Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 3

Denkmäler-Inventare


95-3-403
Denkmäler-Inventare : eine Typologie anhand ausgewählter Neuerscheinungen
von
Angela Karasch

Die jüngst erschienene, weiter unten besprochene umfangreiche Monographie von Denis A. Chevalley über den Augsburger Dom, zugleich Band 1 einer neuen Folge der Kunstdenkmäler von Bayern, gab den Anstoß, den Formen der Denkmalverzeichnung in Deutschland im Zusammenhang nachzugehen und einen Blick auf die unterschiedlichen Publikationstypen auf diesem Gebiet zu werfen und deren Nutzen als Informationsmittel in Bibliotheken zu betrachten.

1. Das "klassische Großinventar"

Einen ersten Meilenstein in der Geschichte der Denkmälerverzeichnung in Deutschland setzte noch das ausgehende 19. Jahrhundert mit der Ausbildung des sog. "klassischen Inventars". Der Erfassung und Beschreibung der Baudenkmäler ist eine topographische Ordnung zugrundegelegt, d.h., daß die Ortsbindung des einzelnen Baudenkmals im Vordergrund steht. Der Ortseintrag selbst folgt einem einheitlichen Aufbau, beginnend mit der Darstellung der hervorragenden Monumentalbauten des Denkmalortes (i.a. der Sakralbauten einschließlich ihrer Ausstattung), gefolgt von prominenten Profanbauten, über weitere Wohn- und Wirtschaftsbauten bis hin zu verschiedenen Kleindenkmälern.[1] Geschichte und Beschreibung der Baudenkmäler stehen in klarer Abfolge. Aber auch beim Großinventar ist dabei im allgemeinen keine erschöpfende Darstellung beabsichtigt, wohl aber die Publizierung aller Quellen und relevanten Daten und somit aller für weitere Darstellungen grundlegenden Informationen. Risse und Abbildungen bzw. Abbildungshinweise treten hinzu. Das klassische Inventar sieht dabei eine flächendeckende Erfassung der Baudenkmäler vor.

Seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts setzte in den einzelnen Provinzen und Staaten des Deutschen Reiches die Publikation der ersten Inventarbände ein. So erschienen als "1. Baudenkmalinventar mit wissenschaftlichem Anspruch" für Hessen die Bände Kassel (1870) und Wiesbaden (1880).[2] Das grundlegende Inventarwerk für die preußische Rheinprovinz gab Paul Clemen von 1891 bis 1938 in 38 Bänden heraus. In Bayern setzte die Verzeichnung 1895 mit Oberbayern als Band 1 der Kunstdenkmäler des Königreichs Bayern ein und wurde 1905 mit Band 2 als Kunstdenkmäler von Bayern fortgesetzt; nach 1950 in modifizierter Form (als Kurzinventar) weitergeführt, stagnierte die Verzeichnung schließlich in der 2. Hälfte der 70er Jahre, ohne daß ein flächendeckendes und noch gültiges Großinventar für Bayern nach 100 Jahren zu seinem endgültigen Abschluß gefunden hätte. Jedoch kann an dieser Stelle nicht der Stand dieser noch im ausgehenden 19. Jahrhundert initiierten Inventarisationsprojekte und ihrer publizierten Ergebnisse im Detail referiert werden. Die hier und im weiteren Text zitierten Beispiele reichen aus, um die Problematik des Typs Großinventar zu verdeutlichen. Erst vor diesem Hintergrund ist die weitere Entwicklung der Denkmalinventarisation mit ihrer heutigen Palette an Publikationstypen zu verstehen.

