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Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 2
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Kleines Lexikon des Aberglaubens


01-2-392
Kleines Lexikon des Aberglaubens / Ditte und Giovanni Bandini. - Orig.-Ausg., 2. Aufl. - München : Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1999. - 336 S. ; 19 cm. - ISBN 3-423-20210-6 : DM 17.90
[6362]

Die Verfasser dieses zuerst 1998 erschienenen, amüsanten und materialreichen Lexikons sind Religionswissenschaftler, Indologen und freie Übersetzer: als solche betreuen sie zum Beispiel das Werk des Japaners Haruki Murakami. Ditte Bandini ist Mitarbeiterin der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und hat auch unter dem Namen König publiziert. Sie promovierte 1983 in Heidelberg über die Mythologie und den Kult des Termitenhügels in der indischen Tradition; ein Buch über Feen ("von der Wiederverzauberung der Wirklichkeit") und der Roman Gefährlich ist's, das Weib zu wecken stammen außerdem von ihr. Gemeinsam verfaßte das Autorenduo in den letzten Jahren zudem ein mythologisches Lexikon und ein Wörterbuch zum Liebeszauber.[1]

Das vorliegende Lexikon beschränkt sich auf den Aberglauben im deutschsprachigen Raum "mit gelegentlichen Seitenblicken auf den Rest der Welt" und trifft außer dieser geographischen Einschränkung noch eine inhaltliche: "Nicht aufgenommen wurden Orakel, die sich auf die Frage nach dem eigenen Tod beziehen, und gefährliche, grausame oder anstößige Rituale" (S. 8). Es wendet sich an den größten denkbaren Leserkreis, nämlich alle, die gelegentlich abergläubischen Ritualen folgen und "nun vielleicht doch zögern, über das zu lächeln, was unsere Vorfahren, ja, noch unsere Großeltern glaubten und in ihrem Brauchtum bewahrten" (S. 7). Daß bei der Unmasse überlieferter abergläubischer Phänomene ohnehin nur eine Auswahl geboten werden kann, versteht sich für die Autoren dabei von selbst. Doch ist es ihnen nicht lediglich um die Kenntnis brauchtümlicher Überlieferungen zu tun; das Lexikon könnte "vielleicht auch bewirken, daß der eine oder andere Brauch wieder aktiviert wird und dadurch - wer weiß? auch ein wenig mehr Poesie in das Leben des einen oder anderen Lesers - gelangt" (S. 8) - denn, so der erste Satz des Vorworts, "Goethe sagte vom Aberglauben, er sei die Poesie des Lebens." Es wird derzeit Mode, dieses Dictum zur Legitimierung der Popularisierung von Volksglauben, Aberglauben und Okkultismus heranzuziehen. Gewiß, Goethe hat auch dies geäußert; die Fortsetzung "deswegen schadet's den Dichtern nicht, abergläubisch zu sein", wird dann schon meist unterschlagen.[2] Wie nicht anders zu erwarten, sind auch gegenteilige Meinungsäußerungen des Dichterfürsten überliefert: "Nun begegnet mir noch gar der Aberglaube, der mir als das Schädlichste, was bei den Menschen einkehren kann, verhaßt bleibt" oder "So muß man durchaus bemerken, daß, praktisch genommen, sich Glaube und Aberglaube nicht unterscheiden lassen und daß man vernünftigerweise wohl tue, sich in diesen bedenklichen Regionen nicht zu lange aufzuhalten, sondern dergleichen Vorfallenheiten als symbolische Andeutungen, sittliches Gleichnis und Erweckung des guten Sinnes zu benutzen". Goethe-Zitate haben, als Rechtfertigung einer Veröffentlichung, immer etwas Bedenkliches.[3] Aberglauben ist zudem kein ganz so gemütliches Phänomen, wie die Autoren uns glauben machen wollen. Theologen machen mit Recht darauf aufmerksam, daß eine seiner Grundwurzeln die Angst ist.[4]

