Was "tatsächlich gespielt wurde, hat wenig mit dem zu tun, was im
literaturgeschichtlichen Rückblick heute als entscheidend gilt",
betont das Vorwort zu Recht und verweist auf die stupende
Bibliographia dramatica,[1] mit der Reinhart Meyer unsere Vorstellungen
vom Theater des 18. Jahrhunderts vom Kopf auf die Füße gestellt hat
und noch fortwährend stellt.
Zu gut 250 Stücken - sie sind geordnet nach dem Alphabet der Autoren
- bekommt der Leser Inhaltsangaben und kurze literaturhistorische
Hinweise nebst ein oder zwei bibliographischen Hinweisen auf
Forschungsliteratur. Die selbständig erschienenen Drucke werden zwar
mit vollständigem Sachtitel zitiert, leider aber mit arg reduzierten
Angaben zum Impressum, zu dem nur Ort und Jahr des Druckes mitgeteilt
werden. Soweit ermittelt, werden Ort und Datum der Uraufführung
genannt.
Auch in diesem Lexikon erhält man freilich kein in den Proportionen
der Genres stimmiges Bild: So wird etwa - ohne daß die Bearbeiter
dafür einen einleuchtenden Grund anführen - das Singspiel ausgespart;
auch auf den Nachweis von Übersetzungen ist verzichtet worden: So
bleibt wieder einmal verborgen, daß der am häufigsten auf deutschen
Bühnen des 18. Jahrhunderts aufgeführte Autor der Italiener Pietro
Metastasio (1698 - 1782) gewesen ist, sei es daß er im Original oder
in Übersetzungen gespielt worden ist. Lessing, Schiller, Goethe - so
lehren uns die Literaturgeschichten, fixiert auf die Höhepunkte der
protestantischen Aufklärung und der Weimarer Klassik. Für die großen
Literaturgeschichten des 19. Jahrhunderts galt dann erst recht:
Catholica non leguntur, und so ist die überreiche Produktion des
katholischen Südens für die Literatur- und Bühnengeschichte zur terra
incognita geworden.
Der Band bietet so anregende Lektüre wie manch moderner
Schauspielführer, zuweilen wartet er für den Zeitgenossen mit einer
Überraschung auf, die geeignet ist, unseren Begriff von Aktualität zu
relativieren: "Der Kalif geht an seiner politischen und moralischen
Schwäche zugrunde; sein Gegenspieler Raschid wird durch den
skrupellosen Religionsfanatismus falsifiziert, der Chaos und Tod
herbeiführt." So steht es (S. 320) in der Inhaltsangabe zu dem
"deutschen Originaltrauerspiel in Versen von fünf Aufzügen" mit dem
Titel Mosthadem, oder der Fanatismus, das Paul Weidmann 1772 in Wien
zum Druck gegeben hat.
Hans-Albrecht Koch
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