Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 1(1993) 3/4
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Die italienischen Zeichnungen der Albertina


93-3/4-194
Die italienischen Zeichnungen der Albertina : Generalverzeichnis / Veronika Birke ; Janine Kertész. - Wien [u.a.] : Böhlau. - 30 cm. - (Veröffentlichungen der Albertina ; ...). - ISBN 3-205-05579-9
[1701]
Bd. 1. Inv. 1 - 1200. - 1992. - XV, 664 S. : Ill. - (... ; 33). - ISBN 3-205-05413-X : ÖS 1980.00, ÖS 1680.00 (bei Abnahme des Gesamtwerks)
93-3/4-195
Die italienischen Zeichnungen der Albertina : zur Geschichte der Zeichnung in Italien / Veronika Birke. - München : Hirmer, 1991. - 32 cm. - (Veröffentlichungen der Albertina ; 29). - ISBN 3-7774-5720-5 : DM 148.00
[1732]
93-3/4-196
Die englische Schule : Zeichnungen und Aquarelle britischer Künstler / bearb. von Luke Herrmann. - Wien : Albertina, 1992. - 30 cm. - (Veröffentlichungen der Albertina ; 32) (Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina ; 7). - ISBN 3-900656-21-5 : ÖS 480.00
[1733]

1992 sind von der Graphischen Sammlung Albertina in Wien zwei sehr unterschiedlich konzipierte Kataloge zu Zeichnungs-Beständen vorgelegt worden. Mit der Bearbeitung der Englischen Schule wird nach genau 51 Jahren die von der Albertina herausgegebene Reihe ihrer Beschreibenden Kataloge der Handzeichnungen mit dem siebten Band fortgesetzt. Während in diesem von Luke Herrmann erstellten Verzeichnis die Zeichnungen und Aquarelle britischer Künstler in der Albertina erstmals erfaßt werden, behandeln Veronika Birke und Janine Kertész den bereits wiederholt katalogisierten Bestand italienischer Zeichnungen. Gerade dieser Band verdient wegen seiner Konzeption besondere Aufmerksamkeit; da er in enger Verbindung mit dem bereits 1991 im Hirmer-Verlag erschienenen, im Haupttitel übereinstimmenden Band Veronika Birkes entstand, wird auch auf dieses Werk eingegangen.

Die italienischen Zeichnungen der Albertina sollen in vier Bänden bis 1995/96 vollständig erschlossen werden; der vorliegende erste Band erfaßt mit 1200 Blätter rund ein Viertel des Bestandes. Eine weitere, von Barbara Dossi und Janine Kertész betreute Sonderpublikation wird auf die Provenienzen und damit auf einen bisher unerforschten Aspekt zur Vorgeschichte der Sammlung eingehen. Der im Zusatz zum Sachtitel verwendete Begriff Generalverzeichnis läßt erkennen, daß es sich nicht um einen Katalog im herkömmlichen Sinn, sondern um den Versuch der Erschließung des Gesamtbestandes der italienischen Zeichnungen der Albertina in der Form eines Inventars handelt. Von den großen graphischen Sammlungen ist bisher einzig das Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi zu einem vergleichbaren Verfahren übergegangen und dessen Inventario[1] ist seit 1986 bereits auf drei Bände angewachsen. Wie an den Uffizien entschloß man sich an der Albertina aus Gründen der wissenschaftlichen Objektivität, auf eine Präsentation der Zeichnungen nach Schulen, Epochen oder Künstlern mit allen ihren Unsicherheiten in den Zu- und Abschreibungen zu verzichten und stattdessen die (in Wien ab 1895 eingeführten) Inventarnummern als Leitfaden für den Aufbau des Verzeichnisses zu wählen. Denn die Inventarnummern bieten - so begründet Veronika Birke im Vorwort (S. XI - XII) den Entschluß zu dieser vergleichsweise wenig anschaulichen und darum sicher bei manchen auch auf Ablehnung stoßenden Präsentation - eine eindeutige Information und sind die "unzweifelhafteste Identifizierung eines Blattes". Die am Schluß des Bandes beigefügten Verzeichnisse der Künstler und der alternativen Zuschreibungen erlauben es dann dem Benutzer, sich den Bestand auch auf dem traditionellen Weg zu erschließen.