Das Material verteilt sich auf 284 Artikel von Aal bis Zweites Gesicht; das ergibt eine durchschnittliche Länge von etwas über einer Druckseite pro Artikel. Eine Anzahl glücklich ausgewählter älterer Abbildungen und einige botanische Zeichnungen der Autorin beleben den Band. Querverweisungen innerhalb der Artikel sind häufig, Verweisungen mit Stichwortcharakter sehr selten (der Rez. zählte neun). Das Literaturverzeichnis umfaßt 126 selbständige, deutschsprachige Veröffentlichungen und gibt Anlaß zu einigen Bemerkungen. Schon eine flüchtige Durchsicht zeigt, daß die angegebenen Titel - mit einer Ausnahme - nicht über das Erscheinungsjahr 1927 in die Gegenwart reichen, die sämtliche angeführte Literatur also älter als siebzig Jahre ist. Damit erübrigt sich die kritische Auseinandersetzung mit dem bibliographischen Material, das bis auf vier Angaben aus dem ersten Band des Handwörterbuchs des deutschen Aberglaubens (HdA), der 1927 erschien, übernommen worden ist, wie ein Vergleich Titel für Titel ergibt.[5] Für den heutigen Leser wird es nicht einfach sein, die darin enthaltenen Sonderdrucke aus dem ersten Jahrzehnt des letzten Jahrhunderts bei Bedarf noch ausfindig zu machen oder exotisch anmutende Schulprogramme (Zabrze 1901, Schäßburg 1877, Patschkau 1900, Annaberg 1862) in die Hand zu bekommen. Was im monumentalen HdA sinnvoll war, die Verzeichnung auch entlegenster Veröffentlichungen, wirkt an dieser Stelle eher unüberlegt, wenn auch für einen Bibliothekar mit antiquarischen Interessen ein Quentchen der im Vorwort angedeuteten Poesie in solchen Abseitigkeiten stecken mag. Das Manko kann im Rahmen einer Rezension nicht gutgemacht werden. Die Auswahlbibliographie von Dietz-Rüdiger Moser und Gabriele Dietrich in dem Sammelband Glaube im Abseits von 1992 und die entsprechenden Abschnitte der Internationalen volkskundlichen Bibliographie wären wohl zunächst heranzuziehen, sodann die Literaturanalyse von Martin Stute.[6]

Die Lemmata sind, wie die Titel der Bibliographie, ebenfalls dem HdA entnommen: von 284 Artikeln haben lediglich fünf dort keine direkte Entsprechung und sind auf verschiedene Stichwörter verteilt (die allerdings über den Registerband problemlos zusammenzuführen sind). Die enge Anlehnung an den älteren Text führt oft zur Wiedergabe eines überholten Forschungsstandes, beispielsweise beim Stichwort Rauchnächte, deren Name von den Autoren in der Nachfolge des HdA-Autors Paul Sartori (dasselbe Stichwort) auf kultische Räucherungen in der Zeit der winterlichen Sonnenwende bezogen wird, während die zeitgenössische Forschung dazu neigt, die Benennung von pelzvermummten Heischeumgängen abzuleiten und folgerichtig Rauhnächte schreibt.[7]