2. Der Dehio

2.1 Die 1. Auflage 1905 - 1912

Großinventare mit ihren notgedrungen langfristigen Bearbeitungszeiten konnten schon immer nur bedingt allen Belangen der (praktischen) Denkmalpflege genügen. Bereits 1899 hatte daher Georg Dehio die Schaffung eines Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler angeregt und für den Tag der Denkmalpflege 1900 in Dresden eine Denkschrift vorbereitet: "Es gibt Aufgaben der Denkmälerstatistik, die durch die offiziellen Inventare nicht gelöst sind, und nicht gelöst werden können. Wir bedürfen eines Mittels zu schneller Orientierung. Ich beantrage daher die Herstellung eines Handbuches, welches seinem Begriff gemäß wenig voluminös, leicht transportabel, in seiner inneren Einrichtung so übersichtlich wie möglich, ebenso bequem auf dem Schreibtisch wie auf der Reise zu benutzen sein muß."[3] Zugleich sollte es "ein urteilender und klärender Führer durch die Denkmälermasse" sein.[4] Nach dem von ihm erarbeiteten Konzept veröffentlichte Dehio schließlich 1905 - 1912 in 5 Bänden das Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler.[5] Das Werk erfaßte die bis etwa zum Jahr 1800 entstandenen Denkmäler auf dem Territorium des deutschen Reiches einschließlich Elsaß-Lothringen.[6] Als Quelle wurden - soweit bereits erschienen - die offiziellen Inventarbände zugrunde gelegt, für die anderen Gebiete die ortsmonographische Literatur herangezogen oder die Denkmäler nach Autopsie beschrieben. Damit war eine unvermeidliche Heterogenität in der Erfassungsdichte gegeben. Vollständigkeit war im Gegensatz zu den Inventaren auch von vornherein nicht angestrebt, sondern vielmehr eine "Sichtung und Auswahl".[7] Die Anlage des Gesamtwerkes gliederte sich innerhalb der Regionenbände strikt nach dem Ortsalphabet, die Beschreibungsabfolge entsprach der für die Großinventare skizzierten, wenn auch mit äußerster Straffung der Ausführungen, ohne jedoch gänzlich auf eine knappe abschließende Gesamtcharakterisierung der wichtigeren Denkmäler zu verzichten. Abbildungen, Risse etc. spielten für die Urfassung noch keine Rolle.

2.2 Der Dehio-Gall 1935 - 1956

Der Erfolg des Dehio machte mehrere Nachauflagen und schließlich eine vollständige Neubearbeitung notwendig, die nach Dehios Tod 1932 durch Ernst Gall vorgenommen wurde. Ab 1935 erschienen die ersten Bände der Neubearbeitung, des sog. Dehio-Gall. Dabei wurde das Konzept des Grundwerks durch Gall erheblich verändert: Statt des strikten Ortsalphabets innerhalb der Regionenbände wurde jetzt eine weitergehende topographische Anordnung gewählt, und zwar eine Beschreibungszentrierung um "Hauptorte". Der Nachschlagecharakter eines Handbuchs konnte damit nur noch über Ortsregister und später über Situationspläne gerettet werden. Von diesem Anordnungsprinzip wich allerdings die Abt. 2, Österreich ab; hier blieb das alphabetische Prinzip Dehios erhalten; in der Einarbeitung von Plänen war diese Abteilung sogar vorbildlich.[8] Der Dehio-Gall erschien in 11, sich inhaltlich teilweise überschneidenden Bänden[9] von 1935 bis 1956 (mit späteren unveränderten Nachdrucken) und brachte eine erhebliche Erweiterung in der Verzeichnung von Kunstdenkmälern gegenüber dem Dehio, nicht zuletzt auch ermöglicht durch die verbesserte Quellenlage aufgrund der fortschreitenden Großinventarisierung, ohne jedoch die Neubearbeitung insgesamt völlig zum Abschluß gebracht zu haben.

2.3 Die Neubearbeitung des Dehio durch die Dehio-Vereinigung (Wissenschaftliche Vereinigung zur Fortführung des Kunsttopographischen Werkes von Georg Dehio, e.V.) seit 1965

Kriegszerstörungen, die Teilung Deutschlands , ein gewandelter Denkmalbegriff und die damit verbundene Notwendigkeit, auch nach 1800 entstandene Denkmäler einzubeziehen, führten nach dem Tod von Ernst Gall 1958 zu einer Revision der Konzeption. Die Richtlinien, erarbeitet von der Vereinigung zur Herausgabe des Dehio-Handbuches, sahen ein Abgehen vom Kunstlandschaften-Konzept Galls und die Rückkehr zum Ortsalphabet Dehios vor, allerdings in modifiziertem Regionenrahmen, der jetzt für die Teile der Bundesrepublik Deutschland den Grenzen der Bundesländer folgen sollte. Die ersten Bände erschienen ab 1965. Für den Bereich der Deutschen Demokratischen Republik wurde seit 1965 - in bisher 6 nach Bezirken geordneten Bänden der Denkmälerbestand neu bearbeitet und publiziert; zuletzt erschien 1987 der Band zu den Bauten der Bezirke Cottbus und Frankfurt/Oder.[10]