Die Entscheidung zur Erstellung eines Inventars wurde durch die den heutigen Anforderungen ungenügende Erschließung der italienischen Schule begünstigt. 1891 und 1892 veröffentlichte Franz Wickhoff in einer kunsthistorischen Fachzeitschrift das erste Verzeichnis.[2] Es folgt der vorgefundenen, auf den Gründer der Albertina - Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738-1822) - zurückgehenden Anordnung der Blätter und bringt nur knappe Informationen sowie fast keine Abbildungen. Der Übergang der Sammlung aus fürstlichem in staatlichen Besitz im Jahr 1920 bot die Gelegenheit für eine "rücksichtslose und der Erkenntnis der Wissenschaft gehorchende" Neuordnung. Im Vertrauen auf die Stilkritik wurden die italienischen Zeichnungen in eine sog. "erste" und "zweite Garnitur" geschieden. Die Schausammlung umfaßte "nur Originalzeichnungen, das heißt Entwürfe, Skizzen, auf eigenen Einfällen beruhende Zeichnungen der Künstler"; diese allein waren Gegenstand der 1926 - 1941 erschienenen Bände 1, 3 und 6 des Beschreibenden Katalogs der Handzeichnungen,[3] wohingegen die übrigen, in eine Studiensammlung eingebrachten Blätter unpubliziert blieben. Durch seine bereits erwähnte Struktur revidiert das Generalverzeichnis diese Entscheidung und widmet jedem Blatt dieselbe Aufmerksamkeit in Wort und Bild. Es trägt damit neuen Bedürfnissen der kunsthistorischen Forschung Rechnung, bei denen Fragen nach der Autorschaft nur von bedingter Bedeutung sein können. Zwei Konkordanzen, nämlich zwischen Wickhoff- bzw. Stix- und Inventar-Nummern - geben außerdem dem Benutzer die Gelegenheit, anhand der Abbildungen die von dem Gründer mit der Sammlung intendierte "Bilderenzyklopädie" in Zeugnissen von sämtlichen Schulen und allen Künstlern visuell zu rekonstruieren.[4]

Konkret ist das Generalverzeichnis ein 'Abfallprodukt' der 1986 begonnenen Vorarbeiten Veronika Birkes für ihren 1991 als Buch erschienenen Versuch, eine Geschichte der Zeichnung in Italien anhand der in der Albertina aufbewahrten Blätter zu schreiben. Grundlage für dieses von dem amerikanischen Sammler Ian Woodner (1903 - 1990) geförderte Projekt war die Sichtung des gesamten Bestandes an Zeichnungen der italienischen Schulen; diese war um so notwendiger, als eine auf den aktuellen Stand gebrachte Dokumentation zu jedem einzelnen Blatt nicht vorhanden war. Diese "Inventur" fand zum ersten Mal an einem österreichischen Museum mit Hilfe der EDV statt.[5] In die in der Folge angelegte Datenbank wurden zunächst die genannten Verzeichnisse von Wickhoff sowie die drei Bände des Beschreibenden Katalogs übertragen. Sodann wurden die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs veröffentlichten Ausstellungskataloge der Albertina aufgenommen, so daß auf diese Weise erstmals ein großer Teil der seit 1945 in Veröffentlichungen der Albertina gedruckt erschienenen Informationen einschließlich der dort angeführten bibliographischen Nachweise zusammengeführt worden waren. Weiterhin wurde jedes einzelne Blatt in Autopsie auf seine Maße, die verwendeten Techniken, die Sammlermarken, die Beschriftungen und das dargestellte Sujet überprüft und gleichzeitig eine Fotothek aufgebaut. Diese in ca. fünf Jahren zusammengestellte Datenbank erwies sich bald als eine ebenso ergiebige wie unentbehrliche und zeitersparende Informationsquelle, daß mit dem Entschluß zum Verzicht auf Vollständigkeit der Informationen und der inzwischen angesammelten bibliographischen Nachweise (Vorwort, S. XI) an eine Veröffentlichung gedacht werden konnte.

Die einzelnen Bestandteile des für jeden Eintrag gewählten Formulars sind im Druck durch Leerzeilen und die Verwendung verschiedener Schriften und Schriftgrade voneinander abgesetzt und somit benutzerfreundlich aufbereitet. Auf die Inventar-Nummer, die ursprüngliche Aufstellungs-Nummer und die Nummer des Negativs im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek folgen Angaben zum Autor, zum Bildthema, zu den verwendeten Techniken, dem Erhaltungszustand, den Maßen und den Beschriftungen. Es schließen sich eine Aufreihung der verschiedenen Zuschreibungen unter namentlicher Nennung des jeweiligen Urhebers sowie ein Literaturverzeichnis mit vorangestellten Nachweisen zu druckgraphischen Umsetzungen an. Den Abschluß bildet ein hilfreicher Kurzkommentar, in dem nicht die offenen wissenschaftlichen Fragen diskutiert, sondern vielmehr "Tatbestände" (Vorwort, S. XII) vorgestellt werden, vor allem Querverweise auf bildliches Vergleichsmaterial (erschließbar durch ein topographisches Register) und Hinweise auf die Funktion der Zeichnung mit den relevanten Literaturangaben.

