Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 1(1993) 3/4
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Contemporary composers


93-3/4-198
Contemporary composers / editors: Brian Morton ; Pamela Collins. - Chicago ; London : St. James Press, 1992. - XVI, 1019 S. ; 29 cm. - ISBN 1-55862-085-0 : $ 125.00, ś 95.00
[1662]
93-3/4-199
Komponisten der Gegenwart / hrsg. von Hanns-Werner Heister und Walter-Wolfgang Sparrer. - München : Edition Text + Kritik. - Losebl.-Ausg.
[1471]
[Grundwerk]. - 1992. - 756 S. + Ordner. - ISBN 3-88377-414-6 : DM 96.00 (einschl. 2. Nachlfg. 1993)
93-3/4-200
Metzler-Komponisten-Lexikon : 340 werkgeschichtliche Porträts ; mit 313 Abb. / hrsg. von Horst Weber. - Stuttgart [u.a.] : Metzler, 1992. - VIII, 918 S. ; 24 cm. - ISBN 3-476-00847-9 : DM 78.00
[1470]

Die Zahl biographischer Nachschlagewerke zu zeitgenössischen Komponisten ist überwältigend. Strom Bulls Index to biographies of contemporary composers[1] zählt allein knapp 70 einschlägige Werke auf, die wenigsten allerdings mit universalem und/oder internationalem Anspruch. Die Mehrzahl der Lexika beschränkt sich auf die Komponisten einer Nation oder trifft eine Auswahl nach gattungs- bzw. geschlechtsspezifischen oder nach ethnischen Gesichtspunkten. Als aktuellste Werke mit internationalem und universalem Anspruch waren bislang David Ewens Composers since 1900[2] und, zur raschen Überblicksinformation, Baker's biographical dictionary[3] (8. Auflage 1992) nützlich, letzteres häufig mit einer Werkcharakteristik in extremer Kürze.

Die St. James Press legt nun ebenfalls ein Komponistenlexikon vor mit dem Anspruch, die international bedeutenden Komponisten der Gegenwart mit ausführlicher Würdigung von Leben und Werk zu verzeichnen. Contemporary composers kann man getrost als Fortschreibung des Ewen lesen. Mit seinen 500 Artikeln ersetzt es zwar den Ewen in keiner Weise, es verzeichnet aber aufgrund des zehn Jahre jüngeren Erscheinungsdatums auch Komponisten, die heute um die dreißig Jahre alt sind und die erst in der letzten Dekade öffentlich zu wirken begannen. Die Artikel sind zweispaltig gesetzt, alphabetisch geordnet und leicht über die Kopfzeile recherchierbar. Zur raschen Übersicht dient ein alphabetisches Verzeichnis der behandelten Komponisten. Die Artikel - in der Regel drei bis fünf Spalten lang und namentlich gezeichnet - bieten eine Vielzahl von Informationen: chronologischer Lebenslauf, Angabe der Postadresse, Nennung der Verleger, Werkverzeichnis nach Gattungen, Publikationen, Statements der Komponisten zu ihrem Werk, essayistische Werkkritik. Fett gesetzte Zwischentitel gliedern die einzelnen Abschnitte übersichtlich. Zwei Anhänge informieren unter Aufführung der Adressen über relevante Musikverlage der Welt sowie über Gesellschaften und Institutionen zur Förderung zeitgenössischer Musik in den einzelnen Ländern - beides natürlich in äußerst knapper Auswahl. Contemporary composers ist als Ergänzung zum Ewen zu benutzen, aber keineswegs als Ersatz: Beim Buchstaben A finden sich als Schnittmenge zwischen Ewen (16 Einträge) und Contemporary composers (17 Einträge) nur drei identische Komponistennamen. Aufgenommen, laut Vorwort, seien zwar "established figures" aller Nationen. Nach Stichproben ist jedoch, so scheint es, am gründlichsten der amerikanische Markt gesichtet worden; die z.Zt. bei Boosey & Hawkes verlegten Komponisten z.B. sind vollständig aufgenommen, die von deutschen Verlagen publizierten jedoch nur in enger, nicht unbedingt für die Repräsentanz der europäischen Avantgarde relevanter Auswahl. Dennoch, ein höchst nützliches, informatives und in den werkkommentierenden Teilen auch lesenswertes Kompendium. Die inkonsequente Umlautsetzung bei deutschen Titeln (mal gesetzt, mal nicht) ist zwar ärgerlich, aber bei dem ansonsten höchst positiven Gesamteindruck als Schönheitsfehler verzeihlich.

