Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 3
[ Bestand in K10plus ]

Das Werk Heinrich Bölls


95-3-398
Das Werk Heinrich Bölls : Bibliographie mit Studien zum Frühwerk / Werner Bellmann (Hrsg.). - Opladen : Westdeutscher Verlag, 1995. - 292 S. ; 23 cm. - ISBN 3-531-12694-6 : DM 48.00
[2930]

Auch wenn sich die Zweifel in der kritischen Literatur mehren, ob das Werk Heinrich Bölls seine öffentliche Resonanz mehr den politischen Bekenntnissen des Autors als seinen sprachlich-literarischen Qualitäten verdankt, hält die breite Rezeption unvermindert an, wie etwa die Übersetzungen des 1992 aus dem Nachlaß veröffentlichten Romans Der Engel schwieg belegen.

Pünktlich zum 10. Todestag hat die mit der kritischen Edition befaßte Böll-Forschungsstelle der Bergischen Universität Wuppertal eine seit langem entbehrte subjektive Personalbibliographie vorgelegt. Die Bibliographie nimmt knapp zwei Drittel eines von Werner Bellmann, dem Leiter der Wuppertaler Forschungsstelle, herausgegebenen Sammelbandes ein. Er enthält außerdem sechs Aufsätze, deren Themen bibliographischen Fragen teils näher, teils ferner liegen. Bibliographischen Bezug im weiteren Sinne von Textgeschichte haben zumindest solche Beiträge in dem Band, die sich auf den Nachlaß (W. Bellmann), auf Varianten als verlagspolitisch bedingte Texteingriffe (G. Sander) oder unbekannte Zeugnisse zu Bölls künstlerischem Selbstverständnis (B. Schnepp) beziehen. Vielleicht hätten Autoren und Verlag die beiden Teile des Bandes besser separat publiziert.

Die Bibliographie gehört zu den erfreulichen Exemplaren ihrer Gattung. Dies sei angesichts der publizistischen Angriffe, die sie, kaum erschienen, von Viktor Böll, dem Neffen des Autors und Leiter des Kölner Böll-Archivs, und von Bölls Sohn René, erfahren hat, gleich zu Beginn näherer Betrachtung gesagt.

Sie weist in fünf Gruppen folgende Schriftengattungen nach: 1. Schriften: Erstveröffentlichungen und Buchausgaben; die Veröffentlichungen eines Erscheinungsjahres sind durchlaufend numeriert, aber unterteilt in die Blöcke I. Erstveröffentlichungen (diese wieder untergliedert in die Kategorien fiktionale Erzählprosa, Gedichte, Dramen/Hörspiele usw., Essays/Reden usw.) und II. Sammelausgaben, Neudrucke in Buchform usw. 2. Gedruckte Briefe von und an Böll (nach dem Alphabet der Briefpartner; nicht aufgenommen sind auszugsweise in der Forschungsliteratur veröffentliche Briefe). 3. Interviews und Gespräche, soweit sie - auch auszugsweise - gedruckt vorliegen in chronologischer Ordnung. 4. Herausgeberische Arbeiten Bölls. 5. Übersetzungen von Annemarie und Heinrich Böll.

Auf jeder Seite ist der große Fortschritt zu bemerken, den das neue Werk gegenüber den seinerzeit verdienstvollen Böll-Bibliographien von Lengning[1] und Martin[2] darstellt. Der Qualität kommt zugute, daß die neue Wuppertaler Bibliographie sich auf bestimmte Felder konzentriert, andere - etwa die Verzeichnung von Übersetzungen - bewußt zurückstellt, statt auf ihnen nur Unzulängliches zu bieten. Wer sich je an solche Arbeit gemacht hat, mag ermessen, welchen Aufwand allein die Ermittlung der gedruckten Interviews und Gespräche die Bearbeiter gekostet haben dürfte.

Die Titelaufnahmen sind, einschließlich der Kollationsvermerke, sorgfältig gearbeitet. Erfreulich ist die große Zahl bibliographischer Notizen, seien es z. B. Inhaltsangaben, Verweise auf die bislang gültigen Leseausgaben oder Hinweise auf die spätere Aufnahme einzelner Titel in Sammlungen.

Erschlossen wird die Bibliographie durch ein Register der Namen, ein Verzeichnis der Titelvarianten (auch solche von nicht erfaßten Nachdrucken, etwa Ausgaben in Buchgemeinschaften) sowie zwei Titelregister (je eines zur fiktionalen Prosa/Dramatik/Lyrik und eines zu Essayistik/Reden usw.). Leider werden Artikel am Anfang eines Titels in den entsprechenden Registern mitsortiert.

