In Kap. 1 Was ist Kinder- und Jugendliteratur entwickelt Ewers eine
Reihe von Definitionen von KJL, die jeweils eine "literaturbezogene
Handlung", kein textbezogenes Kritererium zur Grundlage haben.[1] Einige
dieser Definitionen wendet Taube anschließend auch auf das Kinder- und
Jugendtheater an. Das Kap. 2 stellt die fünf wichtigsten kinder- und
jugendliterarischen Handlungssysteme in der Bundesrepublik (Buchmarkt,
öffentliches Bibliothekwesen, staatliches Erziehungs- und Schulwesen,
pädagogische Fachöffentlichkeit, kinder- und jugendliterarische
Öffentlichkeit als Teil der allgemeinen literarischen Öffentlichkeit,
allgemeine kinder- und jugendliterarische Fachöffentlichkeit) und
deren Entwicklung zu einem Polysystem dar. In den beiden ersten Teilen
wird das Kinder- und Jugendbuch (und -medium) als "Segment" des
allgemeinen Buchmarkts bzw. des allgemeinen öffentlichen
Bibliothekswesens vorgestellt. Hier wird nicht nur ein anschaulich
verfaßter Überblick geboten, es finden sich z.B. auch konkrete
Informationen zu den kjl-relevanten aktuellen Anzeige- und
Besprechungsorganen des Buchhandels und der öffentlichen und
konfessionellen Bibliotheken. Ewers plädiert dafür, die im
öffentlichen Bibliothekswesen vorhandenen "Frei- und Spielräume auf
seiten der kindlichen und jugendlichen Leser" nicht durch eine "rigide
bibliothekarische Kontrollpraxis" zunichte zu machen, die Bibliotheken
sollten vielmehr ein "Bündnis" mit diesem eingehen, um
"Leseerfahrungen [zu] vermitteln", die "das häusliche Umfeld nicht so
ohne weiteres gestattet hätte" (S. 53). Eine Überlappung zweier
Handlungssysteme (Schule und Bibliothek) manifestiert sich in der
Schulbibliothek, die sowohl unterrichtsbegleitende Schullektüre (die
z.B. in der Grundschule "mittlerweile zum überwiegenden Teil aus
spezifischer Kinderliteratur" besteht) als auch "Angebote ... für die
Privatlektüre der Schüler" bereithält.
Kap. 3 behandelt die Kinder- und jugendliterarische Kommunikation,
Kap. 4 Traditionsverwendungspraxen (Folklore, schriftliche Folklore,
Literatur), Kap. 5 den Autor (einschließlich einer Typologie des
Autors im KJL-Bereich), Kap. 6 Kinder- und Jugendliteraturnormen und
-konzepte (z.B. als didaktische Literatur, kindgemäße Literatur,
Volkspoesie), Kap. 7 Kind- und Jugendgemäßheit; kinder- und
jugendliterarische Akkomodation (z.B. in sprachlicher, inhaltlicher,
formaler Hinsicht), Kap. 8 Kinderliteratur als Anfängerliteratur
(vorrangig wird hier der Literaturerwerb behandelt).
Wie bereits angedeutet ist die Darstellung nicht einfach zu lesen:
Nicht nur Erstsemester werden vermutlich Probleme mit der komplexen
Begrifflichkeit, auch mit den oft umständlichen Formulierungen, selbst
mit den Explikationen der Randspalte haben. Auch diese sind teils
schwer verständlich (z.B. Expl. 46: "Unter kinder- und
jugendliterarischen Traditions- bzw. Textverwendungspraxen sind die
mehr oder weniger fest etablierten Umgangsweisen mit der kinder- und
jugendliterarischen Überlieferung, die Formen ihrer Ingebrauchnahme zu
verstehen. Mehrere dieses Praxen können einen kohärenten Traditions-
bzw. Textverwendungstyp bilden", S. 129, Hervorhebung im Original).
- Studierende des FB Bibliotheks- und Informationswesen an einer
Fachhochschule waren lt. Auskunft einer Lehrenden mit Ewers'
Einführung überfordert.
Ein Begriffsregister (S. 271 - 275) erschließt die 63 Explikationen
- und damit nochmals die Schlüsselbegriffe der Darstellung - aus der
Marginalspalte in der Reihenfolge ihres Auftretens und zusätzlich in
alphabetischer Reihenfolge. Beim ersten Register fällt auf, daß zwei
Drittel der Explikationen sich auf die Kapitel beziehen, die das
Handlungssystem beschreiben, das Symbolsystem KJL muß sich mit 17
Erklärungen begnügen, Kap. 8 kommt sogar ganz ohne Explikationen aus.
