Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 3(1995) 1
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Selten und gesucht


95-1-016
Selten und gesucht : Bibliographien und ausgewählte Nachschlagewerke zur erotischen Literatur / Bearb. der Bibliographien und Auswahl der Illustrationen von Franz Bayer und Karl Ludwig Leonhardt. - Stuttgart : Hiersemann, 1993. - XI, 416 S. ; 28 cm. - (Hiersemanns bibliographische Handbücher ; 10). - ISBN 3-7772-9301-6 : DM 560.00, DM 480.00 (Subskr.-Pr.)
[1897]

Catalogi librorum eroticorum heißt ein kleines Werk, in dem Terence Deakin den Versuch unternahm, Bibliographien der erotischen Literatur zu beschreiben.[1] Als Pionierarbeit äußerst beachtlich, zeigten sich für den Antiquar wie den Bibliothekar schon bald die Lücken und Ungenauigkeiten der Darstellung. Eine Überarbeitung oder eine Neukonzeption erschien als Desiderat. Im vorliegenden Band wurde Deakins alphabetische Anordnung nach Autoren durch eine sachliche Gliederung ersetzt. Gegenüber Deakins 78 Nummern sind es hier 582. Alle Eintragungen sind neu erarbeitet und durch umfangreiche Register (Verfasser, Titel, Verlage, Sachregister zum Anmerkungsteil) erschlossen. Als besondere Leistung, die der Bibliographie Anschaulichkeit und eine zusätzliche Qualität gibt, sind die Abbildungen zu nennen, die sich nicht auf Titelblattreproduktionen oder gängige Motive nach dem Beispiel von Englisch's Geschichte der erotischen Literatur beschränken, sondern eher typische oder wichtige Textproben und Illustrationen (zum Teil in vorzüglicher Farbreproduktion) geben.

Eigentlich sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, doch muß es hier hervorgehoben werden, weil es gerade bei so bibliographisch intrikaten Gebieten wie Erotica nicht die Regel ist: Die vorliegenden Titelaufnahmen wurden nach Autopsie erstellt, bzw. an den Originalen überprüft. In Anbetracht der Seltenheit vieler Titel (ja tatsächlich: hier trifft die abgedroschene Standardbemerkung der Antiquare zu: Selten und gesucht!) ist das keine gering einzuschätzende Leistung. Ein Teil des Materials dürfte in öffentlichen Bibliotheken kaum zu finden sein. Stichproben, soweit sie möglich waren, haben die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Aufnahmen bestätigt, so daß nunmehr ein verläßliches Hilfsmittel für den Bibliographen zur Verfügung steht.

Die sachliche Anordnung folgt einem formalen Schema: Bibliographien der Bibliographien, Bibliographien [und Nachschlagewerke] (mit zahlreichen Untergruppen: Sachwörterbücher, Literaturgeschichte, Anthologien, Illustration, Fingierte Druckorte, Verbotene Bücher, Personal- und Werkbibliographien, Einzelne Sachgebiete), Kataloge (mit den Untergruppen: Gesamtkataloge, Kataloge einzelner [öffentlicher] Bibliotheken, Privatbibliotheken), Verlags- und Buchhandelsverzeichnisse. Den Abschluß bildet ein Kapitel Sittengeschichte, das mehr als Appendix gedacht ist. Haben die Autoren schon wegen des Mangels an Bibliographien im engeren Sinne eine größere Anzahl sonstiger Nachschlagewerke unter bibliographischem Aspekt behandelt, so erschien ihnen auch das Genre Sittengeschichte, das seit der Jahrhundertwende in Deutschland eine Büte erlebte, so ergiebig, daß sie die wichtigsten, allerdings ohne Annotation verzeichneten. Auch hier gibt es eine Untergliederung je nach thematischem oder regionalem Bezug.

