Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 1
[ Bestand in K10plus ]

A dictionary of ancient history


95-1-130
A dictionary of ancient history / ed. by Graham Speake. - 1. publ. - Oxford [u.a.] : Blackwell, 1994. - X, 758 S. ; 24 cm. - ISBN 0-631-18069-9 : œ 35.00
[2482]

Das Dictionary of ancient history ist seiner eigenen Aussage zufolge primär für Laien gemacht, die nach ersten Informationen über die Antike, d.h. die griechisch-römische Welt unter Einschluß benachbarter Kulturen, suchen. Es verspricht, den Zeitraum von 776 v.Chr. bis 476 n.Chr. abzudecken, verzichtet dabei allerdings bewußt auf den großen Bereich der antiken Mythologie.

Die mit den Namenskürzeln der elf ausschließlich aus Großbritannien stammenden Mitarbeiter gezeichneten Einträge sind durchwegs kurz, ein fünfseitiger Abriß der römischen Geschichte gehört bereits zu den längsten. In vielen, durchaus aber nicht allen Fällen werden Hinweise auf Literatur (nur englischsprachige Monographien) gegeben, die in einer fünfzigseitigen Bibliographie am Ende des Buches zusammengestellt wurde. Im Appendix findet man für die griechische Geschichte Stammtafeln zu den beiden spartanischen Königshäusern, die für den Benutzer freilich nicht mehr als bloße Namensreihen sind, da nirgendwo Erklärungen zum spartanischen Königtum gegeben werden, außerdem zu den Seleukiden und Ptolemäern. Die römische Geschichte ist mit einer Tafel über die Regierungszeiten der Kaiser vertreten. Enthalten sind ferner einige Übersichtskarten, sowie Stadtpläne von Rom und Athen.

Daß ein Nachschlagewerk wie das vorliegende keine erschöpfende Auskunft geben kann, versteht sich von selbst. Man wird aber danach fragen müssen, ob es seinem Anspruch gerecht wird, Sachwörterbuch für breitere Interessentenkreise zu sein. Dafür ist das Dictionary leider viel zu häufig nicht geeignet. Vergleicht man etwa allgemeine Stichwörter (z.B. Römische Geschichte) oder auf Grund der Quellenlage ergiebigeren Themen (z.B. Cicero) mit dem, was ein großes Konversationslexikon zu bieten hat, dann ist nicht einzusehen, weshalb ein Benutzer zum Dictionary greifen sollte. Erst bei spezifischeren Anfragen kann dieses dann fachliche Qualitäten unter Beweis stellen, vor allem, wenn es um Personennamen geht. Mehr als eine grobe Orientierung wird man aber auch in solchen Fällen nicht erwarten dürfen. Das Dictionary beschränkt sich überwiegend auf die Wiedergabe von Rahmendaten (Jahreszahlen) und setzt dabei seinen Schwerpunkt in der sogenannten politischen Geschichte. Die Problematik dieser Konzeption kann man am Beispiel des athenischen Tyrannen Peisistratos verdeutlichen: In sehr knapper Form wird das Gerüst der bei Herodot und Aristoteles überlieferten Episode von Peisistratos' Weg zur Macht referiert, ohne daß jedoch die Quellen selbst genannt, geschweige denn kritisch interpretiert würden. Von einer derartigen Betrachtung hängt aber unmittelbar das "Faktengerüst" ab; diese Zusammenhänge werden in der Forschung diskutiert und sind z.B. von Michael Stahl in mustergültiger Weise aufbereitet worden.[1] Man kann deshalb an der Folgerung nicht vorbeikommen, daß der Benutzer hier falsch informiert wird, was sich auch mit der Kürze des Eintrages nicht mehr entschuldigen läßt. Zudem verzichtet das Dictionary an dieser Stelle auf eine Querverweisung zum Stichwort tyranny, das immerhin doch noch ein paar sinnvolle Zusatzinformationen enthielte. Völlig unbefriedigend ist auch der Artikel zum Christentum, der lediglich einige Daten zu einzelnen Phasen der Verfolgung bzw. Tolerierung durch römische Kaiser gibt. Die Beispiele ließen sich vermehren.

Im übrigen fehlen zahlreiche wichtige Stichwörter zum antiken Sozialsystem, und damit begibt sich das Dictionary der Chance, neben Institutionen und Faktenmaterial auch Entwicklungen aufzuzeigen. Unverständlich ist, weshalb z.B. ein kurzer Abriß über die Anlage des griechischen Hauses enthalten ist, während ein Lemma oikos, also das Haus als soziales System, fehlt. Ebenfalls bedenklich ist das Fehlen des Stichwortes Familie. Der römische Senat taucht als politische Institution auf, aber seine soziale Funktion, die Rolle und Bedeutung von Senatoren in Republik und Kaiserzeit, wird nicht einmal gestreift.

Bewegt man sich aus der Zeit der klassischen Antike in die Spätantike, werden die Auskünfte des Dictionary noch dürftiger. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist hier der Zugriff nur noch über Namen (vorwiegend die der Kaiser) möglich. Selbst da, wo einzelne schon vorhandene Stichwörter noch die Möglichkeit gegeben hätten, auf die Spätantike einzugehen, bleibt sie ausgespart. So wird etwa im Beitrag zu den Patriziern der konstantinische Patriziat verschwiegen.

Das Urteil kann am Ende wegen erheblicher konzeptioneller und inhaltlicher Mängel nicht positiv ausfallen. Weder interessierte Laien, die eigentliche Zielgruppe des Dictionary, noch gar mehr oder weniger gründlich vorinformierte Fachleute werden mit diesem Buch zufriedenstellend bedient. Fehlt für die einen der Zusammenhang und die Hintergrundinformation, ohne die das Wissen althistorischer Details letztlich sinnlos ist, müssen die anderen vor allem auf kritische Bemerkungen zur Quellenlage, zu Forschungs- und Interpretationsproblemen verzichten. Da gerade dem deutschsprachigen Interessenten kein kleines Angebot an anderen Informationsmitteln[2] zur Verfügung steht, kann man ihm vom Dictionary of ancient history getrost abraten.

Joachim Migl


[1]
Aristokraten und Tyrannen im archaischen Athen : Untersuchungen zur Überlieferung, zur Sozialstruktur und zur Entstehung des Staates / Michael Stahl. - Wiesbaden [u.a.] : Steiner, 1987. - XIII, 287 S. : Ill. (zurück)
[2] Z.B.: Lexikon der Antike; Wörterbuch der Antike; Lexikon der alten Welt; Der kleine Pauly. - Zu den drei ersten Titeln vgl. Buch und Bibliothek. - 43 (1991),4, S. 387 - 390. (zurück)

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