Die beste Bibliographie dürfte nicht fehlerfrei sein. Der Herausgeber ist sich dessen bewußt und bittet selbst um Korrektur. Ausgerechnet beim Irischen Tagebuch ist den Bearbeitern im Bemühen, an der Stelle, die eine Sammlung zum erstenmal anführt, frühere Teilabdrucke nachzuweisen, ein Fehler unterlaufen. Die Sammlung wird unter Nr. 57.5 nachgewiesen; als bibliographische Notiz folgt der Hinweis, daß Teilvorabdrucke unter den Nummern 55.2,4,7-9; 56.2-6 zu finden seien. Richtig hätte es heißen müssen: Nr. 54,3; 55.3,5,7-10; 57.1,4. An den Stellen sind die Erstdrucke korrekt verzeichnet, ja es wird jeweils vermerkt, ob der Text verändert usw. in das Irische Tagebuch eingegangen ist. Alle diese Nummern der Erstdrucke sind auch im Titelregister korrekt erfaßt.

Wenn Viktor Böll der Wuppertaler Bibliographie vorwirft, diese Titel seien auf dem "Weg vom Buch des Autors in die Bibliographie seiner Werke verschwunden",[3] schießt er weit über das Ziel billiger Kritik hinaus; wenn er der - in ihren selbstgesteckten Grenzen, an denen sie füglich zu messen ist - vorzüglich gelungenen Personalbibliographie gar attestiert, "daß nach sechs Jahren Forschungstätigkeit in Wuppertal noch nicht einmal eine Übersicht über das Lebenswerk des Autors existiert" (ebd.), so ist das nichts als ein unfairer Hieb des Kölner Antipoden auf die ungeliebte Wuppertaler Forschungsstelle, ein Hieb, der den nicht ehrt, dessen Hand ihn führt.

Die Böll-Forschung wird die neue Bibliographie dankbar zur Hand nehmen und sich wünschen, daß die Wuppertaler Böll-Forscher noch verbleibende Lücken, wie etwa die erwähnte Bibliographie der Übersetzungen,[4] in vergleichbarer Qualität schließen mögen. Auch eine umfassende Bibliographie der Forschungsliteratur[5] ist erwünscht, an der seit längerem in Köln gearbeitet wird.

Hans-Albrecht Koch


[1]
Der Schriftsteller Heinrich Böll : ein biographisch-bibliographischer Abriß / neu hrsg. von Werner Lengning. - 3., überarb. und erg. Aufl. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1992. - 355 S. - (Dtv ; 530). (zurück)
[2]
Heinrich Böll : eine Bibliographie seiner Werke / hrsg. von Werner Martin. - Hildesheim [u.a.] : Olms, 1975. - 236 S. - (Bibliographien zur deutschen Literatur ; 2). (zurück)
[3]
Frankfurter Allgemeine. - 1995-08-02, S. 6; zur Erwiderung von W. Bellmann vgl. Frankfurter Allgemeine. - 1995-08-10, S. 9. Die Zeitung selbst hatte bereits im Feuilleton (1995-07-28, S. 31) unter der Überschrift Aus der Wortkanone über das Wiederaufflammen des Streites berichtet. (zurück)
[4]
Hierzu existieren bereits mehrere Vorarbeiten: so berücksichtigt Martin in seiner oben genannten Bibliographie auch Übersetzungen; die russischen Übersetzungen bis 1979 verzeichnet die folgende Bibliographie: Heinrich Böll in der Sowjetunion, 1952 - 1979 : Einführung in die sowjetische Böll-Rezeption und Bibliographie der in russischer Sprache erschienenen Schriften von und über Heinrich Böll / Peter Bruhn ; Henry Glade. - Berlin : E. Schmidt, 1980. - 176 S. [sh] (zurück)
[5]
Hier wird man derzeit am besten zu dem titelreichen Artikel Böll, Heinrich im Quellenlexikon zur deutschen Literaturgeschichte. - Bd. 2 (1995), S. 486 - 512 greifen, sowie zum Teil Sekundärliteratur in Heinrich Böll / Bernhard Sowinski. - Stuttgart ; Weimar : Metzler, 1993. - (Sammlung Metzler ; 272), S. 176 - 211. - Sowinski beschreibt im Abschnitt Forschungsstätten auch Das Heinrich-Böll-Archiv der Stadt Köln und Die Heinrich-Böll-Arbeitsstelle in Wuppertal (S. 158 - 159); ersteres unterhält demnach eine Arbeitsstelle in der Zentralbücherei der Stadt Köln, in der der "Bestand an Sekundärliteratur, Rezensionen und sonstige(m) Schrifttum über Böll, einschließlich einer Datenbank" verwahrt wird, beste Voraussetzung also für die Erstellung einer Bibliographie der Forschungsliteratur. Zumindest auf dem Gebiet der Böll-Bibliographie bleibt also genügend zu tun, als daß eine Stelle der anderen etwas neiden müßte. [sh] (zurück)

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