Die Annotationen sind nicht nur deskriptiv, sondern auch wertend und kritisch. Von größeren oder allgemeineren Werken wird jeweils der Teil nachgewiesen, der für das Thema relevant ist. Zahlreiche Verweisungen stellen Zusammenhänge zwischen Titeln und Inhalten her. Neben gedruckten Werken werden in geringem Maße auch Manuskripte behandelt; es handelt sich dabei um Titel, die teils in der Literatur schon erwähnt wurden und die den Verfassern offensichtlich wenigstens auszugsweise vorlagen. So Nr. 21, ein über 2.000 Seiten umfassendes Manuskript einer Bibliographie zur Sexualwissenschaft von Alan Hull Walton, das sich nach dem Tode des Autors im Besitz des inzwischen ebenfalls verstorbenen Verlegers Skilton befand. Eine Seite daraus ist abgebildet.

Der Band bietet eine ganze Reihe von Trouvaillen, die neue Informationen bringen und teils bisherige Meinungen revidieren.

So galt es bisher als akzeptiert[2] daß Alfred N. Gotendorf die Veröffentlichung der Bibliotheca Germanorum erotica et curiosa finanziell ermöglichte, aus welchem Grunde eben auch sein Name aufs Titelblatt gesetzt wurde, während der unermüdliche Hugo Hayn die ganze Arbeit getan hätte. Hier zeigt sich und wird durch eine Abbildung belegt, daß Gotendorf durchaus beachtliche bibliographische Beiträge geleistet hat, wie sein üppig annotiertes Handexemplar der 2. Ausg. von Hayns Bibliotheca Germanorum erotica[3] ausweist (Nr. 27).

Bérards (1783 - 1859) Catalogue de dessins, manuscrits et livres qu'on est obligé … cacher, von H. S. Ashbee in seinem Index librorum prohibitorum (S. 449 - 450) beschrieben, ist wohl seither noch nie benutzt worden. Hier wird erstmalig das Titelblatt faksimiliert (Nr. 29). Das gleiche gilt für eine umfangreiche Kompilation von Edouard Tricotel: Bibliographie érotique von 1871, von der eine Seite reproduziert ist. Besonders reizvoll sind die Bibliographical notes des Sammlers und Erotica-Autors James Campbell Reddie, dessen Sammlung und Aufzeichnungen in den Besitz von Henry Spenser Ashbee gelangten und ihm eine wertvolle Grundlage für seine drei umfassenden Erotica-Bibliographien waren.

Ein Kabinettsstück besonderer Art ist die auf S. 176 abgebildete Bücherliste des Marquis de Sade, mit der dieser von seinem Anwalt Gauffridy einen Teil seiner Bibliothek erbat.

Nun gibt es auch einen Beleg dafür, daß der Erotica-Katalog des Verlegers Joseph Schoenebeck aus Meßkirch (1921, 25 Exemplare!) tatsächlich existiert. S. 248 zeigt zwei Seiten des Kataloges mit einer handschriftlichen Bemerkung von Schoenebeck, daß er das Exemplar dem Verfasser der Geschichte der erotischen Literatur, Paul Englisch, übereignete. Weitgehend unbekannt ist auch der Katalog der Bibliothek Villalonga (Palma de Mallorca, 1923) (Abb. S.252).

Standardwerk der französischen Erotica-Bibliographie sind die Kompilationen von Jules Gay: Bibliographie des ouvrages relatifs … l'amour, aux femmes, au mariage ..., die von 1861 bis 1900 in vier Ausgaben erschien. Hier werden die 3. und 4. Ausg. zur Benutzung empfohlen - die 3. enthält mehr Material, ist aber wenig genau (so sind ausländische Titel ohne nähere Kennzeichnung ins Französische übersetzt!). Die 4. Ausg. dagegen, von J. Lemonnyer bearbeitet, hat zwar eine Menge des früheren Materials ausgesondert, ist aber in vielem verläßlicher.

