Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
[ Bestand in K10plus ]

Encyclopedia of recorded sound in the United States


94-3/4-521
Encyclopedia of recorded sound in the United States / Guy A. Marco, ed. Frank Andrews, contributing ed. - New York ; London : Garland, 1993. - XLIX, 910 S. ; 27 cm. - (Garland reference library of the humanities ; 936). - ISBN 0-8240-4782-6 : $ 125.00
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Die Art und Weise, wie die Industriegesellschaft ihre eigene Geschichte schreibt oder - viel öfter - nicht schreibt, bedarf sicherlich noch wissenschaftlicher Untersuchungen. Analytische Geschichtsschreibung und industrieller, technologischer Wandel scheinen einander eher auszuschließen als zu ergänzen. "Es ist, als hätte die Industrie kein Gedächtnis".[1] Insbesondere die Computer- und Medienindustrie lebt vom kurzen Gedächtnis ihrer Konsumenten und hat kein Interesse daran, daß ihre Marktstrategien und die mehrfache Vermarktung "alter" Ideen und Konzepte sofort durchschaut oder durch aktuelle, analytische Nachschlagewerke schnell durchschaubar wird.

Das gleiche gilt für die Unterhaltungs- und Schallplattenindustrie, die ohne die technischen Errungenschaften eines Thomas A. Edison des Jahres 1877 und die dann folgenden Weiterentwicklungen und Diversifikationen kaum einen solchen Boom hätte erleben können und die im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu den stärksten und einflußreichsten Industrien neben der Automobilindustrie, der Rüstungsindustrie und der Energieindustrie zählt. Kaum waren die technischen Voraussetzungen geschaffen, Tondokumente herzustellen, zu vertreiben und zu archivieren, schossen die Plattenfirmen und Vertriebs- und Marketinggesellschaften wie Pilze aus dem Boden. Eine immer größer werdende Zahl von Tonträgerprodukten bis hin zur noch relativ neuen CD ließ Schallplattenkataloge, Diskographien und Handelsverzeichnisse und die ständig zunehmende Zahl der Plattenfirmen und der Trend zu independent labels Adressenverzeichnisse und Labelverzeichnisse und -diskographien entstehen. Die Weiterentwicklungen auf technischem Gebiet führten zu elektro- und nachrichtentechnischen Nachschlagewerken. Populäre Musiker, Popstars des Rock'n'Roll wurden mit Fanclubs und deren Fanzines sowie mit zahllosen Musikzeitschriften bedacht. Sobald ein Rockmusiker oder eine Band eine neue LP/CD auf den Markt bringt, kann er/sie davon ausgehen, daß in jeder Zeitschrift ein Artikel steht - auch wenn nur die Produktinfos der Plattenfirma abgedruckt werden. Alles eine Fundgrube für Industriearchäologen!

Es gibt jedoch kaum ein Nachschlagewerk, das alle diese verschiedenen und weitere Aspekte und Facetten sinnvoll zusammenfaßte. Guy A. Marco[2] hat zusammen mit Frank Andrews diesen Versuch unternommen. Es ist der dritte Anlauf des Autors, jedoch der erste publizierte. Da er mit den beiden ersten Versuchen an der Breite des Gebietes gescheitert ist, konzentriert er sich mit seinem dritten - hier vorgestellten - ausschließlich auf "sound recording in the United States up to about 1970". In der Enzyklopädie findet man demnach sehr unterschiedliche Artikel: Plattenfirmen (A & M Records, Atlantic, EMI, Columbia), Sachbegriffe (A & R Amplifier, Cylinder, Rhythm And Blues Recording), Elektronikfirmen (A & R Cambridge), Länder (Australia, Canada), Studios (Abbey Road Studios), Körperschaften (American Federation of Musicians of the United States and Canada, AFM) sowie eine breite Palette von Personennamen, die von der klassischen Musik über Popmusik, Rock, Soul und Blues bis zum Jazz reicht.

Hier setzt die Kritik an der Enzyklopädie ein. Der Versuch, alles unterzubringen und anzusprechen führt zu einem alphabetischen Allerlei und sehr unterschiedlicher Ausführlichkeit und Informationsdichte der Artikel. Man vermutet das Motto: Hauptsache, der Begriff ist im Lexikon, egal was dort steht.[3] Ob die Aufführung von Jazzmusikern und Persönlichkeiten der klassischen Musik wirklich sinnvoll ist, kann man bezweifeln, findet man doch in einem Jazz- oder Popmusiklexikon oder in einer Diskographie alles besser und bedeutend ausführlicher, zumal die Auswahl der Musiker überaus subjektiv ist. Bedauerlicherweise fehlt auch die AACM (Association for the Advancement of Creative Musicians), die für Plattenveröffentlichungen zahlreicher schwarzer Musiker außerordentlich viel geleistet hat.

Wer Kritisches über Plattenfirmen, deren wirtschaftliche Verflechtungen und Korruptionsaffären sucht, wird ebenfalls enttäuscht. Die Artikel über EMI, Columbia (CBS), Sony oder Warner Communications etwa sind eher deskriptiv als kritisch aufschlußreich.

Dem Titel des Werkes eher gerecht werden umfangreiche, über mehrere Seiten gehende Artikel wie z.B. Canada (mit einer Übersicht über kanadische Labels), Cylinder, Disc, Discography, Folk Music Recordings, Country and Western Music Recordings, Opera Recordings, Jazz Recordings, Piano Recordings, Rock Music Recordings, Orchestra Recordings und Rhythm And Blues Recordings. Eine ausführliche internationale Bibliographie mit 565 Titeln enthält der Beitrag Sound Recording Periodicals; ebenso interessant: Sonic Restoration of Historical Recordings, Preservation of Sound Recordings und Pseudonyms.

Es bleibt, dem Werk eine überarbeitete, zweite (genau genommen, vierte) Auflage zu wünschen.

Bernhard Hefele


[1]
So der Medienwissenschaftler Bill Dutton über die Medienindustrie in: Focus. - 1994,20, S. 162. (zurück)
[2]
Er ist den Lesern von ABUN vor allem bekannt durch den folgenden Führer zu Nachschlagewerken der Musik, der, ganz breit angelegt, leider nicht über Bd. 3 hinausgekommen ist: Information on music : a handbook of reference sources in European languages / Guy A. Marco. - Littleton, Colo. : Libraries Unlimited. - 25 cm. [0934]. - 1 (1975) - 3 (1984). - Vgl. zuletzt ABUN in ZfBB 32 (1985),1, S. 84 - 86. (zurück)
[3]
Ein Artikel wie der folgende dürfte bei einer Beschränkung auf USA eigentlich gar nicht enthalten sein: "Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA). A German performing rights organization, operating (under various names) from 1903." - Über die GEMA gäbe es bestimmt mehr zu schreiben als diese banale Namenserklärung. (Dasselbe gilt z.B. für die Artikel BASF und AEG). Der Artikel über das amerikanische Pendant ASCAP ist übrigens nicht wesentlich informativer. (zurück)

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