zeitraum und ist nach gleichem Grundschema erarbeitet.

Die umfangreichen Einleitungen behandeln grundlegende Probleme. Es wird zur Frage der historischen Anfänge der Kinder- und Jugendliteratur Stellung genommen und die "historische Begrifflichkeit von Kindheit und Jugend" untersucht. Als Ergebnis wird festgestellt, daß Kindheit und Jugend als eine Vorbereitungszeit, als eine Lebensperiode in Opposition zum Erwachsensein, die jedoch altersmäßig nicht scharf umrissen ist, gesehen werden muß. Vor dem pädagogischen Hintergrund des jeweiligen Zeitraumes werden Hauptströmungen und Tendenzen an Hand der einzelnen literarischen Bereiche und Gattungen skizziert. Als Gegenstand des Handbuches wird die "intentionale Kinder- und Jugendliteratur" genannt. Darunter werden jene Werke verstanden, "die in irgendeiner Weise vom Verfasser, Herausgeber, Kompilator, Bearbeiter, Übersetzer, Verleger oder Drucker ausschließlich oder unter anderem an Kinder und/oder Jugendliche adressiert sind und diesen zur Eigenlektüre oder Betrachtung dienen oder durch Dritte vermittelt werden sollen".

Dabei erfolgt keine Beschränkung auf die belletristische oder Unterhaltungsliteratur, es werden alle Formen der Literatur herangezogen, selbst die für den schulischen Gebrauch verfaßten Werke. Die Einbeziehung der für den schulischen Gebrauch herausgegebenen Werke in die Kinder- und Jugendliteratur ist heute ungewöhnlich, wird aber von den Herausgebern für diesen frühen Zeitraum für notwendig erachtet, weil diese Bücher sowohl im schulischen als auch im häuslichen Unterricht verwandt wurden, zur häuslichen Unterhaltung dienten und auch für "Nebenstunden" empfohlen wurden. Die Grenze zwischen Schulbuch und Kinderbuch war fließend.

Die Anzahl der für die Auswahlbibliographie als intentionale Kinder- und Jugendliteratur ermittelten Werke ist erstaunlich hoch. Für den ersten Band bis 1570, dem Zeitraum des Humanismus und der Reformation, wurden allein 466 Titel dokumentiert, für den zweiten Band 1570 - 1750, Zeitraum des Späthumanismus, des Barock und der Spätaufklärung 1035 Titel, und für den dritten Band 1750 - 1800, Zeitraum der Aufklärung, 1036 Titel. Dabei wurde die Schulbuchproduktion nicht in ihrem ganzen Umfang erfaßt, was für den Zweck des Handbuchs auch sinnvoll ist. Es wurden Werke verzeichnet, bei denen man bisher nicht beachtete, daß sie sich an oder auch an Kinder und Jugendliche wandten. Das früheste Werk ist Boners Edelstein, eine Inkunabel von 1461, Der selen troist folgte um 1474 und Catos Distichen um 1482. Durch die Auflistung auch späterer Auflagen und Ausgaben, der als intentionale Kinder- und Jugendliteratur bezeichneten Werke, sind allein 180 Inkunabeln nachgewiesen. Die Vorgabe für den Begriff "Kinder- und Jugendliteratur" und die Adressatenzuweisung ist allerdings sehr großzügig gefaßt. Viele der aufgeführten Werke z.B. waren nur zur Unterweisung der Kinder bestimmt. So die vielen Katechismen (das Titelregister verweist allein auf über hundert). Die sogenannte Hausväterliteratur zur Unterweisung der Familie und des Gesindes bezog die Kinder lediglich mit ein. In der Einleitung wird zwar erkennbar, daß das Problem der "unechten" Adressierungen gesehen wurde, dennoch finden sich viele Titel, die "für jung und alt", das heißt doch für alle, bestimmt waren.

Das Handbuch selbst ist in zwei Teile gegliedert, den Historischen Teil und den Bibliographischen und Registerteil mit dem Anhang. Der Historische Teil enthält sorgfältig erarbeitete Einzelartikel zu ausgewählten Kinder- und Jugendbüchern des jeweiligen Zeitraumes. Dabei haben die Bearbeiter solche Werke ausgewählt, die typenbildende Funktionen tragen bzw. in charakteristischer Weise eine Gattung repräsentieren, wichtige zeitgenössische Anschauungen, pädagogische Konzepte, philosophische, theologische Strömungen zum Ausdruck bringen oder eine nachhaltige Wirkung ausgeübt haben. Schwerpunkte der z.T. sehr umfangreichen Darstellungen sind der Adressatenbezug des Werkes, Zweck und Absicht des Herausgebers, Intention des Verfassers, Erziehungsvorstellungen, inhaltliche und formale Struktur, Einordnung in den historischen geistesgeschichtlichen und literarischen Kontext sowie in die Wirkungsgeschichte des Werkes.