Wenn im folgenden auf die neuesten Bände des Dehio-Handbuchs näher eingegangen wird, so kann summarisch vorausgeschickt werden, daß es sich dabei meist um stark erweiterte, z.T. auch neubearbeitete Auflagen bereits erschienener Bände handelt. Noch weniger als der Dehio-Gall stellt das Dehio-Handbuch ein einheitliches, abgeschlossenes (mehrbändiges) Nachschlagewerk dar, da bereits vor Abschluß des Gesamtwerkes jeweils die zuerst erschienenen Bände wiederum teils im Nachdruck, teils in so stark veränderten oder erweiterten Nachauflagen erschienen sind, die gänzlichen Neubearbeitungen gleichkommen. Eine geschlossene Charakterisierung und Wertung des gesamten Dehio-Handbuchs, so wie es sich insbesondere für den die alte Bundesrepublik betreffenden Bände darstellt, ist damit nicht mehr in allen Aspekten möglich. Davon abgehoben werden kann das Urteil für die Bände zu den Baudenkmälern der DDR. Hier erschienen die entsprechenden 6 Bände des Dehio-Handbuchs in relativ rascher Folge und sind vergleichsweise homogener und noch stärker der Konzeption des alten Dehio verpflichtet.


[1]
Vgl. Baudenkmäler und ihre Erfassung : 2, Ausführliche Darstellung aus der Sicht des Kunsthistorikers / Tilmann Breuer. // In: Schutz und Pflege von Baudenkmälern in der Bundesrepublik Deutschland : ein Handbuch / hrsg. von August Gebeßler. - Köln : Kohlhammer, 1980, S. 22 - 57, besonders 47 ff.
Im selben Beitrag wird (S. 54) auch der Einsatz der EDV bei der Denkmälerinventarisation angesprochen, allerdings in einer so generellen Weise, daß man merkt, daß dahinter damals noch keine nennenswerte praktische Erfahrung stand. Das hat sich inzwischen geändert, wie die im folgenden Tagungsband veröffentlichten Beiträge belegen, die allerdings ein völlig disparates Bild vermitteln: Denkmalpflege und computerunterstützte Dokumentation und Information : Dokumentation der Tagung des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz in Zsarb. mit der Vereinigung der Landesdenkmalpfleger in der Bundesrepublik Deutschland und dem Informationszentrum Raum und Bau der Fraunhofer-Gesellschaft, 1. und 2. Dezember 1992 in Stuttgart / [Red.: Juliane Kirschbaum ...]. - Bonn : Deutsches Nationalkomitee für Denkmalschutz, [1993]. - 146 S. ; 30 cm. - (Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz ; 44). - (Erhältlich bei: Deutsches Nationalkomitee ..., Geschäftsstelle, Graurheindorfer Str. 198, 53117 Bonn) [sh]. (zurück)
[2]
Denkmalschutz und Inventarisation in Berlin / Hartwig Schmidt. // In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. - 42 (1984), S. 112 - 114. (zurück)
[3]
Zitiert nach: Georg Dehios "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler" einst und jetzt / Reiner Haussherr. // In: Rheinische Vierteljahrsblätter. - 33 (1969), S. 486 - 491. (zurück)
[4]
So Georg Dehio auf dem Tag für Denkmalpflege, zitiert nach: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Georg Dehio. - Neubearb. / besorgt durch die Dehio-Vereinigung. - München: Deutscher Kunstverlag. - Bayern. - 3. Schwaben / bearb. von Bruno Bushart und Georg Paula. - 1989, S. V. (zurück)
[5]
Zum Dehio und zur Weiterentwicklung des Handbuchs s. auch allgemein die folgenden Beiträge:
Der "Dehio" : Erbe im Wandel / Eva Frodl-Kraft. // In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. - 40 (1982), S. 70 - 81.
Georg Dehios "Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler" einst und jetzt / Reiner Haussherr. // In: Rheinische Vierteljahrsblätter. - 33 (1969), S. 486 - 491.
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Georg Dehio. - München : Deutscher Kunstverlag. - Berlin / bearb. von Sybille Badstübner-Gröger u.a. - 1994 / [rezensiert von] Michael Meier. // In: Zeitschrift für Kunstgeschichte. - 57 (1994), S. 130 - 134.
