Der vorliegende Sammelband versucht einen erneuten Brückenschlag und ist ein deutsch-tschechisches joint venture, zu dem achtzehn tschechische und dreizehn deutsche Autoren beigetragen haben. Die Endredaktion erfolgte in Freiburg am Lehrstuhl von Frau Glettler. Alle tschechischen Beiträge wurden ins Deutsche übersetzt, den Großteil der Druckkosten übernahm der ,Deutsch-Tschechische Zukunftsfonds'.
Der Band vereinigt 28 personengeschichtliche Beiträge zu tschechischen, jüdischen und deutschen Professoren im Prag der Jahre 1938 bis 1948. "Opfer und Täter werden hier nicht isoliert betrachtet, sondern das Beziehungsgeflecht der Prager Professoren und dessen Wandel im nationalsozialistischen Alltag und der Nachkriegszeit stehen im Mittelpunkt der Beiträge. Durch eine Verbindung von wissenschafts-, alltags- und personengeschichtlichen Fragestellungen werden die Möglichkeiten, Grenzen und Versuchungen wissenschaftlichen Arbeitens ausgelotet" (Umschlagrückseite). Anhand der erstellten Biographien lassen sich Verhaltensweisen, die von Kollaboration bis hin zu Formen des Widerstandes reichen, rekonstruieren. Brüche und Diskontinuitäten sind angesichts der politischen Einschnitte dominant.
So anerkennenswert der Versuch einer Parallelisierung deutscher und
tschechischer Professorenbiographien ist, so fragwürdig ist er
gleichzeitig. Er insinuiert eine Parallele zwischen NS-Zeit und
Kommunismus, die sich nur schwer aufrechterhalten läßt, zu
unterschiedlich waren die Rahmenbedingungen. Da die Auswahl der
Lebensläufe von Zu- oder Absagen der Bearbeiter abhängig ist, ist sie
zudem zufällig. Es sollten offenkundig solche Biographien präsentiert
werden, die das Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik einerseits,
aber auch von deutscher und tschechischer Loyalität andererseits
dokumentieren. Allen Lebensbildern ist zu bescheinigen, daß sie auf
einem dreifachen Gerüst aufbauen, d.h. die Lebensgeschichte mit dem
Werk und dem institutionellen Umfeld verknüpfen und somit der
Individualität, der Institutionalität und der Ideologie Rechnung
tragen. Besonders wichtig für die deutschsprachige
Wissenschaftsgeschichte ist die umfassende Nutzung der Prager
Archivbestände, und zwar nicht nur der Karls-Universität, sondern vor
allem des Archivs der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen
Republik in Prag, Gesellschaft zur Förderung Deutscher Wissenschaft,
Kunst und Literatur in Böhmen. Es könnte sogar sein, daß die
letztgenannten Materialien, die Frau Glettler erstmals für die
deutschsprachige Wissenschaftsgeschichte erschlossen hat, auch die
Auswahl der Porträtierten beeinflußt haben.[1]
Für die deutsche Fachgeschichtsforschung sind die Personen am
interessantesten, die vor und/oder nach 1939 in Prag gelehrt haben. Am
bekanntesten dürften Karl Maria Swoboda (Kunsthistoriker), Edmund
Schneeweis (Slawist und Volkskundler), Josef Hanika (Volkskundler),
Gustav W. Becking (Musikwissenschaftler), Herbert Cysarz (Germanist
- er wurde allerdings bereits 1938 nach München berufen und fällt
damit
aus den chronologischen Eckdaten heraus), Erich Trunz (hier ist zu
ergänzen, daß Trunz im Mai 2001 verstorben ist), Eugen Rippl
(Slawist), Gerhard Gesemann (Slawist), Wilhelm Weizsäcker (Jurist).
Nicht vertreten sind die Neuphilologien, wo mit dem Romanisten Erhard
Preißig eine sehr interessante Persönlichkeit in Prag lehrte. Er war
Vorsitzender des Deutschen Kulturverbandes, ein alter deutscher
Volkstumskämpfer und Nationalist, der die Meinung vertrat, man müsse
das tschechische Volk von unten her zersetzen, rassisch geeignete
Tschechen in die NSDAP aufnehmen, Schwächen des tschechischen Volkes
ausnutzen und dadurch seine Zerstörung herbeiführen.[2] Auch einer der
deutschen Rektoren nach Protektoratsgründung (Ernst Otto, Wilhelm
Saure, Alfred Buntru, Friedrich Klausing, Kurt Albrecht) hätte
porträtiert werden sollen, um zu zeigen, wie man im Berliner REM mit
Prag umsprang. Helmut Heiber[3] hat dies gewohnt farbig beschrieben.
Jeder der Herren hatte ein besonderes Schicksal. Am eindringlichsten
ist das von Klausing, ehemals ein Frankfurter Polit-Aktivist, der
seiner Entlassung durch Selbstmord zuvorkam, als sein Sohn als
Hauptmann im Stab des Allgemeinen Heeresamts nach der
Urteilsverkündung im ersten Volksgerichtshof-Prozeß gegen die
Juli-Attentäter 1944 in Plötzensee gehängt worden war.
Der vorliegende Band ist sorgfältig gemacht, durch Register und
Tabellen gut erschlossen. Eine Gesamtbibliographie wäre praktisch
gewesen, doch kann man viele Angaben aus den einzelnen Beiträgen
herauslesen. Die Herausgeberin sagt am Ende des Vorworts, der
vorliegende Band richte sich nicht nur an Fachkollegen, sondern an ein
breiteres Lesepublikum. In der Tat kann man sich in einzelnen
Beiträgen festlesen und bekommt ein Gespür dafür, welche Chance
letztlich vertan wurde, in einer Stadt zwei Universitäten mit
unterschiedlichen Kulturen friedlich miteinander arbeiten und ein
Stück weit auch miteinander rivalisieren zu lassen.[4] Prag war dafür
besser geeignet als die gleichzeitig entstandenen
,Reichsuniversitäten' Posen und Straßburg, wo sich die jeweiligen
Landesherren abgewechselt hatten, d.h. mal nur deutsche, dann wieder
ausschließlich französische oder polnische Wissenschaft betrieben
wurde.[5] Zum besseren Verständnis wäre jedoch ein längerer
Einleitungsessay über die Universität Prag in der ersten Hälfte des
vergangenen Jahrhunderts nützlich gewesen. Die Geschichte der
deutschen Universität Prag unter dem Hakenkreuz bleibt nach wie vor zu
schreiben.
Frank-Rutger Hausmann
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