Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
[ Bestand in K10plus ]

Slawistik in Deutschland


94-3/4-425
Slawistik in Deutschland : von den Anfängen bis 1945 ; ein biographisches Lexikon / [hrsg. von: Ernst Eichler (Leiter)]. - 1. Aufl. - Bautzen : Domowina-Verlag, 1993. - 520 S. ; 20 cm. - ISBN 3-7420-1538-9 : DM 49.00
[1971]

Dieses für Bibliothekare, Archivare und nicht zuletzt Institute verschiedener Disziplinen hochwillkommene bio-bibliographische Nachschlagewerk gleicht in Titel und Konzeption dem monumentalen Werk des hier nur als weiterer Mitherausgeber fungierenden Wilhelm Zeil: Slawistik in Deutschland[1]. Zeil hat denn auch das Gros, 85 der insgesamt 403 Artikel (einschließlich der Mitarbeit an 7 Artikeln) verfaßt; von Zeils Frau Liane stammen noch einmal 6 Beiträge. Den gesamten, sehr zu begrüßenden Anhang über die deutsche Universität in Prag (9 Artikel) hat Zeil allein geschrieben. Der Leiter des Unternehmens, der Leipziger Sprachforscher und Wissenschaftshistoriker Ernst Eichler hat 8, meist kleinere Beiträge beigesteuert. Treffliche Artikel stammen von Pohrt (13), Dudek (4), Gutschmidt (2).

Die Konzeption des Lexikons ist, wie ein anderer Rezensent[2] schon angemerkt hat, "begrüßenswert breit". Es sind nicht nur Philologen, dazu Historiker berücksichtigt, sondern auch Philosophen, Übersetzer, Journalisten, Schriftsteller, dies alles bis zurück ins 16. Jahrhundert. Die obere Zeitgrenze - 1945 - ist so aufgefaßt, daß noch mit aufgenommen ist, wer schon vor diesem Jahr publiziert hat.

Da Röhling bereits die starken Vorzüge und die wenigen Mängel erwähnt hat, braucht man hier nur Einiges zu ergänzen. Zunächst Fehlendes. Fast die ganze Vasmerschule ist vertreten, dazu Koschmieder mit seinen älteren Schülern. Tschizewskij hätte in der alten DDR kaum Aufnahme finden können. Aber auch jetzt ist seine gesamte Nachkriegstätigkeit in Westdeutschland mit nur zwei Zeilen abgetan. Hängt es damit zusammen, daß sein bedeutendster Schüler, Dietrich Gerhardt, fehlt? Unter den Journalisten fehlt Arthur Just, unter den Übersetzern Alfred Kurella und vor allem Erich Müller-Kamp, unter den Historikern Fritz Epstein, unter den Schriftstellern Leopold v. Sacher-Masoch, Leopold Kompert, Emil Franzos, ja darüber hinaus fast die ganze deutsche Literatur aus dem alten Österreich, besonders den böhmischen Ländern, soweit ihre Autoren sich mit den slawischen Hauptvölkern, unter denen sie lebten, sichtlich befaßt haben, Marie v. Ebner-Eschenbach, Adalbert Stifter, Ferdinand v. Saar, um nur drei ganz große zu nennen. Wenn andererseits Rilke wegen seiner russischen Interessen aufgenommen ist, so ist dieser Hinweis nicht überflüssig. Denn man erkennt daran, daß die Konzeption einseitig russozentrisch ist, Slawistik eben im alten DDR-Verständnis. Dabei ist zwar alles Sorbische voll eingeschlossen, Vieles zu Polen, aber wenig zum Südslawischen, und wie bei dieser veralteten Konzeption üblich, bleiben die nächsten Nachbarn der Deutschen, die Tschechen im Dunkeln.

Andererseits ist manchmal des Guten zu viel getan. Georg Brandes war Däne und gehört wirklich nicht in die Slawistik in Deutschland; desgleichen nicht Kopiewicz: er war Pole und hat nicht deutsch geschrieben; wäre es da nicht richtiger gewesen, Dobrovsky aufzunehmen? Immerhin findet man Purkyne, den Baron Sternberg aber wieder nicht, und neben Jakob Grimm und Thomas Mann hätten Hamann und Goethe, gewiß auch Schiller Aufnahme verdient. Dafür findet man Rosa Luxemburg (auch sie doch wohl Polin), Clara Zetkin und Franz Mehring - aber können sie denn wirklich zum Stichwort Slawistik etwas beitragen? Diese Artikel stammen von Michael Wegner. Es wundert, wenn man schon sie und dazu Erich Weinert aufgenommen hat, warum denn dann nicht z.B. auch Arnold Zweig?

Man möge es nun nicht als Beckmesserei ansehen, wenn man sich auch noch darüber wundert, wie ungeniert für die Zeit vor 1945 von Gdansk und Wroclaw geredet wird. Daß nach Schrägstrich die deutsche Namensform auftaucht, macht die Sache eher schlimmer, so als ob die Städte auch früher schon wie heute polnisch gewesen seien und man den Deutschsprachigen ein Zugeständnis mit dieser Schrägstrichform machen müsse. Unerträglich aber ist die Gängelei des Lesers, wenn man ihn darauf hinweisen zu müssen glaubt, daß jemand "deutschnationale" Ansichten gehabt habe. Wollen wir das wirklich fortsetzen und jedesmal hinzufügen, jemand sei nicht frei von sozialistischen Anschauungen? Freilich ist Derartiges wohl abhängig von den jeweiligen Autoren.

Alles Vorgebrachte kann leicht redaktionell geändert werden, und für neue Auflagen, die wohl schon in Aussicht genommen sind, wurde das hier erwähnt. Ganz im Vordergrund aber muß der überwiegend positive Gesamteindruck stehen.

Nur sei die Anmerkung schließlich erlaubt: Slawistik ist eben nicht eine wissenschaftliche Disziplin der Philologie, vielleicht noch der Geschichte. Es ist vielmehr eine Dokumentation jeglicher Beschäftigung von Deutschen mit ihren östlichen Nachbarn, und das macht das Buch unentbehrlich.

Hans Rothe


[1]
Slawistik in Deutschland : Forschungen und Informationen über die Sprachen, Literaturen und Volkskulturen slawischer Völker bis 1945 / von Wilhelm Zeil. - Köln [u.a.] : Böhlau, 1994. - X, 606 S. - (Bausteine zur slavischen Philologie und Kulturgeschichte : Reihe A, Slavistische Forschungen ; N.F. 9 = 69). - ISBN 3-412-11993-8 : DM 248.00. (zurück)
[2]
Horst Röhling in: Mitteilungsblatt des Verbandes der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen. - 44 (1994),2, S. 272 - 273. (zurück)

Zurück an den Bildanfang