Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
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Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik


94-3/4-497
Reclams Führer zu den Denkmalen der Industrie und Technik in Deutschland / von Volker Rödel. - Stuttgart : Reclam. - 22 cm
[1453]
Bd. 1. Alte Länder. - Mit 93 Fotos sowie Rissen und Plänen. - 1992. - 381 S. - ISBN 3-15-010376-2 : DM 89.00

Dem veränderten bzw. erweiterten Denkmalverständnis trägt auch der Reclam-Verlag, jedem Kunst-Reisenden durch die Reclam-Kunstführer vertraut, Rechnung, indem er - vorerst für Deutschland - einen auf zwei Bände angelegten Führer zu Technik- und Industriedenkmälern vorlegt, dessen Band 1 die alten Bundesländer behandelt und dessen Band 2 für die neuen Bundesländer und für Berlin in Vorbereitung ist.

Das Ziel dieses Unternehmens sieht Volker Rödel, Autor des ersten Bandes und Konservator am Denkmalamt der Stadt Frankfurt, zweifach: einmal soll die Publikation der "Heranführung interessierter Laien an eine bislang allgemein wenig beachtete Materie" dienen, zum anderen aber auch "als Modell einer Art Schnellinventar für die Gattung 'Technische Denkmale' verstanden werden" (S. 10). Grundlage für die 'Datenzusammenstellung' waren insbesondere die deutschsprachigen Bauzeitschriften des Zeitraums 1841 - 1930; damit wird bereits eine Schwerpunktbildung bei jenen Objekten angedeutet, die seit dem Zeitalter der industriellen Revolution entstanden sind, unter Vernachlässigung technikgeschichtlicher Zeugnisse vorindustrieller Arbeits- und Wirtschaftsformen. 1988 - 1990 wurden dann die besprochenen Objekte bereist, so daß bis zu diesem Zeitpunkt die Situationsbeschreibung als durch Autopsie gesichert gelten kann. Die definitive Auswahl der Objekte für den vorliegenden Band orientierte sich schließlich aber nicht an Denkmallisten der Bundesländer oder an der Postulierung der Denkmalwürdigkeit, sondern blieb - fußend auf Literaturinformation und Anschauung - letztlich subjektiv; der Autor weist im Vorwort ausdrücklich darauf hin und entzieht damit seine Zusammenstellung von vornherein in diesem Punkt der Kritik.

In einem einführenden Kapitel gibt Rödel einen knappen Überblick über die Geschichte der "Industriedenkmalpflege" in Deutschland; die folgende, sich an gebräuchlichen Klassifikationen technischer und industrieller Denkmale orientierende typologische Kurzdarstellung umfaßt präliminare Ausführungen und historische Abrisse zu den Bereichen Rohstoffindustrie, Massengüterindustrie, Weiterverarbeitende Industrie, Öffentliche Versorgung und Entsorgung, Kraftquellen und Primärmaschinen und Beförderung. Ein knappes Glossar (überwiegend zur Industriearchitektur) und eine Chronologie wichtiger Objekte nach Gattungen und gegebenenfalls weiter differenziert nach besonderen Bautypen ergänzen als Anhang die sachthematischen Informationen. Den Hauptteil des Führers stellen die im Ortsalphabet geordneten Objektbeschreibungen dar; Kartenmaterial, zusätzliche Namens- und Ortskurzregister erleichtern den Zugriff. Auf eine übergreifende Bibliographie wurde verzichtet. Spezielle Literaturhinweise finden sich allenfalls in Kurzform am Ende der jeweiligen Ortseinträge; nicht immer ist jedoch dabei zu ersehen, auf welche Objekte eines Ortes sich die Angaben beziehen. Allerdings sind diese Hinweise wohl weniger als weiterführende Literaturhilfen gedacht denn als kurze absichernde Quellenangabe ohne besonderen Nutzen für den "interessierten Laien".

Die Ortseinträge werden begleitet von Kurzindikationen zur geographischen Lokalisation; ein Übersichtsplan zum leichteren Auffinden der beschriebenen Objekte am Ort selbst fehlt: Straßenangaben müssen genügen. Die Objektbeschreibungen folgen im einzelnen keinem erkennbaren Ordnungsprinzip; besonders wichtige Objekte aus der Sicht des Verfassers werden mit einem Punkt markiert. Abbildungsmaterial ist insgesamt spärlich gestreut; den Wert einer auch photographischen Dokumentation wenigstens aller als besonders bedeutend hervorgehobenen Objekte kann die Publikation nicht beanspruchen.[1] Da auch das Auswahlprinzip für die Objekte bewußt als subjektiv bezeichnet wird, ist eine Bewertung hier schwierig. Zieht man etwa für den Eintrag Stuttgart in der Sparte Fabrikbauten zum Vergleich die Dissertation von Gabriele Kreuzberger[2] hinzu, die über 60 Einzelbeschreibungen bietet, so beschränkt sich Rödel demgegenüber auf die Nennung eines einzigen Fabrikbaus: den der Firma Robert Bosch. Diese deutliche Reduktion beruht nicht nur darauf, daß nicht mehr alle von Kreuzberger beschriebenen Bauten (in der ursprünglichen Form) erhalten sind, sondern mag teilweise durch Rödels Quellenwahl bedingt sein, bzw. sich auch (mit Blick auf den Laien) am Bekanntheitsgrad der Objekte und der mit ihnen verbundenen Namen orientieren.[3] Tendenziell wird jedoch (zielgruppenadäquat) eine Bevorzugung "offensichtlicher" Einzelobjekte (Brücken, Wassertürme, Bahnhöfe etc.) deutlich. Will man Tiefe und Vollständigkeit einzelner Beschreibungen ergründen, so ist dies nur im Vergleich zu jeweiligen Einzeldarstellungen möglich. Im Fall zweier saarländischer Eisenhüttenwerke, dem Neunkircher Eisenwerk und der Völklinger Eisenhütte, wird z.B. deutlich, daß für die Einträge bei Rödel - nach den Gründungsdaten - die Beschreibung des Ist-Zustands im Vordergrund steht, während die Ausführungen zur Unternehmensgeschichte, zu Zwischenstadien etc. äußerst gestrafft sind. Auch nicht unwesentliche Aspekte wie etwa die 1984 erfolgte Ausweisung des Neunkircher Eisenwerks als Denkmalensemble fehlen (erklärtermaßen) bei Rödel ebenso wie der für Laien vielleicht nützliche, wenn auch eher plakative Hinweis auf den Status des "ältesten Hüttenwerks an der Saar".[4]

Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß Rödel mit diesem (allerdings oberhalb der für Reiseführer üblichen Preisgrenze liegenden) Band eines der genannten Ziele, nämlich den interessierten Laien an die Industrie- und Technikdenkmäler heranzuführen, in pragmatischer Weise gelöst und erreicht hat. Nicht immer über jeden Zweifel erhaben erscheint dagegen die Einlösung des Anspruchs, gleichzeitig mit diesem Führer ein Modell der Schnellinventarisierung vorgelegt zu haben. Mit Blick auf eine teilweise divergierende Diskussion um Definition und Kriterien der Erfassung und Bewertung von Technik- und Industriedenkmälern vermag dies allerdings auch nicht zu verwundern.[5] Gleichwohl kommt der Publikation eine über den "Laien-Führer" hinausreichende Bedeutung zu: Solange Publikationen überwiegend nur zu einzelnen Gattungen, einzelnen Typen von Technik- und Industriebauten oder nur zu einzelnen Orten oder Regionen vorgelegt werden und Großunternehmen wie die Denkmaltopographie der Bundesrepublik Deutschland nicht gezielt Technik- und Industriedenkmale berücksichtigt (und vom Konzept und Umfang her auch kaum kann), ein paralleles Unternehmen für diesen Bereich aber noch aussteht, solange wird als Einstiegsüberblick für Deutschland Reclams Führer zu den Technik- und Industriedenkmalen kompensatorisch Teile dieser Lücke schließen müssen.

Angela Karasch


[1]
Von allgemeinem Interesse kann hier ein Hinweis auf die aus künstlerischem Blickwinkel entstandene, typologisch ausgerichtete "Inventarisierung" von Industriedenkmälern wie Wassertürmen, Gasbehältern, Fördertürmen, Hochöfen u.a. durch Bernd und Hilla Becher sein, von denen nur ein Titel angeführt sei: Wassertürme / Bernd und Hilla Becher. - München : Schirmer-Mosel, 1988. - 9, 223 S. : überw. Ill. - ISBN 3-88814-255-5. (zurück)
[2]
Fabrikbauten in Stuttgart : ihre Entwicklung von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg / Gabriele Kreuzberger. - Stuttgart : Klett-Cotta, 1993. - 432 S. : Ill. - (Veröffentlichungen des Archivs der Stadt Stuttgart ; 59). - Zugl.: Stuttgart, Univ., Diss., 1992.- ISBN 3-608-91629-6. (zurück)
[3]
Eine vergleichbare Reduzierung findet auch dort statt, wo Rödel auf eigene umfangreiche Recherchen zurückgreifen kann: Fabrikarchitektur in Frankfurt am Main 1774 - 1924 : die Geschichte der Industrialisierung im 19. Jahrhundert / Volker Rödel. - Frankfurt (Main) [u.a.] : Societäts-Verlag, 1986. - 645 S. : Ill. - (Frankfurt am Main, Beiträge zur Stadtentwicklung). - Zugl.: Darmstadt, TH, Diss., 1985. - ISBN 3-7973-0435-8. (zurück)
[4]
Zum Vergleich wurde der folgende Beitrag herangezogen: Neunkirchen und Völklingen : zwei Fallbeispiele saarländischer Denkmäler der Eisenverhüttung / Georg Skalecki. // In: Deutsche Kunst und Denkmalpflege. - 48 (1990), S. 106 - 114. (zurück)
[5]
Vgl. hierzu allgemein: Erfassung und Bewertung von Objekten der Technikgeschichte : Wege zu einer technikhistorischen Quellenkunde / Hans Peter Münzenmayer. // In: Denkmalpflege in Baden-Württemberg. - 19 (1990), S. 156 - 161. Ferner die Beiträge in Deutsche Kunst und Denkmalpflege. - 48 (1990) zur Situation in den alten (S. 122 - 133) und in den neuen Bundesländern (S. 134 - 138) sowie den grundsätzlichen Beitrag (S. 139 - 143) von Wolfgang Brönner Industriedenkmäler - eine eigenständige Denkmalgattung? (zurück)

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