Ein notwendiges einleitendes Kapitel über die Forschungslage fehlt.
Dadurch erfährt der Benutzer nicht, daß der Verfasserin reichliches,
den Umfang ihres Buches überschreitendes Material zu ihrem Thema
vorlag - die Hauptquelle ihres Buches. Es sind die jährlichen
Nachweise der in der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der
Schweiz in Übersetzung verlegten Werke der russischen
Gegenwartsliteratur, die in der Zeitschrift Osteuropa erschienen sind.
Für den Zeitraum von 1976 bis 1991 stammen sie von mir, seit meiner
Emeritierung von Karlheinz Kasper. Diese 24 umfangreichen Beiträge,
die sie nur als eine der bibliographischen Quellen angibt, bedingen
auch den Anfang des von der Verfasserin gewählten Zeitausschnitts,
nämlich 1976. Er ist weder aus der Geschichte der russischen
Literatur, noch der Rezeption in Westdeutschland zu begründen. Er
liegt beim Beginn meiner Forschung auf diesem Gebiet. Sie geht auf die
Bitte des damaligen Leiters von Inter Nationes, Richard Mönnich,
zurück, ich möge auf den Angriff von Alfred Andersch antworten,
Sowjetliteratur werde in Westdeutschland nicht übersetzt. Mit
bibliographischen Fakten auf der Basis einer Kartei von Mönnich
widerlegte ich diese ideologische Unterstellung.[1] Der Abschluß des von
Warnke erfaßten Zeitraums - 1995 - ist offenbar durch die letzte
Analyse von Kasper bei Beginn ihrer Arbeit begründet. Von den beiden
Buchausgaben meiner Beiträge führt sie nur den ersten Band auf - in
der Bibliographie.[2] Diese Bücher enthalten insgesamt 700
Kurzrezensionen, die Nachfolgeartikel von Kasper setzen die Technik
der Kurzrezension fort und sind gelegentlich ausführlicher, aber in
Warnkes Rezensionsüberblicken werden sie nicht berücksichtigt, obwohl
keiner der Rezensenten auch nur annähernd so viele Übersetzungen
analysiert hat. Ihr Register verzeichnet nur die Schriftsteller, nicht
Rezensenten und Übersetzer, obwohl Unterkapitel darauf eingehen (z.B.
in jeder Periode Vermittlungsspezifische Merkmale der Rezensionen).
Bedenkt man noch, daß das wichtige Problem der Beeinflussung der
Verlagstätigkeit bis zur Wiedervereinigung Deutschlands durch die
billigeren DDR-Lizenz-Übersetzungen nicht behandelt wird, verliert das
Buch, das den linguistisch wunderlichen Terminus "bundesdeutscher"
Übersetzungen sogar dann verwendet, wenn es sich um Lizenzausgaben
(Ch. Kossuth) handelt, weiter an Aussagekraft. Der Wert dieses Buches
- einer Dissertation - als Nachschlagewerk ist sehr gering. Das
Material ist inkonsequent erfaßt (die "Rezeption" auf ausgewählte
"Rezensionen" beschränkt, sogar Monographien über erfaßte Autoren
fehlen). Das Register schlüsselt schlecht auf. Die Verallgemeinerungen
stehen auf schwacher Basis. Sehr viel ist unvollständig, inkonsequent,
einseitig.
Wolfgang Kasack
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