Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 1
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Die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache


94-1-053
Die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache / David Crystal. Übers. und Bearb. der deutschen Ausg. von Stefan Röhrich ... - Frankfurt [u.a.] : Campus-Verlag, 1993. - IX, 478 S. ; 28 cm. - Einheitssacht.: The Cambridge encyclopedia of language <dt.>. - ISBN 3-593-34824-1 : DM 198.00, DM 168.00 (Subskr.-Pr. bis 31.12.1993)
[1819]

Die vorliegende thematisch geordnete Enzyklopädie enthält elf Hauptkapitel, die in insgesamt 65 in sich abgeschlossene Abschnitte untergliedert sind. Dargestellt werden zunächst Landläufige Ansichten über Sprache (I, u.a. über die Magie der Sprache und die Beziehung zwischen Sprache und Denken), sodann der Problemkreis Sprache und Identität (II, in einem geradezu programmatischen Sinne vielseitig verstanden als physische, psychische, geographische, ethnische, nationale, soziale, kontextuelle und stilistische Identität) sowie die unter der Überschrift Die Struktur der Sprache (III) zusammengefaßten verschiedenen Dimensionen und Ebenen der Sprache (z.B. Grammatik, Semantik, Pragmatik): letzteres ein Kapitel, in dem sich stärker als in anderen Kapiteln traditionelle Anliegen der Linguistik abgebildet finden.

Besonderes Interesse verdienen die Kapitel IV - VI zum Medium der Sprache, die sich mit Sprechen und Hören, Schreiben und Lesen und Gebärden und Sehen befassen, gefolgt von den Kapiteln VII Kindlicher Spracherwerb, VIII Sprache, Gehirn und Sprachstörungen, IX Die Sprachen der Welt (das Spektrum historischer und gegenwärtiger Sprachen), X Sprache in der Welt (sprache(n)bedingte Verständigungsprobleme und Möglichkeiten zu ihrer Lösung), XI Sprache und Kommunikation.

Die vorliegende Ausgabe stellt nicht eine bloße Übersetzung, sondern eine weitgehend auf die Bedürfnisse eines deutschsprachigen Publikums abgestimmte Bearbeitung des englischsprachigen Originals[1] dar. Dennoch wurden zu häufig englischsprachige Beispiele beibehalten, auch in Kontexten, in denen sie in einem deutschsprachigen Werk eindeutig fehlplaziert sind, etwa im Abschnitt Soziale Identität, in dem Sprachliche Statusanzeiger (S. 39) mit Hilfe englischsprachiger Beispiele (Textpassagen aus fünf englischen Romanen, davon vier aus der viktorianischen Zeit !) veranschaulicht werden. Englischlastig ist auch der Abschnitt über Stilistische Identität und Literatur, sicherlich nicht der beste Abschnitt des Buches ("Dichter sind nicht die einzigen, die die Sprache über ihre normalen Grenzen hinaus treiben", S. 72). Die zahlreichen Abbildungen - Photos, Schaukästen, Tabellen u.a. - sind nicht nur bloßes Ornament, schaffen keine wertlosen Bild-Wort-Tautologien, sondern dienen der Versorgung mit zusätzlichen Informationen, der exemplarischen Erläuterung, der kontextstiftenden Erhellung, der linguistischen Propädeutik und der assoziativen Anregung. Hier werden neue Wege einer zwischen Text- und Bildelementen vermittelnden, graphisch faszinierenden Wissensorganisation (auch Wissenschaftspublizistik) beschritten, die bei den Produzenten von Nachschlagewerken Nachahmer finden sollten. Ein markantes Beispiel: ein Photo von sprechenden Glückwunschkarten, das das vielschichtige Verhältnis von gesprochener und geschriebener Sprache erhellen soll (S. 178).

Den Band beschließt ein umfänglicher Anhang: I Glossar (mit Arbeitsdefinitionen zur ersten Orientierung; Beispiel Soziolinguistik: "Zweig der Linguistik, der sich mit den Beziehungen zwischen Sprache und Gesellschaft beschäftigt", S. 432); II Sonderzeichen und Abkürzungen, die in der Enzyklopädie verwendet werden; III Die Sprachen der Welt in tabellarischer Übersicht (1000 Sprachen); IV Weiterführende Literatur (auf den deutschsprachigen Leser ausgerichtet); V Quellen (Texte, auf die sich der Haupttext bezieht); VI Register der Sprachfamilien, Sprachen, Dialekte und Schriften; VII Autoren- und Namenregister; VIII Sachregister.

Vorliegende Enzyklopädie stellt kein primär der punktuellen Suche dienliches Informationsmittel (im Sinne der Ready-reference-Funktion der Micropaedia zur Encyclopaedia Britannica) und auch keine der umfassenden und detaillierten Darstellung förderliche Macropaedia (die "knowledge in depth" vermitteln will) dar, sondern ein der ersten Einführung und Übersicht dienendes Nachschlagewerk, das unter Verzicht auf allzu strenge Systematisierung die Aspektvielfalt sprachlicher Phänomene vermittelt und den gesellschaftlichen und medialen Bezug der Sprache betont. Als eine Enzyklopädie, die in bester angelsächsischer Manier mit erfreulichen Appetizer-Effekten arbeitet, gelingt es ihr, den Anspruch, Sprache als Faszinosum vorzustellen ("Dieses Buch soll die menschliche Sprache rühmen ...", S. IX), zu erfüllen. Auch aus diesem Grunde kann die Cambridge-Enzyklopädie der Sprache nicht nur als Nachschlagewerk im vertrauten Sinne, sondern zugleich als Einführung in Teilgebiete der Linguistik, aber auch zu eher zweckfrei-vergnüglichem Browsing genutzt werden. Zu den Adressaten zählen - wie aus dieser kurzen Vorstellung gefolgert werden kann - nicht nur Linguisten, sondern alle an anthropologischen, kulturgeschichtlichen, kommunikationswissenschaftlichen und soziologischen Fragestellungen interessierte Leser. Das Werk zählt mithin nicht nur zum unverzichtbaren Informationsbestand einer jeden Universalbibliothek (ein Zweitexemplar muß freilich aufgrund der aufgezeigten Multifunktionalität für Ausleihzwecke zur Verfügung gestellt werden), es stellt überdies ein dringliches Anschaffungsdesiderat für öffentliche Bibliotheken dar; auch wünscht man seine Präsenz in zahlreichen Institutsbibliotheken, und zwar nicht nur in jenen, die philologischen Instituten zugeordnet sind.

Werner Bies


[1]
The Cambridge encyclopedia of language / David Crystal. - Cambridge [u.a.] : Cambridge University Press, 1987. - VII, 472 S. - ISBN 0-521-26438-3. - Für den Erfolg dieses Werkes sprechen auch die 1988, 1991 und 1992 erschienenen unveränderten Nachdrucke. (zurück)

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