Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 3
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Jugendstil und Buchkunst


95-3-346
Jugendstil und Buchkunst / Alfred Langer. - Leipzig : Edition Leipzig, 1994. - 283 S. : Ill. ; 28 cm. - ISBN 3-361-00427-6 : DM 148.00
[2442]
95-3-347
Der Verlagseinband unter dem Jugendstil : zum Wandel bibliophiler und gestalterischer Normen im Einfluß des britischen Druckwesens / Andreas Roloff. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 1994. - 415 S. : Ill. ; 21 cm. - (Europäische Hochschulschriften : Reihe 28, Kunstgeschichte ; 177). - ISBN 3-631-46065-1 : DM 108.00
[2443]
95-3-348
Buchkunst des Jugendstils : Einband und Illustration ; eine Ausstellung aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Braunschweig (25.11.1994 - 3.2.1995) / Beate Nagel. - Braunschweig : Universitätsbibliothek der Technischen Universität, 1994. - 131 S. ; 24 cm. - (Veröffentlichungen der Universitätsbibliothek Braunschweig ; 10). - ISBN 3-927115-23-1 : DM 15.00. - (Universitätsbibliothek ...; Postfach 3329, 38023 Braunschweig)
[2598]

Die sorgfältig erarbeitete Präsentation der wegen ihrer qualitativ hochwertigen Produktion renommierten Edition Leipzig[1] bietet einen Überblick über die künstlerischen Reformbewegungen um 1900, die bereits Mitte des 19. Jahrhunderts als Gegenbewegung zu den dort früh sichtbaren Folgen der Industrialisierung in England begannen. Sie werden hierzulande gemeinhin unter dem Überbegriff Jugendstil gehandelt, gemeint sind aber auch so unterschiedliche Richtungen wie Art Nouveau, Modern Style und Arts and Crafts. Die Künstler, Maler und Architekten um William Morris propagierten eine Wiedervereinigung von Kunst und Handwerk, die sich nicht zuletzt auch einer Verbesserung der buchgraphischen Ausstattung gegenüber der verderbten Typographie von achtlos auf den Markt geworfenen Massenauflagen zuwandte. Die daraufhin entstehenden Konkurrenzunternehmen, Nebenströmungen und Einzelentwicklungen zeigen kein einheitliches stilistisches Bild, gemeinsam ist ihnen jedoch die Hinwendung zur Formelhaftigkeit des flächenhaft stilisierten pflanzlichen oder abstrakten Ornamentes mit oft dekorativ geschwungenen Linien. Die Einführung Langers in die Vielfalt dieser kurzen, produktiven Periode der Buchkunst orientiert sich an der nationalgeographischen Zuordnung (für Deutschland darüberhinaus nach Orten) und der Entstehungszeit der vorgestellten Schulen und Werke. Sie werden jeweils mit eindrucksvollen, in der Regel farbigen Abbildungen illustriert. Bei den Abbildungen vermißt man zwar einen ausführlichen Kommentar mit historischer Einordnung in das Gesamtbild - bei der starken Differenzierung wäre eine solche jedoch eindeutig zu Lasten der Zahl der Abbildungen gegangen. Die literar-, kunst- und sozialgeschichtlichen Bezüge im allgemeinen werden zudem im fortlaufenen Text wohlinformiert hergestellt, so daß man ausnahmsweise auf Weiterungen zu den Illustrationen verzichten kann. Das Künstler wie auch Schulen erschließende Register im Anhang muß als selbstverständlich gelten. Die beachtliche Leistung der eingearbeiteten Bezüge auf etwa 1200 Künstler hätte dabei durch die Angabe von deren Lebensdaten noch gewinnen können. Die Ausstattung mit Gewebeband und Fadenheftung und zudem das funktionale Layout machen dieses Buch zu einem seinem Gegenstand angemessenen bibliophilen Objekt, das man als coffee table book gerne zum Schmökern in die Hand nehmen wird. Als primäres Informationsmittel zur Buchkunst des Jugendstil stellt es darüber hinaus auch trotz der genannten Mängel ein ausführliches Kompendium dar.

Der etwas ungelenk klingende Titel von Andreas Roloffs Dissertation Der Verlagseinband unter dem Jugendstil bestätigt sich - auf 146 Seiten Text, einem 113-seitigen Verzeichnis mit 308 Einträgen der künstlerischen Bucheinbände der Verlage Insel, Diederichs und S. Fischer aus den Jahren 1895 bis 1907 sowie seinen 330 abschließenden, qualitativ minderwertigen Abbildungen - mit ebenso sprachlich unbeholfenen wie wenig informativen Ausführungen.[2] Die Arbeit ist leitmotivisch von dem Wunsch durchdrungen, den Wandel bibliophiler und gestalterischer Normen von der Spätromantik bis zum Ende des Jugendstils nachzuzeichnen. Der besondere Stellenwert des englischen Druckwesens wird dabei zwar erkannt, der von William Morris inaugurierte soziale Impetus wird jedoch fälschlich in diesem statt im politischen Bereich gesehen - und darüberhinaus dann (zur Potenzierung der Fehlleistung) auf die Entwicklung in Deutschland übertragen.

