Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 3
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Deutsches Schriftstellerlexikon


95-3-397
Deutsches Schriftstellerlexikon : 1830 - 1880 ; Goedekes Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung: Fortführung / bearb. von Herbert Jacob. Red.: Marianne Jacob. [Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften]. - Berlin : Akademie-Verlag. - 25 cm
[2773]
Bd. 1. A - B. - 1995. - 714 S. - ISBN 3-05-002120-9 : DM 248.00

Ein lange Totgesagter kehrt - in Gestalt des hier anzuzeigenden ersten Bandes der Fortführung von Goedekes Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung[1] - ins Leben zurück, erfrischt, wie einem Jungbrunnen entstiegen. Was soll das heißen? Mehrere Anläufe, den Goedeke für das 19. Jahrhundert als selbständiges Unternehmen fortzusetzen, führten lediglich zu Torsi. Zwar hatten schon Franz Muncker Ende des vorigen Jahrhunderts und nach ihm seit 1929 Georg Minde-Pouet angesichts der Materialfülle versucht, der Gefahr bloßer lexikalischer Stoffhuberei durch differenzierte Ausführlichkeit in der Behandlung der Artikel zu begegnen, auch an Verfahren gedacht, bei belangloseren Autoren lediglich Ergänzungen zu älteren Literaturlexika zu liefern. Alle Mühen blieben jedoch in den Anfängen stecken. Nach Minde-Pouets Konzept erschien 1940 die erste, von Eva Rothe bearbeitete, Lieferung, die 1955 noch einmal publiziert wurde. 1962 erschien der erste Band der Neuen Folge,[2] der lediglich den ersten Buchstaben des Alphabets umfaßte. Es wurde offenkundig, daß ein Werk mit dem Programm, "deutschsprachige Schriftsteller, die in den Jahren 1830 bis 1880 mit Werken der schönen Literatur hervorgetreten sind, in einer ihrer literaturgeschichtlichen Bedeutung entsprechenden Ausführlichkeit" zu behandeln, an Elephantiasis zugrunde gehen würde. Daß dem Werk dies Schicksal nun doch erspart zu bleiben scheint, ist dem gründlich geänderten Plan zu danken, der die große literarhistorische und bibliographische Kompetenz des Herausgebers erkennen läßt.

Das Deutsche Schriftstellerlexikon behandelt in Bd. 1 für die beiden ersten Buchstaben des Alphabets 1608 "Autoren, die im Zeitraum zwischen 1830 und 1880 erstmals hervorgetreten sind" (S. 11), erstmals wegen der bewußt vorgenommenen Vermeidung von Überschneidungen zur 2. Aufl. des Goedeke: Wiederaufnahmen von dort bereits behandelten Autoren sind - selbst dann, wenn der Schwerpunkt ihres Schaffens in die Zeit von 1830 bis 1880 fällt - ebensowenig vorgesehen, wie Nachträge zu solchen Autoren. Das auffälligste Kennzeichen der neuen Konzeption[3] besteht zunächst einmal darin, daß alle poetae minores lediglich mit Kurzartikeln bedacht sind, die äußerstenfalls umfassen: den Kopf mit Namen, Vornamen, Pseudonymen, Geburts- und Todesjahr, und als das Corpus des Artikels Hinweise auf bis zu sechs lexikalische Standardwerke mit Angaben zum Autor bzw. seiner Literatur sowie - sigliert mit W, U und L - Hinweise auf die im Archiv bewahrten Nachweise selbständig erschienener Veröffentlichungen des Autors (W), Anfangs- und Endjahr bisher festgestellter Beiträge und Abdrucke in periodischer Literatur oder Sammlungen (U) und die Anzahl der im Archiv vorhandenen Literaturnachweise zu Sekundärliteratur, Lexika und zeitgenössischen Kritiken (L). Die Früchte der jahrzehntelangen Sammelarbeit werden also nicht unterdrückt, aber auch nicht ausgebreitet. Wer an das Material zu solch kleineren Autoren gelangen will, muß sich an die Berliner "Arbeitsstelle"[4] wenden, an der der neue Goedeke bearbeitet wird: eine pragmatisch-vernünftige Entscheidung, um das Lexikon von Ballast zu entfrachten.