Das Literaturverzeichnis und der Kurzkommentar im Generalverzeichnis bieten sich an, um bei allen Übereinstimmungen mit dem Inventario der Uffizien in Struktur und Formular einige wesentliche Unterschiede zwischen diesen beiden Werken bzw. die Vor- und Nachteile ihrer Benutzung hervorzuheben. Im Inventario wird die lückenlose Anführung aller direkten und indirekten Verweise auf ein Blatt in den seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts angelegten, handschriftlich oder gedruckt überlieferten Inventaren und Katalogen angestrebt; dasselbe gilt für die Eintragungen in Ausstellungskatalogen. Eine vergleichbare, auf die Sammlung bezogene Dokumentation[6] wird im Generalverzeichnis nicht versucht; bewußt konzentrieren sich die Autorinnen auf die Kataloge der in der Albertina und in anderen Institutionen veranstalteten Ausstellungen sowie auf die Sekundärliteratur der letzten Jahrzehnte. Der Benutzer wird also in den aktuellen Forschungsstand eingeführt, ist aber darauf angewiesen, die vor dem Zweiten Weltkrieg erschienene Literatur zu einem Blatt und zu der Sammlung selbständig zu ermitteln. Durch den Kurzkommentar, der im Inventario ebenso fehlt wie die Literaturangaben, erhält er darüberhinaus weiterführende Hinweise. Während das Inventario primär eine Zusammenstellung der den Sammlungsbestand betreffenden Dokumente und somit einen Beitrag zur Erforschung der Sammlungsgeschichte bringt, ist das Generalverzeichnis als Zusammenführung von wesentlichen und aktuellen Informationen zu den Zeichnungen konzipiert.

In Verbindung mit der neben jedem Eintrag stehenden Schwarzweißabbildung eines Blattes (bzw. den Abbildungen von Vorder- und Rückseite), die durchweg von guter Qualität und angemessenem Verkleinerungsmaßstab sind, liegt mit dem Generalverzeichnis ein leicht benutzbares Nachschlagewerk vor, das in seiner Anlage und seinem Informationsangebot allerdings auf den Spezialisten und den Forscher zugeschnitten ist. Mit der Fülle der erstmals zusammengeführten Daten, der dabei neu gewonnenen Erkenntnisse sowie der erstmals veröffentlichten Zeichnungen wird es zur Grundlage und zum Ausgangspunkt zukünftiger Forschungen werden.

Erst im Zusatz zum Sachtitel ihres 1991 veröffentlichten Buches gibt Veronika Birke ihr eigentliches Thema preis: Die italienischen Zeichnungen der Albertina werden als 'Illustrationen' einer Geschichte der Zeichnung in Italien 'benutzt'. Diese ungewöhnliche Begrenzung auf das in einer einzigen Sammlung aufbewahrte Material (aus der sich auch der Abbruch des Buches mit dem Klassizismus zur Gründungszeit der Albertina erklärt) rechtfertigt die Autorin mit dem Sammlungskonzept Herzog Alberts. Sie beabsichtigt, die von ihr ausgewählten Zeichnungen, die "in künstlerischer Hinsicht der europäischen Geistesgeschichte Ausdruck verleihen", "gleich 'Bildern einer Ausstellung' so zu plazieren, daß größere Zusammenhänge und einzelne Künstler faßbarer werden" (S. 8). Das Buch wendet sich an den interessierten Laien, der in einem verständlich geschriebenen und durch Überschriften in kurze Absätze gegliederten Text die verschiedenen Schulen und ihre Vertreter vorgeführt bekommt, auf die unterschiedlichen und sich wandelnden Funktionen der Zeichnung hingewiesen wird und dem Entwicklungen und stilistische Veränderungen aus dem zeitgenössischen Kontext heraus zu erklären versucht werden; dagegen hat es nur wenige Anmerkungen und nur ein knappes Literaturverzeichnis ausschließlich zu den Werken, in denen die besprochenen Zeichnungen behandelt werden, während Hinweise auf weiterführende Literatur zum geistesgeschichtlichen Hintergrund fehlen. Die zum Teil farbigen Abbildungen von 267 Blättern aus dem gesamten Bestand stellen wegen ihrer hervorragenden Qualität eine ideale Ergänzung zum Generalverzeichnis dar.[7]