Der Rezensent möchte nicht den Eindruck erwecken, als ob die Autoren etwa in allen Fällen lediglich das HdA paraphrasiert hätten. Eine gewisse Skepsis, was die Verwendung von Literatur nach 1927 betrifft, scheint jedoch angebracht. Die Durchsicht einiger Artikel mag einen Eindruck des angewandten Verfahrens vermitteln. Der Artikel Aal (S. 9) faßt die eindrucksvollsten Inhalte aus zwei von vier Absätzen (Biologisches und In der Volksmedizin) des gleichnamigen HdA-Artikels (Bd. 1, Sp. 1 - 5, von Eduard Hoffmann-Krayer) zusammen und zitiert den dort genannten Zauberspruch aus Ruppin (Brandenburg) mit der Bemerkung "den man in Mecklenburg aufzusagen pflegte". Die Darstellung geht mit dem Quellenmaterial frei um, faßt zusammen und gewichtet, im wesentlichen durch Auslassung. So liegt das Schwergewicht des Artikels bei Bandini auf der Volksmedizin; die Belege zur Weissagung und zur Sage, die das HdA anfügt, werden übergangen. Über das HdA hinaus haben unsere Autoren nichts hinzugefügt. - Auto (S. 33 - 34): Auch dieser Artikel entspricht inhaltlich dem Artikel Automobil im HdA (Bd. 1, Sp. 739 - 740, von Hanns Bächtold-Stäubli). Der kundige Leser gewinnt den Eindruck, daß sich seit siebzig Jahren der Aberglaube im Zusammenhang mit diesem "angeblich liebsten Kind der Deutschen" (Bandini S. 33) nicht verändert hat - während das HdA urteilt: "Der sich an das Automobil ... anknüpfende Aberglaube ist meist international und raschen Wandlungen unterworfen" (Sp. 739). Diese raschen Wandlungen lassen sich bei Bandini nicht nachvollziehen. Die Autoren paraphrasieren ihre Quelle wiederum frei und ohne direkte Anlehnung an den ursprünglichen Wortlaut, nehmen inhaltlich keine Veränderungen oder Zusätze vor, kürzen aber eine Passage über Talismane, die ohne Änderung nicht hätte übernommen werden können. Wiedergegeben werden hingegen die Angaben aus einem mysteriösen "englischen Handbuch des Aberglaubens", das Bächtold-Stäubli schon 1927 nicht dingfest machen konnte und dessen unüberprüfbare Angaben mit dem Zusatz "wie es in England heißt" wieder abgedruckt werden. Nicht für alle Einträge ist die Quellenlage so deutlich. So versammelt der Artikel Lichtmeßtag (S. 167 - 168) zwar eine Auswahl aus Artikel Lichtmeß des HdA (Bd. 5, Sp. 1261 - 1272, von Paul Sartori), zitiert aber einen an dieser Stelle nicht angeführten Vers für den Brauch des Lerchenweckens und hat daher noch weitere Literatur genutzt. Die Auswahl der Stichwörter und die Formulierung der Artikel bleiben unabhängig davon jedenfalls die Leistung der Autoren. Aus dem alle Glaubens- und Brauchtumsbereiche umfassenden Material des HdA sind in unser Lexikon übernommen worden 65 Lemmata zur Botanik (bspw. Kirschbaum, Klebkraut, Klee, Knoblauch, Königskerze, Kornblume im Buchstaben K) und 41 zur Zoologie (bspw. Pfau, Pferd im Buchstaben P), zusammen etwa ein Drittel des Lexikons; 30 zu Zeiten (Heiligentage, Wochentage, Feste usw.); aus dem verbleibenden Material heben sich 14 Artikel zu (Edel- und Zauber-) Steinen heraus (die Artikel Chalzedon, Chrysolit und Chrysopras machen bspw. die Gesamtheit der Einträge des Buchstabens C aus).[8]

Der Band bietet ein knappes, farbiges und zutreffendes Bild abergläubischer Phänomene, wie sie die deutsche Volkskunde Ende der zwanziger Jahre zusammengetragen hatte. Gegenwartsvolkskunde, Großstadtvolkskunde, die Volkskultur in der technischen Welt[9] sind ausgeklammert. Der Titel der nächsten Auflage sollte diese Einschränkung zum Ausdruck bringen. Vielleicht können die Autoren den Verlag auch für einen Fortsetzungsband erwärmen. Ohne eine solche Ergänzung muß der Leser, in der Regel ohne es zu wissen, nicht nur auf die Forschungsergebisse der letzten siebzig Jahre verzichten, er gewinnt auch den unzutreffenden Eindruck von der Volkskunde als einer antiquarisch orientierten und dem Kuriosen zuneigenden Wissenschaft. Das Buch ist vorzüglich geschrieben und nicht nur für den im Vorwort angesprochenen allgemein interessierten Leser nützlich. Bibliotheken sollten im Sachkatalog die inhaltliche Einschränkung deutlich machen.