Die Werke wurden chronologisch innerhalb ihrer Hauptgattung vorgestellt. Dazu wurde, ausgehend von den zeitgenössischen Erziehungstheorien und den vorgefundenen Texten ein Gattungsmodell erarbeitet, das in der Einleitung ausführlich beschrieben wird. Die erste Gruppe betrifft die Religiöse Literatur. Sie enthält u.a. Werke zur Bibel, Historien- und Kinderbibeln, Katechismen, die Erbauungsliteratur mit Postillen und geistlichen Liedern sowie religiöse Schauspiele. Die zweite Gruppe nennt Werke zur Sprachbildung, Rhetorikerziehung und Realienkunde. Die dritte Gruppe heißt Offizien-, Virtus- und Civilitasliteratur und umfaßt u.a. Zucht- und Sittenbücher, Spruchsammlungen, Klugheits- und Tugendlehren, Tischzuchten, Fürstenspiegel, Schülerregeln, Exempelgeschichten und -biographien. Die vierte beinhaltet die unterhaltend-didaktische Literatur mit Erzählungen, Schwankbüchern, Fabeln und Tierepen, Gedichten und Liedern, Schauspielen, Bilder- und Anschauungsbüchern, Bilderbogen, Spiel- und Beschäftigungsbüchern. Da Ende der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts "die Kinder- und Jugendliteratur durch die philanthropische Reform eine neue Gattungsausprägung erfährt" verwendet der dritte Band für diese Phase des Umbruchs auch ein anderes Gattungsschema, das der modernen Gestalt dieser Literatur gerecht wird.

Der Bibliographische Teil jeden Bandes enthält eine Auswahlbibliographie von Kinder- und Jugendbüchern des betreffenden Zeitraumes. Bei der Zusammenstellung wurde versucht, jede einzelne Gattung entsprechend ihrer historischen Bedeutung und Ausprägung zu berücksichtigen. Die Sprache des Textes spielte bei der Auswahl keine Rolle, so daß viele Titel in lateinischer Sprache verzeichnet sind. Der Titelaufnahme mit genauer Kollation und Charakterisierung des Buchschmucks sowie des Standortnachweises schließen sich bibliographische Nachweise und ein Kommentar mit Angabe zur Gattung, zum Adressaten und zur Wirkungsgeschichte an.

Als Anhang zu den Bibliographien bis 1750 folgen Beispiele von Einblattdrucken und Bilderbogen für Kinder und Jugendliche. Sie werden ausführlich beschrieben und auch alle abgebildet.

Die einzelnen Bände des Handbuches weisen in der Anlage einige Unterschiede auf, die in seiner Entstehungsgeschichte begründet sind. Zuerst war der Band für den Zeitraum von 1750 - 1800 erarbeitet worden, weil dieser Zeit eine herausragende Bedeutung für die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur zukommt. Hier erlangt die Kinder- und Jugendliteratur das Gepräge, das sie ihren wesentlichen Grundzügen nach noch bis in die Gegenwart hinein trägt. Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts konstituiert sich die Kinder- und Jugendliteratur in ihrer modernen Gestalt. Bei der Konzeption dieses Bandes war eine Weiterführung noch nicht abzusehen. Seine Grundsätze sind auf diese Zeit ausgerichtet. So erfolgt z.B. die Titelaufnahme "in größter Vollständigkeit", geordnet wird bei anonymen Titeln nach der gegebenen Wortfolge. Die Materie der früheren Jahre, mit Inkunabeln und barocken Titeln erforderte andere Methoden. So wurde die Wiedergabe der Titel "in diplomatisch genauer Beschreibung", orientiert an den Methoden der Inkunabelbeschreibung, vorgenommen. Die anonymen Titel und die Titelregister sind hier nach den Regeln der Preußischen Instruktionen geordnet. Erfahrungen bei der Fertigstellung des zuerst bearbeiteten Bandes und Hinweise nach seinem Erscheinen konnten nutzbar gemacht werden. Die Zahl der ausführlicher besprochenen Werke wurde stark reduziert, um Platz für eine eingehendere Analyse wichtiger Einzelwerke zu gewinnen. Der Umfang der einzelnen Analysen wurde im Durchschnitt verdreifacht, im gleichen Umfange wurden die Kommentare in der Bibliographie erweitert. Die Standortnachweise wurden nun mit Signaturen versehen und auch bei späteren Ausgaben vermerkt. Titel- und Sachregister kamen hinzu.