Für alle nicht in Form der Kurzartikel behandelten Autoren bietet das Lexikon neben dem Kopf (diesmal mit Geburts- und Todestag und den zugehörigen Orten) eine Kurzbiographie und als Hauptteil eine Personalbibliographie. Die Personalbibliographie zerfällt in einen formalen ersten Teil, der maximal aus fünf mit den Siglen P, L, S, B und H gekennzeichneten Rubriken bestehen kann: Nachweis vorhandener Personalbibliographien, i.d.R. bis zu drei Titel (P); Hinweise auf Artikel in lexikalischen oder sonstigen Informationswerken (L); Hinweise auf Bände von Fachbibliographien, in denen Sekundärliteratur zum Autor verzeichnet ist (S); die in Briefbibliographien genannten Korrespondenzen (B) sowie die in Handschriftenverzeichnissen nachgewiesenen Nachlaßteile des Autors (H). Die Einträge unter L bis H zitieren jeweils in Kurzform die Aufnahmen aus einer etwa 150 Titel umfassenden Liste. Diese Liste umfaßt wichtige biographische Werke (ADB, NDB, DBI, solche vom Typ Lebensbilder ... usw.), Literaturlexika (Brümmer, Killy, Kosch usw.), abgeschlossene und laufende Fachbibliographien, Nachlaßverzeichnisse (Denecke/Brandis, Mommsen, Renner) u.a.m.

Dem formalisierten ersten Teil folgt dann jeweils eine subjektive Personalbibliographie zum Autor, die - fortlaufend numeriert - die folgenden Rubriken umfaßt: 1. Buchpublikationen (einschließlich weiterer zu Lebzeiten des Autors publizierter Auflagen), von ihm herausgegebene Periodika und andere Veröffentlichungen, Übersetzungen, Bearbeitungen; 2. Veröffentlichungen aus dem Nachlaß; 3. Wirkungsgeschichtliche Zeugnisse (z.B. Premieren von Bühnenwerken; Besprechungen in periodischer Literatur); 4. Beiträge in Zeitschriften, Zeitungen, Sammlungen; 5. Gesamtausgaben von Werken und Briefen.

Die Titelaufnahmen lehnen sich an die Regeln der Preußischen Instruktionen an, "weil sich mit ihnen möglichst viel vom Kolorit der Vorlagen bewahren läßt". So richtig wie mutig fährt Jacob fort: "Der 'Grundriß' ist kein Katalogwerk, sondern ein Instrument der literaturgeschichtlichen Forschung" (S. 13). Bei der Lektüre der - solcherart sehr lesbaren - Aufnahmen beschleicht den Benutzer die nostalgische Erkenntnis, daß sich in den PI noch beides verbunden hat: Katalogregelwerk und Instrument der Forschung.

Man wird den Bearbeitern Dank dafür wissen, daß sie in die Bibliographie der Werke auch ungedruckte Titel aufgenommen haben, z. B. Theaterstücke, deren Aufführung zweifelsfrei nachzuweisen ist, oder verlorengegangene Werke, die sich haben ermitteln lassen. Letztere sind - bibliographisch korrekt - eben auch als solche ausgewiesen.

Bei der Verzeichnung von Beiträgen in Zeitschriften und Sammlungen wird man das eine oder andere Fragezeichen anbringen dürfen: ob denn der Nachweis eines Abdrucks in einzelnen der zahlreichen Auflagen von Kommersbüchern sinnvoll sei oder ob nicht - wie es bei dem sonst sehr konzisen Büchner-Artikel scheinen will - die Verzeichnung solcher Beiträge um so arbiträrer wird, je näher ihr Publikationsdatum der Gegenwart rückt. Als eindeutigen Gewinn registriert man die Hinweise auf frühe Veröffentlichungen solcher Art.