Der schlanke Buchrücken des Katalogs zur englischen Schule verrät, daß es sich bei den Aquarellen und Zeichnungen der britischen Künstler nur um einen "schmalen Nebenbestand" (so Konrad Oberhuber im Vorwort) handeln kann. Die 138 Blätter werden in drei, der Sammlungsgeschichte folgenden Abschnitten beschrieben (Teil I: Erwerbungen durch Herzog Albert; Teil II: Zugänge nach 1822; Teil III: Stiftung der eigenhändigen Zeichnungen Frank Brangwyns von 1914), nach Künstlern alphabetisch geordnet kommentiert und in ganzseitigen, oft farbigen Abbildungen reproduziert. Auf diese Weise werden bisher unveröffentlichte Zeichnungen von meist wenig bekannten Künstlern zugänglich gemacht; es stellt sich dabei aber die Frage, ob die aufwendige Aufmachung des Bandes im rechten Verhältnis zur Qualität der Objekte steht.

Christine Sauer


[1]
Inventario / Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi. - Firenze : Olschki. - 30 cm
Disegni esposti / a cura di Annamaria Petrioli Tofani. - 1986 - 1987. - 1 - 2. - ISBN 88-222-3402-2
Disegni di figura / a cura di Annamaria Petrioli Tofani. - 1. 1986. - XIII S., S. 1 - 419. - ISBN 88-222-3912-1 (zurück)
[2]
Die italienischen Handzeichnungen der Albertina / Franz Wickhoff. // In: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses. - Teil. 1. Die venezianische, die lombardische und die bolognesische Schule. // 12 (1891), S. CCV - CCCXIV. - Teil 2. Die römische Schule. // 13 (1892), S. CLXXV - CCLXXXIII. (zurück)
[3]
Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina / hrsg. von Alfred Stix. - Wien : Schroll. - 31 cm
1. Die Zeichnungen der venezianischen Schule / bearb. von Alfred Stix und L. Fröhlich-Bum. - 1926. - XI, 208, 63 S. - Die beiden vorstehenden Zitate finden sich auf S. VII - VIII.
3. Die Zeichnungen der toskanischen, umbrischen und römischen Schulen / bearb. von Alfred Stix und L. Fröhlich-Bum. - 1932. - VI, 97 S.
6. Die Schulen von Ferrara, Bologna, Parma und Modena, der Lombardei, Genuas, Neapels und Siziliens : mit einem Nachtr. zu allen italienischen Schulen / bearb. von Alfred Stix und Anna Spitzmüller. - 1941. - 75 S., 174 Taf. (zurück)
[4]
Zum Sammler und der mit der Sammlung verfolgten Intention vgl. S. 12 - 13 des folgenden Werkes: Herzog Albert von Sachsen-Teschen : 1738 - 1822 ; Reichsfeldmarschall und Kunstmäzen / Walter Koschatzky ; Selma Krasa. - Wien : Österreichischer Bundesverlag, 1982. - 264 S. ; 29 cm. - (Veröffentlichungen der Albertina ; 18). - ISBN 3-215-04826-4. (zurück)
[5]
Zum Einsatz der EDV in der Kunstgeschichte vgl. u.a. den Literaturbericht Computerized information : problems and perspectives for the art historian / Dawn Leach-Rühl. // In: Kunstchronik. - 43 (1990),8, S. 377 - 382. (zurück)
[6]
Zu der an Museen oftmals vernachlässigten Dokumentation der die Sammlungen betreffenden Veröffentlichungen vgl. die folgende Schriftenreihe, in der bisher leider nur die beiden erwähnten Bände erschienen sind:
Verzeichnis der Kataloge und Führer kunst- und kulturgeschichtlicher Museen in der Bundesrepublik Deutschland und in Berlin (West) : VKFM / hrsg. im Auftr. der Arbeitsgemeinschaft der Kunstbibliotheken von Horst-Johs Tümmers. - Berlin : Mann
1. Kataloge und Führer der Berliner Museen / bearb. von Horst-Johs Tümmers. - 1975. - XIII, 189 S.
2. Kataloge und Führer der Münchner Museen / bearb. von Horst-Johs Tümmers. - 1979. - XVI, 194 S. (zurück)
[7]
Unerklärlich sind kleine Differenzen in den Nachweisen zur Provenienz, die sich wiederholt beim Vergleich der Bilderläuterungen (z. B. zu Abb. 12, 14 und 47) mit den entsprechenden Einträgen im Generalverzeichnis (Inv. 30, 12, 245) ergaben. (zurück)

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