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Zu Geschichte und gegenwärtigem Stand der Sorbischen Bibliographie
von
Franz Schön
"Versuche zu wendischen Bibliographien reichen ins 18. Jahrhundert
zurück", so beginnt Dr. Jacob Jatzwauk 1929 sein Vorwort zur ersten
Wendischen (sorbischen) Bibliographie.[1] Nach Versuchen, die sich auf
Verzeichnisse sorbischsprachiger Drucke und Werkbibliographien
einzelner Autoren beschränkten, ging Jatzwauk in den zwanziger Jahren
daran, ein Nachschlagewerk zu erarbeiten, das nicht nur die "gesamte,
noch erreichbare, in wendischer Sprache gedruckte Literatur" erfassen
sollte, sondern "auch alle jene Schriften und Aufsätze, die sich
irgendwie auf das wendisch-sorbische Volk beziehen, ganz gleich in
welcher Sprache sie erschienen sind." Jatzwauk, selbst gebürtiger
Sorbe, war seit 1913 Bibliothekar an der Königlichen Öffentlichen
Bibliothek Dresden, vertrat dabei das Spezialgebiet Slawistik und
brachte es bis zum Bibliotheksrat der Sächsischen Landesbibliothek.
Von Beginn an war er an der von Rudolf Bemmann begründeten
Bibliographie der sächsischen Geschichte beteiligt, die er nach
Bemmanns Weggang von 1918 bis 1932 selbständig fortführte. Neben
seiner Tätigkeit in Dresden fuhr Jatzwauk im Herbst 1922 täglich nach
dem Dienst nach Bautzen, um dort die Bibliothek der seit 1847
bestehenden sorbischen wissenschaftlich-kulturellen Gesellschaft
Macica Serbska, der er selbst angehörte, neu zu ordnen. Bei seiner
Arbeit an dem Katalog der wendischen Abteilung der Bibliothek der
Gesellschaft Macica Serbska,[2] erschienen 1924, hatte ihn die Vielfalt
und Menge der sorabistischen Literatur selbst überrascht. Seitdem
arbeitete Jatzwauk an seiner Wendischen (sorbischen) Bibliographie,
für die er nicht nur Monographien, sondern auch die sorbischen
Zeitschriften und teilweise auch Zeitungen auswertete. Als er sie 1928
abschloß, umfaßte sie knapp 5000 Titel, die er nach dem Muster der
Bibliographie zur sächsischen Geschichte systematisch ordnete.
Das Erscheinen dieser ersten sorbischen Bibliographie war mit nicht
wenigen Schwierigkeiten verbunden, wie man in einem Beitrag von Heinz
Pohrt[3] nachlesen kann. Bei der Suche nach einem Verleger wandte sich
Jatzwauk an den Berliner Slawistikprofessor Max Vasmer. Vasmer war
sofort bereit die Bibliographie in seine Reihe Veröffentlichungen des
Slavischen Instituts der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin als 2.
Bd. aufzunehmen. Allerdings bereitete ihm die Beschaffung der
erforderlichen Gelder für den Druck unerwartete Schwierigkeiten. Ein
entscheidender Gutachter erklärte: "Was von der Wissenschaft über
sorbische Sprache und Sprachdenkmäler von slavischer Seite geleistet
worden ist, das ist jedem Forscher leicht zugänglich, soweit als es
als wissenschaftlich wichtig zitiert wird." Mit Rücksicht darauf, daß
schon andere slawistische Standardwerke, so das dreibändige Wörterbuch
der nieder-wendischen Sprache und ihrer Dialekte von Ernst Mucke, im
Ausland - in Petersburg und Prag - erscheinen mußten, entschied sich
das preußische Kultusministerium nach Vasmers erneuter Begründung doch
für eine Förderung. Kurz nachdem Jatzwauks Bibliographie erschienen
war, kam es aber zu weiteren Widerständen. Der Vorsitzende der in
Sachsen neu geschaffenen Stiftung für deutsche Volks- und
Kulturbodenforschung, Prof. W. Volz, forderte unter Hinweis auf
angebliche wissenschaftliche Mängel die Einstellung des Verkaufs der
Bibliographie. Volz verwies unter anderem auf eine sehr positive
Besprechung des Werks in der sorbischen Tageszeitung Serbske nowiny
und "wertete dies als Beweis für die große Wirkung der Bibliographie
bei den Sorben, die nicht mit der deutschen Minderheitenpolitik zu
vereinbaren sei".[4] Natürlich fehlten in Jatzwauks Bibliographie
etliche wichtige Arbeiten, wie dies auch ein sorbischer Rezensent in
der Zeitschrift für slavische Philologie ausführlich nachwies.[5]
Dennoch waren sich die zahlreichen in- und ausländischen Kritiker
einig über den großen Wert des Werkes.
