Daß die Neuregelung keine Zukunft hat, beweist nicht zuletzt der im Dezember 1998 gefaßte Beschluß der deutschsprachigen Nachrichtenagenturen, eine von der amtlichen bewußt abweichende Neuschreibung einzuführen. Auch dies kann zwar wegen extremer Fehlerhaftigkeit des vorgelegten Entwurfs nicht gelingen, eine Rückkehr zur amtlichen Neuregelung scheint jedoch ebenfalls nicht mehr m"glich. Nur die bisherige, fast überall noch praktizierte Orthographie ist als bewährte und konsensfähige Einheitsschreibung geeignet. Übrigens hat auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 14. Juli 1998 der Neuregelung eine bemerkenswert schlechte Akzeptanzprognose gestellt.
Weder aus politischer noch aus rein wirtschaftlicher Sicht konnte die
Tatsache hinreichend gewürdigt werden, an der letzten Endes Erfolg und
Mißerfolg der Reform sich entscheiden: Die Neuregelung ist von so
schlechter fachlicher Qualität, daß sie im strengen Sinne gar nicht
durchgeführt werden kann.[3] Seit die Rechtschreibkommission im Dezember
1997 selbst erklärt hat, die Reform sei in der gegenwärtigen Form
nicht zu halten, wäre es ein kostspieliger Leichtsinn, irgendwelche
neuen W"rterbücher, Schulbücher oder Kinderbücher anzuschaffen - es
sei denn, um ein Sammlerinteresse an kuriosen Fehldrucken zu
befriedigen.
In den W"rterbüchern werden die neuen Regeln teils richtig, teils
falsch ausgelegt, mit Tausenden von Widersprüchen im einzelnen, die
von vornherein fragen lassen, wie es um die Präzision der Neuregelung
bestellt ist. Was ist von einer Reform zu halten, die Zweifel daran
aufkommen läßt, wie ganz alltägliche W"rter, zum Beispiel
wohlschmeckend, geschrieben werden? Wie ist es m"glich, daß mehrere
W"rterbuchverfasser - erwachsene Sprecher der deutschen Sprache
- ernsthaft glauben k"nnen, es heiße künftig ein Maschinen
geschriebener
Brief (Bertelsmann)? Die Nachrichtenagenturen wollen gemäß einer am 8.
Februar 1999 von dpa verbreiteten Beispielliste folgendermaßen
schreiben: Mode bewusst, Schluss folgern usw. Das sind zwar keine
korrekten Auslegungen dessen, was die Reformer wollten, aber daß es zu
derart grotesken Verst"ßen gegen grundlegende Baugesetze der deutschen
Sprache kommen kann, liegt sehr wohl in ihrer Verantwortung. Denn sie
waren es, die ebenso sprachwidrige Neuschreibungen (das nichts
Sagendste, wie Recht du doch hast, am tief schürfendsten usw.)
eingeführt haben, die nun in deutschen Schulen an Millionen Schüler
weitergegeben werden.
Objektiv Unsinniges und Falsches "korrekt" in W"rterbüchern
darzustellen ist von vornherein ein zweifelhaftes Unternehmen. Nur
unter diesem allgemeinen Vorbehalt lohnt es sich, einen vergleichenden
Blick auf die neuen W"rterbücher zu werfen.
Orthographische W"rterbücher im strengen Sinne sind in Deutschland
sehr selten, da sich der maßstabsetzende Duden sehr bald zu einem
eigenartigen Mischw"rterbuch entwickelt hat, das vielen anspruchslosen
Benutzern zugleich als Bedeutungsw"rterbuch oder gar als
Konversationslexikon dient. Im folgenden werden zunächst vier Werke
vorgestellt, die sich bereits in der Titelei mehr oder weniger
deutlich als Rechtschreibw"rterbücher ausweisen; auch sie füllen ihre
Seiten aber mit zahlreichen Angaben zur Aussprache, Grammatik,
Bedeutung und Stilistik und k"nnen daher als verkümmerte
Universalw"rterbücher in der Dudentradition gelten. Es folgen einige
W"rterbücher, die tatsächlich jedes Wort erklären und die
Rechtschreibung nur beiläufig dokumentieren. Auch sie sind jedoch
gezwungen, die neuen Regeln zu interpretieren, und tun dies in
aufschlußreicher Weise. Abschließend wird die neueste Phase der
Rechtschreibdiskussion anhand des Duden-Praxisw"rterbuchs, des ersten
rein orthographischen Nachschlagwerks sowie einer Neuberarbeitung von
Bertelsmann-Wahrig dargestellt.
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