Im zweiten Register, das man auch als knappes Sachregister bezeichnen
könnte, werden diese Begriffe und einige wenige zusätzliche Termini
nochmals aufbereitet und tauchen sowohl unter substantivischen
Oberbegriffen mit den dazugehörigen Unterteilungen wie auch unter
diesen Unterbegriffen, bei Einzelbegriffen sowohl unter dem Substantiv
als auch unter dem Adjektiv auf. Der Nutzen dieses alphabetischen
Registers scheint der Rezensentin nicht unbedingt einleuchtend, zur
Orientierung und auch als Suchfunktion reichen die beiden Seiten des
ersten Verzeichnisses vollkommen aus.
Anne Völpels Auswahlbibliographie Kinder- und
Jugendliteraturwissenschaft beschließt den Band (S. 276 - 320). Thema
ist die deutschsprachige Kinder- und Jugendliteratur und das
Kinder- und Jugendtheater; obwohl Ewers andere Medien wie Comic und
Bild/Illustration nicht behandelt, sind sie hier vertreten, aber wie
in Ewers' Darstellung werden die sog. neuen Medien sowie
Sozialisationsaspekte und Didaktik auch hier ausgespart. Weitestgehend
ausgeschlossen sind auch Darstellungen, die sich auf einzelne Autoren
sowie auf Einzelwerke beziehen (vertreten sind Monographien zu
Struwwelpeter, Kränzchen, Wilhelm Busch, auch ein Beitrag zum
Trotzkopf). Aufsatzsammlungen würden bis auf wenige Ausnahmen nicht
inhaltlich aufgeschlüsselt, doch die Nennungen v.a. in Kap. 8 bestehen
zu einem großen Teil aus (wichtigen) Beiträgen aus Sammelwerken,
Handbüchern, Lexika und Zeitschriften. Das Verzeichnis gliedert sich
in 1. Allgemeine Nachschlagewerke, Lexika, Handbücher; 2.
Fachzeitschriften, Periodika" (inkl. Besprechungsorgane); 3.
Bibliographien der Forschungsliteratur; 4. Bibliographien der
Quellenschriften, gedruckte Bestandsverzeichnisse und
Sammlungskataloge; 5. Quellensammlungen; 6. Einführungen und
Grundlagenwerke; 7. Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur (neben
Gesamtdarstellungen wird Sekundärliteratur zu einzelnen Epochen und
zur jüdischen KJL 1779 - 1945 geboten); 8. Kinder- und Jugendliteratur
der Gegenwart (seit 1945) (mit Gesamtdarstellungen, Literatur zur
Poetik und zu Literaturarten und Gattungen, zu Adaptionen und zur
Rezeption). Die Gliederung ist grob an diejenige der Bibliographie des
Jahrbuchs Kinder- und Jugendliteraturforschung[2] angelehnt. Es werden
die Anfänge der KJL-Forschung (mit wenigen Ausnahmen ab den siebziger
Jahren) bis zur neuesten Forschungsliteratur (die Beiträge aus der 2.
Aufl. 2000 des nachstehend besprochenen Taschenbuchs der Kinder- und
Jugendliteratur, diese leider ohne Seitengabe) in Auswahl
dokumentiert. Die ausführliche (und noch weitere Themen umfassende)
Bibliographie des Jahrbuchs wird jedoch, besonders für Einzelaspekte
(wie bereits erwähnt für Autoren und Werke, aber auch für Gattungen
u.a.) keinesfalls ersetzt. Als generelle Fehlstelle sind die
einleitenden Artikel und Gattungsüberblicke aus dem Handbuch zur
Kinder- und Jugendliteratur[3] anzumerken: Für die Epoche 1800 bis 1870
sind z.B. einige sehr spezifische Titel aufgeführt (zu den
Bildergeschichten Rodolphe Töpffers, zum Wiener Zeitschriftenwesen),
die übergreifenden Handbuchartikel zur Kinder- und
Jugendbuchillustration oder zur Kinder- und Jugendzeitschrift werden
nicht erwähnt; ebenso hat beispielsweise die zentrale Darstellung von
Nikolajeva[4] keinen Eintrag, während manche eher periphere Abhandlung
aufgenommen wurde. Die Form der Titelaufnahme ist - nicht regelkonform
- normiert, die Angaben sind aber brauchbar und ausreichend. Mit
dieses Auswahlbibliographie erhalten die Adressaten des Bandes,
Anfänger und Fortgeschrittene "in Sachen Kinder- und Jugendliteratur"
einen ersten Überblick über die Forschungsliteratur unter Ausschluß
einiger Bereiche, weiterführende Informationen bieten die
Literaturangaben am Ende der Kapitel 1 - 8 (besonders die
- praxisorientierten - Hinweise im Artikel zum Kinder- und
Jugendliteraturmarkt sowie zum öffentlich-bibliothekarischen
Handlungssystem, S. 42 - 54, Literatur S. 90 - 92). Ergänzend sind
unbedingt die Bibliographie des Jahrbuchs und die Literaturangaben im
Taschenbuch heranzuziehen.
Maria Michels-Kohlhage
Zurück an den Bildanfang