An einen Nachtrag oder eine verbesserte Nachauflage konnte nach 1933
aus politischen Gründen nicht gedacht werden. Im Jahre 1941
beschlagnahmten die Nazibehörden die Bibliothek der Macica Serbska.
Jatzwauk, der sich am 13. Februar 1945 aus dem brennenden Dresden hat
retten können, übernahm im selben Jahr die Leitung der Städtischen
Büchereien und des Sächsischen Landesarchivs Bautzen. Trotz vieler
Verpflichtungen bereitete er noch die zweite und erweiterte Auflage
seiner längst vergriffenen Sorbischen (wendischen) Bibliographie mit
geringfügigen Ergänzungen in der Systematik vor.[6] Ihr Erscheinen 1952
hat Jatzwauk selbst nicht mehr erlebt.[7]
In den 50er Jahren übernahm das 1951 gegründete Institut für Sorbische
Volksforschung in Bautzen auch die bibliographische Verzeichnung von
Sorabica. Zunächst vom Sächsischen Kultusministerium getragen, wurde
es 1952 der Deutschen Akademie der Wissenschaften in Berlin zur
wissenschaftlichen und materiellen Betreuung zugeordnet. Dem Institut
wurde die Sorbische Zentralbibliothek unterstellt, die aus der
früheren Bibliothek der Macica Serbska hervorgegangen war. Leider
verfügte man nicht über einen ähnlich qualifizierten Bibliothekar wie
Jatzwauk. So hat sich 1957 ein junger Literaturhistoriker, Jurij
Mlynk, dieser notwendigen Aufgabe angenommen. Seine Sorbische
Bibliographie für die Berichtsjahre 1945/57 mit Nachträgen bis 1945
erschien 1959 wie alle folgenden Bände im Domowina-Verlag Bautzen in
der Schriftenreihe des Sorabistischen Instituts.[8] Jurij Mlynk
veränderte gegenüber Jatzwauk die Systematik grundlegend, indem er die
Anzahl der Hauptgruppen von 13 auf 23 erweiterte und auf einige mit
der Regionalgeschichte verbundene Themenbereiche, z.B. Naturkunde,
Geologie usw., verzichtete. Er löste auch innerhalb der Hauptgruppen
Jatzwauks thematisch-geschichtliche und chronologische Ordnung auf und
schuf eine eigene Hauptgruppe Geschichte, differenziert nach
historischen Epochen, darin wiederum alphabetisch nach Verfassern
geordnet.
Der Zeit geschuldet dürfte seine Zielsetzung sein, die breite
Entfaltung des sorbischen kulturellen und öffentlichen Lebens zu
dokumentieren und damit "eine neue allgemeine sorbische Bibliographie
seit 1945 zusammenzustellen".[9] Mlynk war natürlich damit überfordert,
diese Aufgabe allein, neben seinen zahlreichen anderen
Verpflichtungen, zu leisten, und er bekannte auch: "In Zukunft wird
sich daher eine allgemeine sorbische Bibliographie, von einer
Einzelperson zusammengestellt, als unzulänglich erweisen." Außer
Lücken und Uneinheitlichkeiten der bibliographischen Beschreibung
vermißt man bei ihm das Material einer ganzen Hauptgruppe, der
Volkskunde, für die er nur auf eine Spezialbibliographie verweist.[10]
Mlynk erfuhr seitens einer tschechischen Bibliographin eine gnadenlose
Kritik.[11]
Um größere bibliographische Aktualität zu erreichen, führte Mlynk 1955
die Form der Jahresauswahlbibliographien in der Jahresschrift des
Instituts Letopis ein. Diese etwa 500 Titel jährlich informieren
seitdem über die wichtigsten Beiträge zumindest für die Bereiche
Sprache, Geschichte, Literatur und Volkskunde.