Besondere Anstrengungen wurden unternommen, den Orient in die Darstellung einzubeziehen, was als Novität zu bezeichnen ist. Man hat selbst die Mühe nicht gescheut, chinesische und japanische Schriftzeichen in den Text einzusetzen, was den Wert des Buches für den Wissenschaftler erhöhen wird.

Viel Seltenes findet sich bei den Verlags- und Buchhandelskatalogen. Zumeist wurden sie nach Gebrauch fortgeworfen; Bibliotheken sammelten sie, zumindest früher, kaum, und so sind sie heute rar. Auf diesem Gebiet konnte auch die vorliegende Bibliographie am wenigsten Vollständigkeit erreichen.

Das Werk hat einige Anhänge: zunächst eine Liste von sieben Titeln, die bei Redaktionsschluß veröffentlichungsbereit waren. Davon sind inzwischen die folgenden erschienen: die Bibliographie der viktorianischen Erotica von Peter Mendes (IFB 95-1-018), zwei Bände aus der Reihe Arcana bibliographica[4] und die Bibliotheca erotica von José Antonio Cerézo (IFB 95-1-017). Zu erwarten sind noch eine Bibliographie des Gala-Verlags, eine Bibliographie der Aloisia Sigaea (Meursius/Chorier) und die Edition der Bibliographical notes von Campbell Reddie. Des weiteren gibt der Anhang eine Aufschlüsselung der Anthologie Erotische Fantasien von Eberhard und Phyllis Kronhausen, weil darin eine Anzahl wichtiger Texte (mit Kommentaren) einem breiten Kreis zugänglich gemacht worden ist. Der Briefwechsel zwischen dem Bibliographen Alfred Rose und dem Verleger George Redway belegt eindeutig die Autorschaft der Bibliotheca arcana, während das Vorwort zu einer anderen, bislang nicht veröffentlichten Bibliographie Catalogus librorum prohibitorum britannica [!], or The library of Venus des Kanadiers Lawrence Forster, ("Brussels", 1913) etwas mehr Licht auf dieses wichtige Werk wirft.

Auch bei den Illustrationen befindet sich, wie erwähnt, allerlei Interessantes. Besonders die Farbtafeln sind stark erotisch, aber von künstlerischer Qualität. So zeigt ein Frontispiz von Paul-Emile Bécat zu den Oeuvres libres von Paul Verlaine (Brüssel, 1948) ein Porträt Verlaines als Teil einer erotischen Szene. Edouard Chimot zeichnete auf Vortitel und Titel von Pierre Louys' Roman Trois filles de leur mŠre die Heldinnen der Geschichte, einmal bekleidet, einmal unbekleidet. Ein Einband der Erstausgabe von Verlaines Femmes von George Miller darf als besonders gelungen gelten. Aber auch der nur mit einem einfachen Design geschmückte Einband der Bibliotheca scatalogica ist dem Thema angemessen, während ein Aquarell von Martin van Maele in Sens devant derriŠre par le prince de [Ligne] (Brüssel, 1867) den talentierten Zeichner von einer neuen Seite zeigt. Dokumentarischen Wert haben einzelne Photos, wie Porträts der Bibliographen Jacques Duprilot und J. Rund und der Künstler Marcel VertŠs und Franz von Bayros, des Verlegers Pauvert und des Schriftstellers Sacher-Masoch.

Satzfehler wurden bei der Durchsicht nicht festgestellt; desgleichen, ungewöhnlich wie es ist, keine offensichtlichen Fehler und Unrichtigkeiten. Der Band ist außerordentlich solide ausgestattet, Typographie und Druck sind vorzüglich. Zweifellos ein Meilenstein der Bibliographie![5]

