Bibliotheksservice-Zentrum (BSZ) Baden-Württemberg // Südwestdeutscher Bibliotheksverbund
Rezension aus:
Informationsmittel für Bibliotheken (IFB) 9(2001) 1
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Das Lexikon der freien Marktwirtschaft


01-1-126
Das Lexikon der freien Marktwirtschaft / Fred E. Foldvary. Hrsg. und erg. von Detmar Doering. Aus dem Amerikanischen von Hans Günter Holl. - Düsseldorf : Verlag Wirtschaft und Finanzen, 2000. - 407 S. : Ill. ; 25 cm. - Einheitssacht.: Dictionary of free-market economics. - ISBN 3-87881-154-3 : DM 128.00
[6197]

Bei diesem Lexikon handelt es sich weitestgehend um eine Übersetzung des amerikanischen Dictionary of free-market economics, das 1998 im Verlag Edward Elgar erschienen ist. Gegenstand ist die Wirtschaftslehre der Marktwirtschaft oder - wie sie im amerikanischen Sprachgebrauch gern genannt wird - der "freien" Marktwirtschaft. Das Fachwörterbuch enthält über 2000 Eintragungen. Bei der Auswahl der Stichwörter hat der Verfasser Foldvary verständlicherweise den amerikanischen Leser im Auge. Auffällig wird dies z.B. bei Personen und Institutionen. Detmar Doering hat daher die deutsche Ausgabe des Lexikons mit einschlägigen Artikeln, die ein deutschsprachiger Leser kennen sollte, ergänzt (z.B. Erhard, Ludwig; Zollverein). Das Kürzel DD markiert seine Beiträge.

Häufig liegt Fachwörterbüchern eine Systematik zugrunde. Vor allem bei Gemeinschaftswerken mehrerer Autoren kann man sich eine Koordination der Stichwortbearbeitung ohne eine solche Grundlage kaum vorstellen. Das ist beim vorliegenden Lexikon offensichtlich nicht der Fall. Foldvary drückt ihm seinen persönlichen Stempel auf. Er bezeichnet das Lexikon in seiner Einführung nicht als umfassendes Nachschlagewerk, sondern als repräsentative Auswahl. Im einzelnen findet man Stichwörter zur Geschichte der Marktwirtschaftslehre und der ihr zugrunde liegenden Philosophien, Personenstichwörter (angefangen bei Aristoteles) und solchen zu wirtschaftswissenschaftlichen Schulen und Lehrmeinungen (z.B. Cambridge-Schule, Neue oder Österreichische Grenznutzenschule). Außerdem Stichwörter aus diesen Theorien (z.B. Grenznutzen, Natürliches Moralgesetz) und solche aus der modernen Volkswirtschaftslehre, die in großen Teilen eine Marktwirtschaftslehre ist (z.B. Angebot und Nachfrage). Der Gegenspieler des Marktes, der Staat, wird ebenfalls in einer Vielzahl von wirtschaftspolitischen und finanzwissenschaftlichen Begriffen berücksichtigt. Organisationen, die auf ihr Panier die Förderung der Marktwirtschaft geschrieben haben, sind zahlreich vertreten; selbst ausgesprochene Exoten wie z.B. die Privatuniversität Francisco Marroquin in Guatemala, die lt. Lexikon ein streng marktorientiertes Programm verficht. Foldvary liebt es, seine Gelehrsamkeit anhand wissenschaftstheoretischer (vgl. Abduktion; Folgern) und allgemein philosophischer Begriffe (Ethik; Gerechtigkeit) unter Beweis zu stellen. Häufig sind lateinische oder griechische Wendungen wie Caveat emptor oder Agora zu finden. Daneben gibt es erstaunlich viele Begriffe aus dem Bank- und Börsenwesen, z.B. das Bonitätsmaß AAA, die Börsenhausse und Aktienindizes. Der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit drängt sich auf. Der Bezug zum Thema ist bei den meisten der Stichwörter jedoch vorhanden.

Die Artikel sind relativ kurz. Im Durchschnitt passen 5,8 Stichwörter auf eine Seite - bei "großzügigem" Layout. Jedem Stichwort ist das englische Pendant aus dem amerikanischen Original zur Seite gestellt. Ausnahmen bilden die in ihrer Ursprungsform belassenen Lemmata (Beispiele: Cats and dogs; A posteriori) und Personen- und Institutionennamen. Die englischen Begriffe sind in einem Alphabet im Anhang abgelegt und können daher ebenso wie die deutschen Stichwörter als Sucheinstieg dienen. Ebendort befindet sich eine fünfeinhalbseitige Bibliographie. Im Text fehlen dagegen Literaturhinweise.

Lexika mit vielen und dafür knappen Stichwörtern sind keine Seltenheit. Diese Art von Lexika bietet meist Definitionen. Die Kürze ist von Nachteil, wenn Theorien und Begriffe erklärt werden sollen. Dies ist im vorliegenden Lexikon häufig der Fall. Nur zwei Beispiele: die Chicago-Schule wird in einem 16-zeiligen Einspalter, die Spieltheorie in 5 Zeilen abgehandelt. Es ist unvermeidlich, daß bei dieser Kürze die Erklärungen sehr oberflächlich ausfallen. Da sich die Artikel selten über mehr als eine Spalte erstrecken, gilt dieses Manko generell. Aus diesem Grund ist das Lexikon als Einstieg in die Theorie der Marktwirtschaftslehre nicht geeignet. Sein Nutzen liegt eher darin, sich Kenntnisse ins Gedächtnis zurückzurufen. Der besondere damit verbundene Reiz ergibt sich aus dem amerikanischen Ursprung des Lexikons, der sich in einer spezifischen Terminologie niederschlägt (z.B. trickle down; dirty public goods etc.) und in einem respektlosen - teils auch vereinfachenden - Stil der Erklärungen (vgl. Zehn Gebote). Wie Foldvary in seiner Einführung schreibt, will er nicht nur informieren, sondern auch unterhalten. Der Leser soll in seinem Lexikon mit Vergnügen blättern und schmökern können. Dieser Genuß hält sich allerdings bei der deutschsprachigen Ausgabe in Grenzen. Die Übersetzung läßt Souveränität und Sicherheit beim Umgang mit der Materie vermissen. Das zeigt sich bei unbeholfenen oder falschen Übersetzungen.[1] Der Hinweis, wenn möglich auf das Original zurückzugreifen, ist bei diesem Werk mehr als angebracht. Der Hinweis gilt natürlich nur für Interessenten, die das Konzept des Lexikons, wie es oben skizziert wurde, goutieren können.

Lorenz Fichtel


[1]
Einige Beispiele: Absolutes Steueraufkommen für absolute tax incidence; richtig und gebräuchlich ist Steuerinzidenz. - Aufwandsteuer für expenditure tax: richtige Übersetzung: Ausgabensteuer. - Wer Cash flow ernsthaft mit Barmittelstrom übersetzt, diskreditiert sich als Übersetzer ökonomischer Texte. Weitere Beispiele erübrigen sich. (zurück)

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