Den folgenden Band der Bibliographie für die Jahre 1958/65 hat dann
ein Kollektiv von sechs Wissenschaftlern aus den Institutsabteilungen
Geschichte, Volkskunde, Sprachwissenschaft und Literaturgeschichte
unter Mlynks Leitung zusammengestellt. Die Zahl der Hauptgruppen wurde
um weitere 5 auf 28 erweitert, um "die weitere Entwicklung der
sorbischen Kultur und Wissenschaft in einer neuen Breite und Tiefe"[12]
zu demonstrieren. Mlynk schuf neue Hauptgruppen, um vor allem die
Tätigkeit einzelner Institutionen oder regelmäßiger kultureller
Veranstaltungen zu erfassen. In diesem Band ist bereits die
qualifizierte Mitarbeit seiner Fachkollegen zu spüren: für die
Hauptgruppen Geschichte, Sprache und Ethnographie wurde die im
wesentlichen bis heute beibehaltene Differenzierung erarbeitet. Dieser
Band fand in der Lausitz und bei den slawischen Nachbarn gute
Aufnahme, die Rezensenten bescheinigten ihm ein akzeptables
wissenschaftliches Niveau und Akkuratesse. Seither wird die Sorbische
Bibliographie nun im Fünfjahresrhythmus herausgegeben.
Mitten in der Arbeit an einem weiteren Band verstarb 1971 Jurij Mlynk,
und die Gesamtredaktion mußte kurzfristig ein Neuling auf diesem
Gebiet, die Ethnographin Dr. Isolde Gardosch, übernehmen. Unter
Beibehaltung der konzeptionellen Vorgaben hat sie das vorliegende
Material auf Vollständigkeit und Genauigkeit überprüft und die
Bibliographie für den Zeitraum 1965/70 ohne großen Zeitverzug
vorgelegt. Unter ihrer Leitung bildete sich ein Redaktionsrat, der bei
Auswertung bisheriger Kritiken die Sachordnung wieder auf 14
Hauptgruppen reduzierte. Da diese sich fast ganz auf gesellschafts-
und geisteswissenschaftliche Themen beschränken, ist bei weiteren
Themen der Hinweis auf die Sächsische Bibliographie bzw.
Brandenburgische Literatur, wie schon bei Jatzwauk, unumgänglich. Im
Interesse der Nutzer wurde diese wesentlich übersichtlichere und
praktikablere Ordnung bis heute beibehalten, auch wenn wir uns einiger
Überschneidungen und der Problematik vor allem der ersten Gruppe, die
Allgemeines, sorbische Kultur und Sorabistik enthält, bewußt sind. Die
Sorbische Bibliographie wurde nicht nur in der slawischen Presse,
sondern auch in Kanada, Großbritannien und in deutschen slawistischen
Zeitschriften besprochen, in den meisten Fällen positiv bzw. ergänzt
durch weitere Ratschläge. Eine harte Kritik erschien dagegen in der
Wiener Zeitschrift Europa ethnica, wo es heißt: "Das Buch enthält
allerdings über volksgruppenrechtliche Fragen und die Situation der
Sorben in der DDR so gut wie keine Literaturhinweise, da fast alles
auf Fragen der Sprache und der Volkskultur hingeordnet ist. Bücher und
Aufsätze, die in den Ostblockstaaten erschienen sind, jedoch ohne
Jugoslawien, umfassend zusammengetragen, hingegen wird die durchaus
zahlreiche bundesdeutsche und sonstige 'westliche' Literatur über die
Sorben vollkommen verschwiegen. Das Werk hat daher nur sehr
beschränkten wissenschaftlichen Wert."[13] Die Kritik war insofern
berechtigt, als uns tatsächlich die meisten unselbständigen
"westlichen" Veröffentlichungen nicht zugänglich waren, während die
wichtigsten Buchpublikationen doch aufgenommen worden sind. Allerdings
will ich eine Form der politischen Einmischung nicht verschweigen. Sie
kam nicht von höherer Stelle, sondern von der SED-Parteigruppe im
Institut selbst: Publikationen aus den Kreisen der bundesdeutschen
Ostforschung durften nur zusammen mit einer kritischen Rezension
aufgenommen werden.
Nach dem plötzlichen Tod von Frau Gardosch übernahm 1979 erstmals ein
junger Fachbibliothekar, Martin Walde, die Redaktion der
Bibliographie. Im Fünfjahresband 1976/80 führte er für die
Titelaufnahme die dem internationalen Standard entsprechende
bibliographische Beschreibung nach TGL 20972 ein, also die neue
RAK-Form. Er redigierte noch einen weiteren Band und verließ dann,
nach seiner Qualifizierung als Kulturwissenschaftler, die Bibliothek
und die Arbeit an der Bibliographie.