Hartmut Walravens


[1]
Catalogi librorum eroticorum : a critical bibliography of erotic bibliographies and book-catalogues / comp. by Terence J. Deakin. - London : Woolf, 1964. - XII, 28 S. (zurück)
[2]
Nach Paul Englisch in: Zeitschrift für Bücherfreunde. - 3 (1932),1, S. 61. (zurück)
[3]
Leipzig 1885, erschienen bei Unflad [kein Pseudonym!]. (zurück)
[4]
Kleinere Schriften zur erotischen Literatur und Bibliographie / Paul Englisch. Mit einem Schriftenverzeichnis und Register / hrsg. von Dorothea Amberg. - Berlin : Bell, 1992. - 372 S. : Ill. - (Arcana bibliographica ; 5). - ISBN 3-923308-38-8 : DM 85.00
Zeitschriften zur erotischen Literatur und zur Sexualwissenschaft : Blätter für Bibliophilen, Der Venustempel, Die Aufklärung, Zeitschrift für Sexualwissenschaft, Kryptadia, Anthropophyteia ; eine Inhaltsbibliographie / von Ralf Liebers. - Berlin : Bell, 1991 [1992]. - 233 S. - (Arcana bibliographica ; 10). - ISBN 3-923308-65-5 : DM 55.00 (zurück)
[5]
So bleibt nur, einige Ergänzungen nachzutragen, da ja keine Bibliographie vollständig ist:
Eightheenth century English libertine literature : a catalogue of curiosa, with some dissuasives thereto. - London : Stuart Bennett, 1984. - [90] S. ; 50 Nummern, 37 ganzseitige Ill. - (Catalogue ; 9)
Caxton Head bulletin. - London : James Tregaskis. - 8ø - Nr. 15 [um 1935]. 1. John Wilkes. 2. English literature. - 21 S. - Die Wilkes-Titel stammen aus der Sammlung Alfred Rose.
Impressions, publications, écrits d'Auguste Poulet-Malassis, classés selon l'ordre chronologique / Jean-Jacques Launay. // In : Bulletin du bibliophile. - 1979, S. 378 - 397, 520 - 531; 1980, S. 185 - 219, 487 - 502 ; 1981, S. 342 - 365; 1982, S. 81 - 106, 185 - 208, 547 - 556.
Zu Nr. 316: Das Supplement zu O. Delepierres Macaronéana erschien auch getrennt als Macaronéana andra. - London : Trübner, 1862. - 179 S. - 250 Exemplare.
Zu 365: Ein zweiter Teil des Versteigerungskatalogs Tage Bull erschien in kleinerem Format: Vente publique, mai 21-23, 1962. E. A. Collection du feu Tage Bull, Copenhague, Ministre plénipotentiare du Danemarc. - (2e partie). Littérature, livres illustrés, livres rares, ... - Amsterdam : Internationaal Antiquariaat Menno Hertzberger, 1962. - 80 S. - 1185 Nummern. - Nr. 631 -798: Littérature fran‡aise, littérature badine; Nr. 799 - 840: Casanova.
Curiosa and amatory. - New York : Argosy Book Stores [1953?]. - 23 S. (Catalog ; 379). - 57 Nummern.
Essais bibliographiques sur deux ouvrages intitulés De l'utilité de la flagellation, par J[ohann] H[einrich] Meibomius, et du Traité du fouet de F[ran‡ois] A[médée] Doppet / par Viest Lainopts [Vital Puissant, 1835 - 1878], bibliophile. Ouvrage orné du fac-simile du joli frontispice de l'édition de La Flagellation, Paris, 1795. - Paris : Paul Daffis ; London : Job-Alex. Hooggs, 1875. - 35 S. - 150 Exemplare. - Vgl.: Ashbee: Centuria, 493; Hayn-Gotendorf, 2, 299.
Giacomo Casanova und seine Zeit : Bücher, Autographen, Porträts. - Basel : Henning Oppermann, [o.J.] - (Katalog ; 433). - Vgl. Rives Childs, Nr. 757.
Erotica paperbacks. - St.-Lambert, Québec ; Champlain, NY: Normand Houde, 1991.
Einige weitere Ergänzungen bringt die Rezension von Wolfram Körner in: Marginalien. - 1994,1 = Nr. 133, S. 102 - 103. (zurück)

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