Die Beiträge in Zeitschriften usw. sind nur mit verkürzter Kollation nachgewiesen. Oft wird bei ihnen aber auf die großen von Alfred Estermann bearbeiteten Zeitschriftenbibliographien verwiesen.[5] In der Herstellung von solchen synergetischen Bezügen zwischen den verschiedenen Erschließungsinstrumenten zur Literatur des 19. Jahrhunderts liegt einer der großen Vorzüge des neuen Goedeke, den man rechtens auch als Jacob zitieren könnte. Nicht alles selbst bieten zu wollen, sondern Fingerzeige zu geben, wo weiter zu suchen ist: mit der Entscheidung für dieses Prinzip hat Herbert Jacob - zusammen mit seinen Mitarbeitern, allen voran der Redaktorin Marianne Jacob - die Fortführung des Goedeke noch einmal so in Gang gebracht, daß sie in überschaubarer Frist zum Abschluß kommen dürfte. Zum 19. Jahrhundert wird der neue Goedeke dann das Schriftstellerlexikon sein. Zu der Freude über die nach Methode und Resultat gelungene Leistung, die der erste Band darstellt, gesellt sich die Genugtuung, daß die lebenslange entsagungsvolle Arbeit, die einer der kundigsten Bibliographen des Faches in den neuen Goedeke gesteckt hat, wider alle Erwartung zu später, aber schöner Frucht gelangt ist.

Hans-Albrecht Koch


[1]
Die gleichfalls von H. Jacob bearbeiteten Bd. 16 und 17 des Grundwerks beschließen die alte Folge des Goedeke: Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen / von Karl Goedeke. - Berlin : Akademie-Verlag. - 25 cm. [0943]. - Bd. 16. - 2. ganz neu bearb. Aufl. / bearb. von Herbert Jacob. Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften der DDR, Zentralinstitut für Literaturgeschichte. - 1985. - IX, 1142 S. : M 260.00 (Lfg. 1 - 4). - Vgl. ABUN in ZfBB 33 (1986),1, S. 27 - 28. - Bd. 17. - 2., ganz neu bearb. Aufl. / bearb. von Herbert Jacob. Hrsg. von der Akademie der Wissenschaften Berlin, Zentralinstitut für Literaturgeschichte. - 1991,Halbbd. 1 - 2. - 1908 S. - ISBN 3-05-000432-0 (brosch.) : DM 868.00. - Vgl. ABUN in ZfBB 39 (1992),1, S. 64 - 67. (zurück)
[2]
Goedekes Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung. Neue Folge, (Fortführung von 1830 bis 1880) / hrsg. von der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Institut für Deutsche Sprache und Literatur. - Berlin : Akademie-Verlag. - 1. Hrsg. von Georg Minde-Pouet und Eva Rothe. - 1962. - VI, 733 S. (zurück)
[3]
Vgl. dazu den folgenden Beitrag, der - zusammen mit anderen Vorträgen eines Symposiums - 1996 veröffentlicht werden soll: Von "Goedekes" Aufgaben / Herbert Jacob. // In: Literaturarchiv und Literaturforschung : Aspekte ihrer Zusammenarbeit / hrsg. von Christoph König und Siegfried Seifert. - München : Saur, 1996. - (Literatur und Archiv ; ...). [sh] (zurück)
[4]
So mehrfach unspezifisch in der Einführung, und es hätte nichts geschadet, wenn man auch den genauen Namen, die Anschrift und sonstige, für den Benutzungsfall erwünschte Angaben erfahren hätte. In Blinns Informationshandbuch deutsche Literaturwissenschaft (IFB 95-1-077) heißt es (I 1901): Arbeitsvorhaben "Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen" [Goedeke] der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Unter den Linden 8, D-10117 Berlin, Tel. 030/20370-480. [sh] (zurück)
[5]
Außerordentlich … jour, wie der neue Goedeke ist, wird er in den Folgebänden sicher auch die im Erscheinen begriffenen Inhaltsanalytischen Bibliographien deutscher Kulturzeitschriften des 19. Jahrhunderts : IBDK / Alfred Estermann. - München : Saur, 1995 - , berücksichtigen. (zurück)

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