Das Handbuch hat mehrere Register, die aber verschiedentlich nur Teile des Handbuchs erfassen. Am Ende der Bibliographie der Kinder- und Jugendbücher gibt es ein Titelregister, ein chronologisches Register, Gattungsregister, Drucker- und Verlegerregister, Illustratorenregister und Standortregister. Für die Bibliographie gibt es aber kein eigenes Verfasser- oder Herausgeberregister. Am Schluß jeden Bandes befindet sich zwar noch ein Namensregister, erst aber schiebt sich jeweils ein umfangreiches Literaturverzeichnis dazwischen (51, 92 oder gar 141 Seiten stark).

Diese enthalten die Sekundärliteratur, Werke der alten Kinder- und Jugendliteratur in Ausgaben und Editionen nach 1750 sowie zeitgenössische und sonstige Quellenschriften. Eine wahre Fundgrube auch für entlegenste Schriften, stellen sie - besonders im zweiten Band mit fast 4000 Titeln - Spezialbibliographien dar. An dieser Stelle aber trennen sie das Namensregister und Sachregister ab.

Die Namensregister der Bände bis 1750, die jeweils auch das Literaturverzeichnis erschließen, sollen die "Namen bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert" verzeichnen. Wie Stichproben ergaben, erfolgt meist kein Hinweis auf die Stelle im Literaturverzeichnis, wenn dort der Autor unter seinem Namen eingeordnet ist. Leider wird darauf nicht hingewiesen. Beim Namensregister des Bandes 1570/1750 glaubte man wohl, sparen zu können. Die Namen, die in den "Kopfeinträgen" der Bibliographie stehen, wurden nicht ins Register aufgenommen. Das ist für den Benutzer nicht nur unbequem, einige Namen sind dadurch überhaupt nicht mehr zu finden. Denn Pseudonyme wurden aufgelöst und die Autoren unter ihren wirklichen Namen geordnet. Doch nirgends wird von den Pseudonymen verwiesen, auch nicht bei den Autoren, die unter einem Pseudonym publiziert haben.

Die Sachregister am Ende der Bände für den Zeitraum bis 1750 erfassen jeweils den gesamten Band. Dadurch werden vorteilhafterweise zugleich die umfangreichen Literaturverzeichnisse der Sekundärliteratur inhaltlich erschlossen. Auf sie beziehen sich auch die meisten Hinweise. Für die in der Bibliographie der Kinder- und Jugendbücher vertretenen Gattungen gibt es ein gesondertes Gattungsregister, das der Bibliographie nachgeordnet ist. Es zeigte sich jedoch bei einigen Stichproben, daß z.B. bei den "Exempelbiographien" im Sachregister unter dem gleichen Gattungsbegriff auf viel mehr Titel hingewiesen wird als im Gattungsregister, ja daß diese alle im Gattungsregister fehlen. Die Anlage des imposanten Handbuchs ist allerdings für den Benutzer, trotz der umfangreichen Benutzungshinweise, nicht sehr bequem. Doch erhält er dafür eine vielschichtige Materialaufbereitung der gesamten an Kinder und Jugendliche gerichteten Druckerzeugnisse vor 1800 in großer Ausführlichkeit und in einer Fülle von Informationen. Für die historische Kinderliteraturforschung dieses Zeitraumes ist das Handbuch das Standardwerk. Jede weitere Erforschung wird von ihm ausgehen müssen.

Bibliographien : 1840 - 1950


[1]
Vgl. Zur bibliographischen Erschließung der historischen deutschen Kinder- und Jugendliteratur an der Arbeitsstelle für Kinder- und Jugendliteraturforschung in Köln : ein Bericht aus der Praxis / von Maria Michels-Kohlhage. - IFB 94-2-336. (zurück)

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