Willi Höfig


[1]
Das Tor zur Unterwelt : Mythologie und Kult des Termitenhügels in der schriftlichen und mündlichen Tradition Indiens / Ditte Bandini. Stuttgart, 1984. - (Beiträge zur Südasienforschung ; 97). - Die Welt der Feen : von der Wiederverzauberung der Wirklichkeit / Ditte Bandini. - Stuttgart ; Wien, 1996. - Gefährlich ist's, das Weib zu wecken : Roman / Ditte König. - Frankfurt a.M., 1997. - Who's Who im Himmel : die Götterwelt von A - Z / von Ditte und Giovanni Bandini. - München : dtv, 2000. - Zauber der Liebe : Beschwörungsformeln, Riten und Rezepte / Ditte und Giovanni Bandini. - München : dtv, 2001. (zurück)
[2]
1823 in dem Aufsatz Justus Möser (Über Kunst und Alterthum, 4. Bd. 2. H., S. 129 - 138; Weimarer Ausgabe = WA, 1. Abth., Bd. 41,2, S. 52 ff.) - Die Quelle fehlt bei Bandini. (zurück)
[3]
Zitate aus den Wahlverwandtschaften (1. Th., 18. Kap; WA, 1. Abth., Bd. 20, S. 184) und dem Aufsatz Allgemeine fromme Betrachtungen (WA, 1. Abth., Bd. 41,1, S. 259 ff.). - Zusammenfassend hat Goethe sich über die Entwicklung des Aberglaubens in Geistesepochen, nach Hermanns neusten Mittheilungen geäußert (WA, 1. Abth., Bd., 41,1, S. 128 - 131). (zurück)
[4]
New Age-Bewußtsein und Esoterik : Hintergründe ihrer gesellschaftlichen Plausibilität / Hans-Jürgen Ruppert. // In: Materialdienst / Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. - 1988,6, S. 161 - 177. (zurück)
[5]
Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens / hrsg. von Eduard Hoffmann-Krayer. - Berlin. - Bd. 1 (1927), S. XV - LXXI. - Einige störende Abschreibfehler seien angemerkt: Die Beiträge von "Hesemann, H." betreffen nicht die Ravensburgische, sondern die Ravensbergische Volkskunde (S. 334). Bei "Hoops, H." fehlt der Sachtitel: "Sassenart" (S. 334). Die Veröffentlichung von "Laube, G.F." ist nicht 1869, sondern 1896 erschienen (S. 335). Die "Mecklenburgischen Volksüberlieferungen" stammen nicht von "Wossideo , R.", sondern von Richard Wossidlo, dem großen mecklenburgischen Feldforscher (S. 336). (zurück)
[6]
Auswahlbibliographie / Dietz-Rüdiger Moser und Gabriele Dietrich. // In: Glaube im Abseits : Beiträge zur Erforschung des Aberglaubens / hrsg. von Dietz-Rüdiger Moser. - Darmstadt : Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992, S. 451 - 470. - Internationale volkskundliche Bibliographie. - 1948/49 (1954) - . - Hauptzüge wissenschaftlicher Erforschung des Aberglaubens und seiner populärwissenschaftlichen Darstellungen der Zeit von 1800 bis in die Gegenwart : eine Literaturanalyse / Martin Stute. - Frankfurt am Main [u.a.] : Lang, 1997. - (Europäische Hochschulschriften : Reihe 19, Abt. A, ; 45). - Zugl. Münster/Westf., Univ., Diss., 1997. (zurück)
[7]
Vgl. Wörterbuch der deutschen Volkskunde. - 3. Aufl. Neu bearb. von Richard Beitl unter Mitarb. von Klaus Beitl. - Stuttgart : Kröner, 1974, S. 665. - Ob die Rechtschreibreform uns nun Raunächte beschert und die Konfusion damit komplettiert hat, hat der Rez. nicht mehr geprüft. (zurück)
[8]
Der Chalzedon (Kalzedon) ist im Register des HdA nicht auffindbar und gehört offenbar zu den wenigen ausschließlich auf einer anderen Quelle beruhenden Artikeln. Sein Auftauchen an dieser Stelle ist rätselhaft, denn als Zauberstein spielt er kaum eine Rolle. Das Lexikon der Zaubersteine aus ethnologischer Sicht / Christian Rätsch und Andreas Guhr. - Graz : Akademische Druck- und Verlagsanstalt, 1989 erwähnt ihn nur beiläufig, Will-Erich Peuckert (Zauber der Steine. - Leipzig : List, 1936) nennt ihn überhaupt nicht. Zu finden ist er bei Helmut Hiller (Lexikon des Aberglaubens. - München : Süddeutscher Verlag, 1986, S. 37), allerdings mit abweichenden Angaben, so daß Hiller als Quelle für Bandini wohl nicht infrage kommt. (zurück)
[9]
Volkskultur in der technischen Welt / von Hermann Bausinger. - Stuttgart : Kohlhammer, 1961. (zurück)

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