Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 2
[ Bestand in K10plus ]

International encylopedia of linguistics


94-2-268
International encylopedia of linguistics / William Bright, ed. in chief. - New York, NY ; Oxford : Oxford University Press, 1992. - Vol. 1 - 4 ; 29 cm. - ISBN 0-19-505196-3 (set) : œ 225.00
[2243]

Zielgruppe der vorliegenden Enzyklopädie - für die der Herausgeber den Zitiertitel IEL empfiehlt - sind Studenten und Dozenten der Linguistik und benachbarter Disziplinen, Adressaten, deren Orientierung "academic and professional, but interdisciplinary" sein möge (Einleitung, S. IX - XII, Zitat S. IX). Unter besonderer Berücksichtigung der "interrelations within branches of linguistics" möchte man "the full range of linguistics" abdecken, "including descriptive, historical, comparative, typological, functionalist, and formalist specialities." Um dem - in nahezu allen neueren Enzyklopädien zur Linguistik explizit oder implizit geäußerten - Wunsch nach Interdisziplinarität[1] gerecht zu werden, sollen überdies "areas of intersection with the social and behavioral sciences (such as ethnolinguistics, sociolinguistics, and psycholinguistics)" eine ebenso große Beachtung finden wie "interdisciplinary work in language and literature, language and philosophy, mathematical linguistics, computational linguistics, and applied linguistics, in particular as concerned with language education" (S. IX).

Die angestrebte Inklusivität, Offenheit und Interdisziplinarität des Nachschlagewerkes reicht jedoch bei weitem nicht an die vorbildlichen Standards heran, die inzwischen mit der gerade besprochenen Encyclopedia of language and linguistics (ELL) erreicht worden sind. U. a. ist die Schnittstelle zwischen Linguistik und Philosophie in der IEL schlechter besetzt als in der ELL; traditionelle, von der Semantik gepflegte Themen haben hier eindeutigen Vorrang. So findet sich etwa ein Artikel zur Kategorie der Temporality, doch fehlen beispielsweise Eintragungen zu A priori, Epistemology und Quantity. Ebenfalls nicht vorhanden sind hier - wiederum im Unterschied zur ELL - viele kommunikations- und medienwissenschaftlich relevante Artikel wie Comics, Film und Printing, history of. Dem von nahezu allen zeitgenössischen linguistischen Enzyklopädien - besonders im MLS - stark berücksichtigten Paradigma der "Materialität" und "Medialität" der Kommunikation wird somit nur unzureichende Aufmerksamkeit geschenkt. Auch die im Vorwort angekündigte Orientierung an der International encyclopedia of the social sciences[2] nur in den wenigsten Artikeln nieder. Immerhin zeigt sich zumindest ein erfreuliches, heute aber auch mit Recht zu erwartendes Bemühen um die anthropologische Konturierung linguistischer Positionen und Sachverhalte (dies ist besonders ausgepägt im MLS und in der IEL); dennoch kommt man aber kaum umhin, IEL eine gewisse Profillosigkeit vorzuwerfen.

Neben linguistischen Sachwörtern finden sich biographische Artikel und - einem Trend der zeitgenösischen linguistischen Lexikographie folgend - Beiträge zu einzelnen Sprachen, Sprachgruppen und -familien.[3] Als gravierendstes Defizit erweist sich hierbei ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen den oft äußerst knapp gehaltenen Artikeln zu linguistischen Termini - die, so gehaltvoll sie im Einzelfall auch sein mögen, den Informationsstandard eines Sachwörterbuchs in der Regel kaum übertreffen - und den deutlich umfangreicheren Beiträgen zu den Sprachen, Sprachgruppen und -familien. Nicht selten scheint man - entgegen den durch den Titel der IEL geweckten Erwartungen - sogar geneigt, eher von einer "Enzyklopädie der Sprachen" als von einer "Enzyklopädie der Linguistik" sprechen zu wollen. Beispiele: Adjectives und Questions werden mit jeweils etwa einer Seite bedacht, der Artikel Basque hingegen umfaßt 7, der Beitrag German nahezu 8 Seiten. Der Artikel Case, in dem auch noch die Kasusgrammatik behandelt wird, umfaßt gerade 1 Seite; zum Vergleich: Die ELL enthält einen eigenen Artikel Case grammar von 11 Seiten.

Den informativen, mit instruktiven Sprachkarten illustrierten Artikeln über Sprachfamilien sind überdies sog. Language lists beigefügt, die zu allen Sprachen der jeweiligen Familie in kurzer Form "geographical, statistical, nomenclatural, and sociolinguistic information" (S. XII) bieten. Im Fall der Berber languages beispielsweise umfaßt die Language list 32, im Fall der Pidgins and creoles 71 Eintragungen. IEL will erreichen, "that data are available for all living languages of the world, as well as for a selection of extinct languages" (S. XII).