Mit der Auflösung der Akademie der Wissenschaften der DDR Ende 1991
war auch dem Institut für Sorbische Volksforschung die
Existenzgrundlage entzogen. Zum 1. Januar 1992 wurde in neuer
Trägerschaft das Sorbische Institut e.V. / Serbski Institut z.t.
gegründet, das die Bibliothek, das Archiv und alle wesentlichen
Projekte des alten Instituts übernahm. Zu den fortzuführenden
Projekten gehörte die Bibliographie, an der ich seit 1975
mitgearbeitet hatte. 1994 konnte ich den Band für die Jahre 1985/90[14]
vorlegen. Dabei habe ich versucht, weitgehend dem Beispiel meines
Vorgängers Martin Walde zu folgen und die unterschiedlichen
Erwartungen an die Bibliographie durch Flexibilität zu erfüllen.
Einerseits sind die Bedürfnisse der Regionalhistoriker, Ortschronisten
und Journalisten zu bedienen, die in der Bibliographie Angaben zu
orts- und volkskundlichen Publikationen des jeweils sorbischen Teils
der Ober- und Niederlausitz sowie zur sorbischen Kulturgeschichte und
ihren Persönlichkeiten suchen. Ein anderer großer Interessentenkreis
sind deutsche und ausländische Slawisten, die wiederum stärker die
Entwicklung der Sorabistik als Teil der Slawistik beschäftigt und die
sich hauptsächlich für die Gruppen Sorabistik allgemein, Sprache und
Literatur interessieren. Als dritten Nutzerkreis möchte ich die
Pädagogen und Kulturschaffenden betrachten, die sowohl ihre eigenen
Materialien als auch die wichtigsten Veröffentlichungen und Reaktionen
aus dem Gesamtbereich der sorbischen Kultur wiederfinden wollen.
Derzeit arbeiten außer mir zwei junge Doktoranden aus der Geschichts-
bzw. Volkskundeabteilung, eine Sprach- und eine
Kulturwissenschaftlerin an dem Band 1991/95. Sie redigieren auch das
von einer Mitarbeiterin der Bibliothek zusammengetragene Material und
zeichnen für ihre Fachgebiete verantwortlich.
Die Sorbische Zentralbibliothek sammelt alle sorbischen Publikationen
und bezieht die wichtigsten slawistischen und regionalhistorischen
Zeitschriften. Die institutseigene Jahresschrift Letopis und die
kulturelle Monatsschrift Rozhlad werden von uns vollständig
ausgewertet. Schwieriger ist es, an ausländische Publikationen über
die Sorben heranzukommen. Wir haben Kontakte zu zahlreichen Slawisten
und Germanisten im In- und Ausland, die uns sporadisch über
unselbständige Veröffentlichungen vor allem in Sammelbänden
unterrichten. Buchpublikationen sorbischer Schriftsteller im Ausland
müssen wir manchmal anhand der Autorenexemplare erfassen. Im
Unterschied zu Jatzwauks Werk und zur ersten Nachkriegsbibliographie
erscheint unsere Sorbische Bibliographie ohne Sachregister, aber mit
einem Autoren-, Namen- und Ortsregister. Die derzeitige
Differenzierung der Systematik erlaubt trotzdem eine relativ gute
sachliche Orientierung. Da wir neuerdings grundsätzlich
Doppelaufnahmen vermeiden, werden wir wohl früher oder später wieder
ein Sachregister hinzufügen müssen. Mit 6194 Titeln auf 352 Seiten ist
der letzte Fünfjahresband etwas umfangreicher als der Band 1981/85 und
etwas schmaler als der Band 1976/80. Geändert hat sich natürlich der
Preis, er ist mit 49.00 DM doppelt so hoch wie bei den bisherigen
Bänden. In der Gestaltung hat die Bibliographie den Leineneinband
beibehalten, während die meisten Ausgaben der Schriften des Sorbischen
Instituts broschiert erscheinen. Etwa ein Viertel der Auflage, die in
ihrer Höhe anderen Regionalbibliographien gleicht, benötigen wir als
Tauschexemplare. Von den bisher erschienenen Bänden sind die Ausgaben
für 1945/57 und für 1966/70 inzwischen vergriffen, die übrigen sind
beim Verlag noch erhältlich.
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