Einführung in die Denkmalpflege / Gottfried Kiesow. - Darmstadt, 1982, S. 17 und 167 ff.
Georg Dehio 1850 - 1932 : seine Kunstgeschichte der Architektur / Erich Hubala. // In: Zeitschrift für Kunstgeschichte. - 46 (1983), S. 1 - 14, bes. 11 - 12. (zurück)
[6]
In seiner Fortführung ging der Dehio über die deutschen Landesgrenzen hinaus, enthielt doch der Band Südwestdeutschland in der 2. Aufl. von 1926 bereits einen Anhang mit Kunstdenkmälern der deutschsprachigen Schweiz.
Nach Vorarbeiten ab 1923 wurde 1933 dem Handbuch eine 2. Abteilung Österreich angegliedert, die wiederum in ihren Bänden nach 1938 auch Denkmäler der annektierten südböhmischen Gebiete verzeichnete; vgl. hierzu Frodl-Kraft a.a.O., S. 70 - 71 und Haussherr a.a.O., S. 488.
Elsaß-Lothringen war bereits im Grundwerk des Dehio berücksichtigt, da es zu diesem Zeitpunkt zum deutschen Reich gehörte; 1940 erschien Elsaß-Lothringen als separater Band des Dehio-Gall; vgl. hierzu auch Eva Frodl-Kraft, a.a.O.
Der von Gall in den 40er Jahren bearbeitete Band für die Bau- und Kunstdenkmäler der alten preußischen Provinzen West- und Ostpreußen erschien 1952 unter dem Titel Deutschordensland Preußen innerhalb des Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler. Von diesem liegt jetzt eine vollständige Neubearbeitung vor:
Dehio-Handbuch der Kunstdenkmäler West- und Ostpreußen : die ehemaligen Provinzen West- und Ostpreußen (Deutschordensland Preußen) mit Bütower und Lauenburger Land / bearb. von Michael Antoni. - Vollst. Neubearb. auf der Grundlage des 1952 erschienenen Bd. Deutschordensland Preußen. - [München] : Deutscher Kunstverlag, 1993. - 718 S. : graph. Darst., Kt ; 19 cm. - ISBN 3-422-03025-5 : DM 68.00 [2086].
Der Bearbeiter des Bandes, Michael Antoni, zieht nach Kriegszerstörungen und politischen Veränderungen gleichsam ein Fazit, indem er den Ist-Zustand dokumentiert. Wertvoll ist auch die Umsetzung bzw. Konkordanz der deutschen/polnischen Ortsnamen. Insgesamt liegt damit für diese Region ein gelungenes, aktuelles deutschsprachiges Nachschlagewerk vor. (zurück)
[7]
Haussherr a.a.O. (zurück)
[8]
Frodl-Kraft a.a.O., hier auch zu der veränderten Beschreibungskonzeption für die Ausgaben 1938 - 1945; der 1. Bd. für Österreich, der Kärnten, Salzburg, Steiermark, Tirol und Vorarlberg behandelte, erschien bereits 1933. (zurück)
[9]
So war der Band Rheinpfalz und Rheinhessen (1951) durch Ausgliederung der linksrheinischen Teile aus dem Band Rheinfranken (1943) entstanden, und der Band Hessen-Nassau (1942) wurde später in die Bände Nördliches Hessen (1955) und Südliches Hessen (1950) aufgeteilt. (zurück)
[10]
Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler / Georg Dehio. - Neubearbeitung im Institut für Denkmalpflege im Einvernehmen mit der Dehio-Vereinigung / Ernst Badstübner ... Berlin. - Die Bezirke Dresden, Karl-Marx-Stadt, Leipzig. - 1965; Die Bezirke Neubrandenburg, Rostock, Schwerin. - 1968; Der Bezirk Magdeburg. - 1974; Der Bezirk Halle. - 1976; Die Bezirke Berlin/DDR und Potsdam. - 1983; Die Bezirke Cottbus und Frankfurt/Oder. - 1987. - Einzelne Bände erschienen in Neuauflagen, so z.B. der Bd. Berlin/DDR und Potsdam in einer 2., verb. Aufl. 1988, aus dem der Teil für Potsdam 1993 separat nachgedruckt wurde (s.u. IFB 95-3-408).
Vgl. dazu Die Anfänge der Neubearbeitung des "Handbuchs der deutschen Kunstdenkmäler" von Georg Dehio in der DDR / Edgar Lehmann. // In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. - 49 (1991), 93 - 95. (zurück)

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