Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 2(1994) 3/4
[ Bestand in K10plus ]

Musikgeschichte in Daten


94-3/4-511
Musikgeschichte in Daten / Gerhard Dietel. - Gemeinsame Originalausg. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag ; Kassel : Bärenreiter, 1994. - 1026 S. ; 19 cm. - (dtv ; 3321). - ISBN 3-423-03321-5 (dtv) - ISBN 3-7618-1174-8 (Bärenreiter) : DM 36.00
[0995]

Daß dieses Werk "einmalig in seiner Art" sei, wie der Waschzettel des Verlags verkündet, oder "einzigartig" wie im Verlagsvorwort zum Buch zu lesen, stimmt natürlich nicht: die Metzler-Musik-Chronik[1] folgt genau demselben Prinzip einer chronologischen Reihung von Kurzartikeln zu einzelnen Werken der Musik, "die abendländische Musikgeschichte gemacht haben" (Waschzettel), vom 2. Jahrhundert bis 1993. Die Artikel sind stichwortartig gehalten und umfassen meist nicht mehr als zehn Zeilen. Dietel freilich verzichtet im Gegensatz zu Feil ausdrücklich auf eine Gliederung nach stilgeschichtlichen Epochenbegriffen, stattdessen ordnet er den umfangreichen Datenpool grob nach Jahrhunderten. Den Kapiteln vorangestellt sind jeweils kurze Einführungen, "die den geschichtlichen, soziologischen, philosophischen, religiösen und allgemein weltanschaulichen Hintergrund der Einzelerscheinungen erhellen sollen" (Vorwort). Das Werk beschließt ein Personen- und Quellenregister.

Die Einführungen sind durchaus informativ und zeugen von einer großen Belesenheit des Autors. Die Werkbeschreibungen dagegen, also dort, wo sich der Autor knapp, verständlich und zugleich präzise äußern müßte, diese geraten ihm nicht selten abstrakt, ja sogar unverständlich. Da spreizt sich manche Formulierung in terminologischer Gelehrtheit, als habe er den Text aus der Sekundärliteratur abgeschrieben, unreflektiert und ohne den Versuch zu machen, die Fachsprache einem musikwissenschaftlichen Laien vermitteln zu wollen. Was ist eine "zentralsymetrisch umgewandelte Sonatenhauptsatzform" (S. 873), was sind "Unendlichkeitsreihen" (S. 977), was ist eine "Alternatim-Praxis" (S. 117), welchen Informationswert hat eine Aussage wie diese: "Die Komposition besteht aus 20 teilweise austauschbaren oder rückwärts spielbaren Momenten" (S. 929), oder diese: "Kunstmusik, die nicht im Ton des saturierten Kollektivs, sondern dem des unangepaßten Subjekts spricht"? (S. 532). Solche sprachlichen Blähungen sind keine Einzefälle. Es dürfte zu bezweifeln sein, ob der potentielle Käuferkreis, der "Musikliebhaber", (Waschzettel), der nicht an der Wissenschaftssprache geschult ist, mit den gelehrten Informationspartikeln des Autors viel anzufangen weiß. Daß er daneben sowohl Hilarius von Poitiers Hymnen als auch die von Ambrosius jeweils als "erste lateinische Hymnendichtung" nach syrischem Vorbild bezeichnet (S. 36 - 37), ist natürlich ein grober sachlicher Fehler. Und warum gerade Danzis Bläserquintette, Alkans Klavierwerke oder Curschmanns Lieder abendländische Musikgeschichte gemacht haben sollen, weiß nur Dietel allein. Die Frage stellt sich, wem ein solches Werk nützt. In zehn Zeilen das Wesentliche mitzuteilen ist eine hohe Kunst. Dem Fachmann bietet Dietel eindeutig zuwenig informative Substanz. Der Laie dagegen ist nicht selten überfordert. Der Anspruch der Musikgeschichte in Daten, dem Musikliebhaber ein nützliches Nachschlagewerk sein zu wollen, scheitert deshalb letzlich am Unvermögen des Autors, in den Werkbeschreibungen seiner Belesenheit allgemeinverständlich und prägnant Ausdruck zu verleihen.

Reiner Nägele


[1]
Metzler-Musik-Chronik : vom frühen Mittelalter bis zur Gegenwart / von Arnold Feil. - Stuttgart [u.a] : Metzler, 1993. - XXIV, 836 S. - Vgl. IFB 94-1-094. (zurück)

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