Die Würdigung und Bewertung des künstlerisch gestalteten Verlagseinbandes der kurzen Zeitspanne von 1895 bis 1907 ist dagegen das zentrale Anliegen Roloffs. Kernstück der Arbeit bildet damit auch das erwähnte 113-seitige Verzeichnis. In der vorgelegten Form, nämlich ohne ausführliche Aufarbeitung im Haupttext, bleibt es jedoch reine Fleißarbeit, bibliothekarische l'art pour l'art. Lediglich auf S. 186 findet eine Auswertung der Gestaltungsmerkmale in Prozentangaben[3] statt und ringt wohl nicht nur dem Rezensenten ein mitleidiges Lächeln ab.

Aufschlußreicher gewesen wäre eine Typologie der Einbände etwa nach: erzählendem Charakter, plakativer Ausrichtung, Betonung floraler Elemente, rein ornamentaler Buchschmuck, rein typographische Gestaltung. Auch spielt die Farbe im Jugendstil eine besondere Rolle, gerade bei den Einbänden wirkte sie stilbildend. Vernachlässigt wird darüberhinaus das Zusammenspiel von Einband, Text und weiterer typographischer Ausstattung, deren Integration, wie Roloff selbst immerhin in einem Nebensatz bemerkt, zentrales Anliegen der Zeit war.

Kurzum, hier wird alter Wein in einen PETER LANGen Schlauch gefüllt, angereichert durch eine wenig schmackhafte Prise populärmarxistischer Sozialkritik, die den Sprung hin zu einer Flektion des Sujets dann doch nicht schafft.

Der von Beate Nagel vorgelegte Katalog zur Ausstellung aus dem Bestand der Universitätsbibliothek Braunschweig zur Buchkunst des Jugenstils dagegen bildet mehr als nur einen gelungenen Führer zu den Exponaten, die jeweils neben der Beschreibung in sauberem Abdruck beispielhaft wiedergegeben sind. Die Anmerkungen zu den Ausstellungsstücken, die sämtlich aus dem Altbestand und der Kinderbuchsammlung der Bibliothek selbst stammen, sind ebenso kenntnisreich wie nachvollziehbar. Sie bilden damit einen willkommenen Vorrat für Bibliotheken, die ihre eigenen Bestände der Zeit einmal im Hinblick auf buchkünstlerische Gestaltung durchforsten und präsentieren möchten.

Rudolf Nink


[1]
Vgl. im selben Verlag die ähnlich ausgestatteten Bände von Lothar Lang:
Expressionismus und Buchkunst in Deutschland : 1907 - 1927 / Lothar Lang. - 2., verb. und erg. Aufl. - Leipzig : Edition Leipzig, 1993. - 240 S. : überw. Ill. - ISBN 3-361-00360-1 : DM 118.00.
Konstruktivismus und Buchkunst. / Lothar Lang. - 1. Aufl. - Leipzig : Edition Leipzig, 1990. - 240 S. : überw. Ill. - ISBN 3-361-00304-0 : DM 124.00.
Surrealismus und Buchkunst / Lothar Lang. - Leipzig : Edition Leipzig, 1993. - 215 S. : überw. Ill. - ISBN 3-361-00394-6 : DM 148.00. (zurück)
[2]
Der geneigte Leser goutiere: "Der schmückende Deckelaufdruck bildete für seinen ursprünglich als Provisorium gedachten Träger den Ausgang einer längerfristigen Zweckbestimmung. In der anonymen Ware-Geld-Beziehung blieb er aber zunächst kaum mehr als eine äußerliche Verfeinerung." (S. 28)
"Die modernen Verlagswerke aus der Zeit vor 1908 erschöpften sich inhaltlich zumeist in Tageswirkungen und waren literaturgeschichtlich besehen oft nur von geringem Bestand." (S. 82)
"Die verlegerischen Intuitionen der Insel bedingten oft eine geradezu verschwenderische Mischung aus Anspruch und Eigensinn. [...] In der verstärkten Ausrichtung auf weltliterarische Texte darf eine der Komponenten vermutet werden, die zur größeren Maßhaltung im Ornament führten." (S. 119)
"Scheinbar Belangloses wurde aus der Konstellation des Zusammenhanges begriffen, die dem Einzelnen ihrerseits Vorbehalte auferlegte." (S. 135) (zurück)
[3]
Z.B.: 1,2% der vorgestellten Inselbände weisen Blindpung [sic!] auf, insgesamt aber nur 0,8% der 'beschriebenen' Bände. Dafür tragen 47,5% der Fischerbände, absolut immerhin 46,4% den Titel in der oberen Hälfte des Vorderdeckels ... (zurück)

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