Die Auswahl derjenigen Linguisten, die mit einem biographischen Artikel gewürdigt werden, ist kaum nachvollziehbar. Wenn laut Auswahlkriterium nur ausgewiesene Forscher mit paradigmatischem Anspruch, zudem allesamt Verstorbene, mit einem eigenen Artikel bedacht werden sollen, ist es dem Enzyklopädie-Nutzer kaum zu vermitteln, daß etwa Roman Jakobson und Edward Sapir einen eigenen Artikel erhalten, nicht aber Ferdinand de Saussure, der, wie andere Sprachwissenschaftler auch, in einem anderen, nicht-biographischen Artikel, in einem größeren wissenschaftshistoriographischen Kontext gewürdigt wird (im Falle Saussures innerhalb des Artikels History of linguistics, im Abschnitt Early structuralism).

Die bis auf wenige Ausnahmen gezeichneten, von insgesamt mehr als 400 Autoren verfaßten Artikel sind alphabetisch geordnet; in einigen Fällen gibt es composite entries (Beispiel Morphology: an overview, Morphology: morphological typology, Morphology: morphology and phonology, Morphology: morphology and syntax). Ein effizientes Netz von Verweisungen stellt die für ein alphabetisch organisiertes Nachschlagewerk notwendigen Beziehungen zwischen den einzelnen Artikeln her und dient der kontextstiftenden Orientierung und Wissensorganisation. Die Artikel des zweispaltig gedruckten und optisch ansprechenden Nachschlagewerkes sind mit hilfreichen Auswahlbibliographien versehen, die auf rigoroser Selektion beruhen und lediglich grundlegende weiterführende Literatur enthalten (Beispiele: Machine translation und Address jeweils 5 Titel, Generative grammar, 8 Titel).

Weitere Informations- und zusätzliche Zugriffsmöglichkeiten eröffnet - für die rasche Konsultation gedacht und Kurzdefinzitionen bietend - das Glossary von David Crystal (Bd. 4, S. 273 - 348); es basiert auf den Dossiers zu Crystals Dictionary of linguistics and phonetics[4] und auf Definitionen der IEL-Autoren. Es folgen: Directory of contributors (S. 349 - 362), Synoptic outline of contents (S. 363 - 377) und ein - Stichproben zufolge zuverlässiger - Index (S. 379 - 482), der zugleich Namens- und Sachregister ist. Die Synoptic outline of contents enthält 1. ein alphabetisch geordnetes Verzeichnis der Topic areas (S. 363 - 368) mit den dem Sachgebiet zugewiesenen, ebenfalls alphabetisch geordneten Eintragungen, 2. eine Liste der Languages of the world (S. 368 - 372) in einem einzigen Alphabet, 3. ein Verzeichnis der Language families and areas (S. 372 - 377), "alphabetical in terms of the hierarchical language families" (S. 372).

Aufgrund der vorgetragenen Vorbehalte mag bezweifelt werden, ob sich der Wunsch des Herausgebers, mit der IEL eine Lücke zwischen dem kompakten, bündigen linguistischen Sachwörterbuch und der voluminösen Großenzyklopädie zu schließen, erfüllen mag. Wenn der finanzielle Rahmen es in irgendeiner Weise erlaubt, sollte sich jede Universalbibliothek für den Erwerb von ELL entscheiden, und zwar aufgrund des konsequenter realisierten interdisziplinären Ansatzes und der damit verbundenen ungewöhnlich großen Inklusivität von Artikeln. Der - aus dem Titel nicht erkennbare - beträchtliche Nutzen der IEL als Sprachenlexikon soll damit gleichwohl nicht in Frage gestellt werden.

Werner Bies


[1]
Vgl. z. B. das anschließend bespochene Metzler-Lexikon Sprache (MLS) oder die vorstehend rezensierte Encyclopedia of language and linguistics (ELL). (zurück)
[2]
International encyclopedia of the social sciences / ed. David L. Sills. - New York, NY : Macmillan [u.a.], 1968. - Vol. 1 - 17. (zurück)
[3]
Artikel zu Sprachen und Sprachfamilien begegnen auch in MLS, in ELL, im Lexikon der Sprachwissenschaft / Hadumod Bußmann. Unter Mithilfe und mit Beitr. von Fachkolleginnen und -kollegen. - 2., völlig neu bearb. Aufl. - Stuttgart : Kröner, 1990. - (Kröners Taschenausgabe ; 542) (vgl. ABUN in ZfBB 38 (1991),3, S. 286 - 288) und in dem anschließend besprochenen Encyclopedic dictionary of language and languages von David Crystal. (zurück)
[4]
A Dictionary of linguistics and phonetics / David Crystal. - 2. ed. - Oxford : Blackwell, 1985. (zurück)

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