Auch die im Verlag Edition Text + Kritik erscheinende Loseblattsammlung Komponisten der Gegenwart ersetzt beim augenblicklichen Stand Ewen, Baker oder Contemporary composers keineswegs. Layout und Aufbau orientieren sich an den anderen Loseblattwerken desselben Verlages, die den Gebieten Literatur[4] und Film[5] gelten. Die "vergleichsweise kurze Vorbereitungszeit von nur zwei Jahren", die das Vowort entschuldigend anführt, sind dem Grundwerk leider deutlich anzumerken. Nicht so sehr in der noch relativ spärlichen Ausstattung der Artikel (gemessen an dem im Vorwort verkündeten Anspruch) mit 1 Seite Biographie und 1 Seite Werkbetrachtung. Dies wird sich, so ist zu hoffen, mit den Nachlieferungen bessern[6]. Geplant sind ergänzend: Notentafel, Werkverzeichnis, Auswahldiskographie und Auswahlbibliographie. Vielmehr enttäuscht die heterogene Qualität der Besprechungen, auch sie mit dem vollen Namen des Autors gezeichnet: zu einem großen Teil feuilletonistisch im Ton, gelegentlich flapsig in der Sprache oder gar, wo Klarheit Not täte - etwa bei der Erläuterung von Alban Bergs Satztechnik, sprachlich verunklärend ("deren Wohllaut die Ambivalenz der Dissonanz zwischen Versagen und Wollust, Leiden und Widerspruch fühlbar macht") - reiner Sprachmüll, der allzu deutlich die redigierende Hand eines Lektors vermissen läßt. Dagegen ergeht sich im - sage und schreibe - 38seitigen Artikel über Isang Yun der Autor in einer Mikroanalyse einzelner Werke, die ohne musiktheoretische Vorkenntnisse nur mühsam verständlich wird. Ebenso ist das Komponistenangebot, auch nach der zweiten Nachlieferung, noch höchst unbefriedigend. Noch immer sucht man Aaron Copland vergeblich, ohne den die Musik eines Leonard Bernstein (der verzeichnet ist) nicht zu denken wäre, dafür aber ist Theodor W. Adorno zu finden, als Komponist eindeutig und unbestritten von marginaler Bedeutung; ebenso stößt der Leser als Kuriosum beim Blättern auf den fiktiven Komponisten Otto Jägermeier, der sich bekannterweise schon als ein Kuckucksei im Riemann-Musik-Lexikon erwies. Die Defizite in der Verzeichnung werden sich freilich wohl, so ist ebenfalls zu hoffen, mit den Ergänzungslieferungen verringern. Vergleicht man beim augenblicklichen Informationsstand der Loseblattsammlung auch hier das Angebot unter dem Buchstaben A mit dem von Contemporary composers und Ewen, so ergibt sich folgendes Bild: Von den zusammengerechnet 44 zeitgenössischen Komponisten finden sich 11 ausschließlich nur in Contemporary composers, 10 nur im Ewen und 8 nur in Komponisten der Gegenwart. Nur ein einziger Komponist (Louis Andriessen) bildet die Schnittmenge zwischen allen drei Nachschlagewerken. Stichproben ergaben ein ähnliches Bild im weiteren Alphabet. Problematisch und für den Benutzer ärgerlich ist die unterschiedliche Transliteration kyrillischer Namen im europäischen und angelsächsischen Bereich. Hier verweist Komponisten der Gegenwart im Inhaltsverzeichnis vorbildlich auf andere mögliche Namensformen. Wer freilich Vjaceslav Art‰mov (Eintrag in Komponisten der Gegenwart) in Contemporary composers sucht, der findet diesen Komponisten nur - ohne jegliche Verweisung - als Vyacheslav Artyomov.

In Bezug auf die Aktualität wird das Loseblattwerk wohl mit der Zeit die anderen Lexika zum zeitgenössischen Musikschaffen mit übernationalem und umfassendem Anspruch überflügeln, allein freilich aufgrund der Quantität; bleibt nur zu hoffen, daß auf die sachliche und sprachliche Qualität der Artikel künftig sorgfältiger geachtet wird.

Von grundlegend anderem Anspruch ist das neue Metzler-Komponisten-Lexikon. Auch dieses folgt in der Konzeption einem verlagseigenen Vorbild, nämlich dem Metzler-Autoren-Lexikon[7] für deutschsprachige Dichter und Schriftsteller. Die 340 Artikel behandeln Komponisten vom Mittelalter bis heute, mit eindeutigem Schwerpunkt beim 20. Jahrhundert. Auch hier, zur schnellen Recherche, eine Kopfzeile, darunter, deutlich abgesetzt, der Name des Komponisten, Lebensdaten, Geburts- und Sterbeort sowie jeweils ein Portrait. Den Text beschließen, durch Piktogramme abgesetzt, Angaben zu gedruckten Werken, zu Schriften, ein Werkverzeichnis, eine Bibliographie, ein Verzeichnis der dem Komponisten gewidmeten Periodika und in Auswahl Biographien und Sekundärschrifttum. Im Anhang finden sich weiterführende Literatur, thematisch gegliedert, sowie ein hilfreiches Personenregister, in dem auch Personen, die in den Artikeln nur Erwähnung finden, aufgeführt werden. Primat der Darstellung ist erklärtermaßen nicht die Biographie, sondern das "Komponieren der Komponisten". Deshalb sucht man bei den Artikeln vergeblich einen separaten biographischen Teil oder gar einen chronologischen Überblick. Für diese Art Auskunft ist dieses Nachschlagewerk nicht geeignet. Wer jedoch verstehen möchte, weshalb ein Komponist mit seinen Werken zu seiner Zeit - oder retrospektiv gewertet - bedeutend war bzw. ist, der greife zum Metzler. Trotz der Ankündigung im Vorwort, vorwiegend "auf heute Entlegenes ... aufmerksam machen" zu wollen und "auf (allzu) Bekanntes zu verzichten", finden sich natürlich alle nach heutigem Verständnis wichtigen Vertreter der musikgeschichtlichen Vergangenheit wieder. Problematisch bleibt auch bei diesem anspruchsvollen und durchweg qualifiziert geschriebenen Werk die unmittelbare Gegenwart; Udo Zimmermann fehlt, Bohuslav Martinu sucht man vergeblich. Da sich die Auswahl jedoch am repräsentativen Werkschaffen orientiert, an dessen Qualität oder Originalität, ist die im Vergleich zu Contemporary composers und Komponisten der Gegenwart zwangsläufig sehr begrenzte Auswahl zu akzeptieren. Als primäres Kriterium zur Verzeichnung nennt das Vorwort "künstlerische Qualität" und "historische Bedeutung". Auch wenn dies für die zeitgenössische Musik wohl nicht immer so eindeutig zu beantworten ist: es fehlt konsequenterweise Adorno und ebenso konsequenterweise ist Copland vertreten.

Das Metzler-Komponisten-Lexikon ist ein Fachlexikon, das es versteht, in seinen namentlich gezeichneten Artikeln die schwierige Balance zwischen allgemeinverständlicher und dennoch wissenschaftlich präziser Darstellung überzeugend zu wahren. Im eigentlichen Sinne ist dies kein Lexikon für einen schnellen Informationsgewinn, schon eher ein kleines und anspruchsvolles Studienwerk, weshalb ein zusätzliches chronologisches Register nach dem Geburtsjahr der Komponisten nützlich gewesen wäre. So hätte man dem interessierten Leser die Möglichkeit gegeben, die einzelnen Kompositionsgeschichten auch chronologisch lesend nachvollziehen zu können.

Reiner Nägele


[1]
Metuchen, N.J. [u.a.] : Scarecrow Press. - Vol. 3 (1987), S. IX - XXIII. (zurück)
[2]
Composers since 1900 : a biographical and critical guide / David Ewen. - New York, NY : Wilson. - [Grundwerk]. - 1969. - Suppl. 1 (1981). (zurück)
[3]
Baker's biographical dictionary of musicians / Theodore Baker. - 8. ed. / rev. by Nicolas Slonimsky. - New York, NY: Schirmer [u.a.], l992. (zurück)
[4]
Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur / hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. - München: Edition Text + Kritik. - 1978 -_ sowie
Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur / hrsg. von Heinz Ludwig Arnold. - München: Edition Text + Kritik. - 1983 -_. (zurück)
[5]
Cinegraph : Lexikon zum deutschsprachigen Film / hrsg. von Hans-Martin Bock. - München : Text + Kritik. - 1984 -_. - Vgl. die Rezension in ABUN in ZFBB 31 (1984),6, S. 512 - 514. (zurück)
[6]
Einige wenige Beiträge sind bereits in diesem Sinne des Vorworts "vollständig". (zurück)
[7]
Metzler-Autoren-Lexikon : deutschsprachige Dichter und Schriftsteller vom Mittelalter bis zur Gegenwart / hrsg. von Bernd Lutz. - Stuttgart: Metzler, 1986. - Vgl. die Rezension in ABUN in ZfBB 34 (1987),1, S. 38 - 39. (zurück)

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